Thurgauerin tanzt in China
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Peking-Oper:Thurgauerin tanzt in China

Rahel Zoë Buschor (37) ist die einzige Europäerin in der Peking-Oper
Thurgauerin tanzt in China

Rahel Zoë Buschor (37) zog vom Thurgau nach China, um Tänzerin der Peking-Oper zu werden – eine uralte Musiktheaterform. Heute ist sie die einzige Frau Europas, die eine ganz bestimmte Männerrolle darstellen kann. Corona hat sie nun zurück in die Schweiz gebracht.
Publiziert: 04.07.2020 um 13:20 Uhr
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Aktualisiert: 05.07.2020 um 09:59 Uhr
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Vier Jahre lang studierte die Thurgauerin in Peking die Rolle des Affenkönigs – eine der Hauptfiguren des uralten Musiktheaters.
Foto: Thomas Meier

Rahel Zoë Buschor (37) balanciert auf einem Bein im Zürcher Chinagarten. Die Füsse stecken in hölzernen hohen Plateauschuhen, auf dem Kopf trägt sie eine Krone aus flauschigen Feuerbällen und zwei langen Fasanenfedern, die bei jeder Bewegung in der Luft herumschwingen. Bis vor kurzem stand sie mit diesen Requisiten auf den Bühnen Seouls und Pekings. Sie spielte den Affenkönig, eine Hauptrolle der Peking-Oper. Der chinesische Tempelgarten wirkt wie eine Europapark-Nachbildung: herausgeputzt, etwas kitschig, pittoresk. Wie wir Schweizer es halt mögen. «In China wäre ein solches Gebäude viel älter und verlebter», sagt die Thurgauerin.

Rahel Zoë Buschor macht nicht nur auf China. Sie hat dort eine Ausbildung zur Peking-Opern-Darstellerin absolviert – als eine der ganz wenigen Nicht-Chinesen. Und sie ist die einzige Frau Europas und eine von ganz wenigen auf der ganzen Welt, die die Rolle des Affenkönigs SunWukong spielen kann, wie sie sagt.

Buschors Geschichte begann vor zehn Jahren. Sie studierte im Master Musik- und Bewegungspädagogik in Zürich und verbrachte als Austauschstudentin einen Monat an der Nationalen Akademie für chinesische Theater-Kunst in Peking. Und kam so zu Vorstellungen der Peking-Oper – prägende Erlebnisse. Die Klänge waren so hoch und so schrill, dass es in den Ohren weh tat und in jeder Körperbewegung, jedem Salto, jedem Spiel mit den Augen schwang eine Kraft mit, die sie sofort mitriss. Bis dahin kannte sie sich nur in zeitgenössischen europäischen Bewegungsformen aus. Dies war ganz anders. «Ich konnte die Darbietungen nirgends einordnen und schwer fassen.»

Training bis in die Abendstunden

Die Peking-Oper gehört zum Unesco-Weltkulturerbe und ist vor Hunderten von Jahren als Volksoper entstanden. Im 18. Jahrhundert war sie am Kaiserhof beliebt, hinter den Masken durften die Darsteller kritisieren, subversive Stücke entstanden. Diese werden von Generation zu Generation mündlich weitergeben. Und sind noch immer angesehen, ähnlich wie unsere Oper. Trotzdem lassen sich die beiden nicht vergleichen. In keinem Theater der Welt sind die Schauspieler so sehr Sänger, Tänzer, Akrobaten und Pantomimen in einem wie bei der Peking-Oper. Die Bühnenbilder sind spärlich, oft nur mit einem Tisch und zwei Stühlen. Der menschliche Ausdruck zählt. Die Mimik, die Gestik, die Bewegungen jedes einzelnen Körperteils vermitteln Emotionen und die Handlung des Stücks.

Buschor verstand bei ihren ersten Besuchen der chinesischen Oper kein Wort, «war aber so fasziniert», dass sie nach jenem Monat beschloss, nach Peking zurückzukehren. Diesmal als Studentin der Akademie. Und als Affenkönig. Die Rolle ist körperlich so anspruchsvoll, dass sie ausschliesslich von Männern besetzt wird. Buschor schreckte das nicht ab. «Mir gefällt gerade die Akrobatik. Und auch das lustige, ungestüme, weise und starke Wesen der Figur.»

Vier Jahre lang stand sie jeden Morgen um sechs Uhr auf, lief sich warm, fing noch vor dem Frühstück mit dem Training an. Oft dauerte ein solcher Tag bis weit in den Abend hinein. Sie übte in der Gruppe mit Männern. Oder einzeln mit ihrem eigenen Trainer, den die Studierenden zugeteilt bekommen. «Er war meine wichtigste Bezugsperson», sagt sie. Der Start war trotzdem hart. «Ich war ständig todmüde.» Und Chinesisch sprach sie auch nicht. Noch nicht. Aber das sei während des Studiums keine Hürde gewesen. «Über die Kunst konnten wir in Kontakt kommen, ohne zu reden.»

Herzliche und offene Chinesen

Die klassische Peking-Oper umfasst einige hundert Stücke. Zu den klassischen Figuren gehören männliche und weibliche Krieger, Heilige, Weise und Clowns. Die Studierenden entscheiden sich zu Beginn für eine Rolle und perfektionieren sie ein Leben lang. Zehn Jahre Training für eine Minute auf der Bühne – heisst es in China. Für jede der Figuren sind das Kostüm, die Bewegungsabläufe und die Gesichtsbemalung genau festgelegt. Allein die Augenbrauen kann man auf zwanzig verschiedene Arten schminken. Und jede Farbe hat eine Bedeutung. Rot steht für Loyalität und Mut, Schwarz und Weiss für Gerechtigkeit – die Farben von Buschors Affenkönigmaske.

Oft fangen schon Fünfjährige mit der Ausbildung an. Buschor war 28. «Mir war klar, dass ich technisch nicht das gleiche Niveau erreichen würde wie so jemand», sagt sie. Das sei auch nicht ihr Ziel gewesen. «Ich war auf der Suche nach Inspiration und wollte den Affenkönig auf meine ganz eigene Art dem Publikum näher bringen.» Sie studierte im Zoo das Verhalten der Affen. Und bekam eine eigene Handschrift.

An die erste Aufführung nach dem ersten Semester erinnert sie sich genau: «Es brauchte viel Überwindung, weil ich die Rolle überhaupt noch nicht beherrschte.» Alle Augenpaare im Publikum waren auf sie gerichtet. Die Mitstudenten hätten sehen wollen, wie sich die Westlerin macht, sagt sie. Am Ende bekam sie viel Zuspruch. Überhaupt sei sie sofort akzeptiert worden. «Ich habe die Chinesen als sehr herzlich, humorvoll und hilfsbereit erlebt. Und ja, auch laut.»

Ein bisschen Peking-Oper in der Schweiz

Vor fünf Jahren schloss sie in Peking ihre Ausbildung ab. Die Rolle des Affenkönigs begleitete sie nach Südkorea – ihr neues Zuhause. In der Megacity Peking wollte sie nicht bleiben. «Zu viel Smog, viel zu lange Arbeitswege.» In Südkorea gründete sie 2018 eine Company für Bewegungstheater, mit ihr bringt sie zeitgenössische Stücke auf die Bühne – mit Elementen der Peking-Oper.

In Zeiten von Internet, Kino und modernem Sprechtheater hat sie in China einen immer schwereren Stand. «Die Peking-Oper hat sich nie weiterentwickelt. Die jungen Chinesen interessieren sich nicht für sie.» Der Nachwuchs fehlt, sie droht zu verschwinden. Das beschäftigt Buschor, wie sie mehrmals im Gespräch sagt. Vielleicht kann sie nun mithelfen, das uralte Kulturgut zu retten. Auch indem sie es in die Schweiz bringt. Seit Corona ist Buschor wieder hier – und auf der Suche nach Aufträgen und Auftritten. Gerade hat sie als Kulturschaffende einen Förderbeitrag des Kantons Thurgau erhalten. Damit will sie hier Stücke inszenieren – mit zeitgenössischen und chinesischen Elementen.

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