Nelly Diener war die erste Stewardess Europas
Das Fräulein und die Swissair

Sie war die erste Stewardess Europas: die Schweizerin Nelly Diener. ­Sie prägte das Bild der adretten Flugbegleiterin für Generationen. Eine Frau aus einer anderen Welt.
Publiziert: 12.09.2018 um 21:27 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 23:04 Uhr
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Nelly Diener vor der Curtiss AT-32C Condor, in der sie starb.
Foto: Stiftung Luftbild Schweiz
Pascale Marder

Wer während einer Firmenbesichtigung bei Gate Gourmet schon gesehen hat, mit welch schmatzendem Geräusch der Kartoffelstock ins Plastikgeschirr gedrückt wird, um diesen später von einer Flight Attendant mit effizienter Professionalität auf den schmalen Klapptisch serviert zu bekommen, reibt sich beim Gedanken an die Arbeitsrealität der ersten Schweizer Stewardess verwundert die Augen.

Nelly Diener, von ihren Zeitgenossen als «liebenswürdiges, aufrichtiges und bescheidenes Wesen» beschrieben, schmierte die belegten Brote für ihre Fluggäste jeden Morgen selbst. Am Flugplatz Dübendorf angekommen, verarbeitete sie den zuvor gekauften Laib Grahambrot zu Sandwiches, füllte ihre Thermoskannen mit Tee, Kaffee oder Bouillon und vergass nicht, für die besonders ängstlichen Passagiere einen Cognac in den Picknickkorb zu legen. 

1934, als Nelly Diener ihren Dienst bei der Swissair aufnahm, konnte in der jungen Aviatikbranche noch alles passieren. Vielleicht fand sich vor dem Abflug spontan eine Ländlergruppe auf dem Rollfeld ein, um den abfliegenden Passagieren ein Abschiedsständchen zu halten. Vielleicht vergass das Boden­personal, die Gepäckklappe der hauptsächlich aus Holz gezimmerten Curtiss Condor zu schliessen, und Nelly musste während des Flugs in den Gepäckraum kriechen, um diese zu fixieren.

Vielleicht wurde es einem der Passagiere schlecht, und sie musste eine gefüllte Papiertüte auf 3000 Metern Flughöhe durch das geöffnete ­Pilotenfenster entsorgen. Oder Chefpilot Walter Mittelholzer vergass vor dem Rückflug in Berlin, den Benzinstand zu überprüfen, sodass die 15-plätzige Maschine auf einem vom Regen durchnässten Acker notlanden und der Bordfunker an der nächstgelegenen Tankstelle Benzin besorgen musste.

Das erste «Sky Girl» in Europa

Immer mittendrin: die 22-jährige Nelly Diener, erste Lufthostess ­Europas. Balz Zimmermann, der administrative Direktor der noch jungen Swissair, hatte das amerikanische Pendant auf einem Flug in den USA kennengelernt und war angetan. Ellen Church, ihrerseits Pilotin und Krankenschwester, ­hatte den Beruf der Lufthostess praktisch eigenhändig erfunden, da sich keine Airline fand, welche der jungen Frau eine Pilotinnenkarriere ermöglichen wollte. Und so flog sie, in strenger weisser Krankenschwesteruniform und gestärktem Häubchen, wenn auch nicht auf dem Piloten­sitz, so doch als erstes «Sky Girl» der Weltgeschichte durch die Lüfte.

Doch bei der Vorstellung, eine fliegende Krankenschwester mit an Bord zu haben, graute es Balz Zimmermann. Zwar bot Swissair-Mitbegründer und Chefpilot Walter Mittelholzer genügend Einsatzmöglichkeiten für eine Krankenschwester, führte er mit seiner ­nonchalanten Flugweise doch die Bruchlandungsstatistik der Swissair mit Abstand an. Aber diesen Umstand musste man den Passagieren nicht gleich unter die Nase reiben. Der Chefpilot war einer der beliebtesten und bekanntesten Schweizer seiner Zeit. Er flog schon mal vom Zürichhorn nach Süd­afrika, Persien oder Spitzbergen.

So suchten die beiden Swissair-Direktoren nach einem charmanten, vielsprachigen Fräulein, das den Passagieren die Flugangst nahm. Denn nicht jedermanns Magen und Nerven waren geschaffen für die rasanten 200 Stundenkilometer dieses Expressflugs, von dem die Zürcher Presse schrieb, dies sei doch «ein Tempo, das auch dem ­eiligsten Flugpassagier bis auf ­weiteres genügen sollte». Aber wenn das blonde Fräulein mit ­seiner stets perfekten Wasserwelle jede Windböe weglächelte, wer wollte sich da schon die Blösse ­geben?

Nicht den Puls messen oder kalte Kompressen auflegen sollte sie, nein, Nelly Diener war eine Gesellschafterin. «Sie verstand es, mit ­ihrer unmittelbaren Frische und liebenswürdigen Fröhlichkeit auch sensiblen Fahrgästen alle Angst und Benommenheit zu verscheuchen», berichtet ein Zeitgenosse. So sang sie ihren Gästen vor, zündete dienstfertig Zigaretten und Zigarren an und las ihren Passagieren vor.

Lektüre lieferte ihr Chef Walter Mittelholzer genug, war er doch der Medienstar seiner Zeit. Überflog er als erster Pilot den Krater des Kilimandscharo, telegrafierte er dies noch gleichentags an die Redaktion der NZZ und vergass nicht, die beim Überflug gemachten Bilder nach seiner Rückkehr medienwirksam zu inszenieren.

All seine Flugexpeditionen goss Mittelholzer in Winnetou-ähnliche Abenteuerberichte, um die sich die daheimgebliebenen Schweizer in den Buchhandlungen geradezu rissen. Er, der im St. Gallischen eigentlich die Bäckerei ­seines Vaters hätte übernehmen sollen, stellte sie, die in Muri ge­borene Tochter aus einfachsten Verhältnissen, ein. Gemeinsam brausten der fliegende Bäckerssohn und die fliegende Metzgerstochter in damals rapid anmutenden 3 Stunden 40 Minuten jeden Morgen von Dübendorf nach Berlin – und gleichentags ­zurück!

Früher Cognac à discrétion, heute eingeschweisste Nüssli

Nelly Diener wurde der goldene Löffel nicht in den Mund gelegt. Zielstrebig organisierte sie sich ein Welschlandjahr und ein Haushaltsjahr im fernen Glasgow, denn Sprachen, das begriff sie, würden ihr die Tür in die grosse weite Welt öffnen. Ihr Kalkül ging auf, wenn leider auch nur für sehr kurze Zeit.  Am 27. Juli 1934 stürzte sie mit der Curtiss AT-32C bei Tuttlingen in Süddeutschland ab. Die Sternschnuppe am euro­päischen Aviatik­himmel verglühte.

Dennoch erhielt die Swissair Dutzende ­Bewerbungen von «höhensüchtigen» jungen Mädchen, die Nellys Stelle erben wollten. «Im Nu könnten wir eine mächtige, den Himmel verfinsternde Luftverkehrsflotte haben, wenn es nur auf die Stewardessen ankäme», bemerkte die Schweizer Presse mit Erstaunen. Und heute?

Wer seinen Blick über den Horizont schweifen lässt, kann vermutlich ein Flugzeug entdecken, in welchem gerade in diesem ­Moment eine vom Jetlag geplagte, etwas blasse Flight Attendant einem von 239 Passagieren ­einen Bloody Mary und eine Handvoll eingeschweisster Erdnüsschen aufs Klapptischchen drapiert. 

Pascale Marders Buch erscheint am 11. September im Bilgerverlag.

Buchpremiere «Nelly Diener – Engel der Lüfte»: 11. September, 20.30 Uhr, Orell Füssli, Bellevue Zürich

Lesungen: 20. September, 20 Uhr, Orell Füssli, Langhaus Baden, 26. September,  19 Uhr, Landesmuseum Zürich mit Besuch der Ausstellung «Walter -Mittelholzer: Pilot, Fotograf, Unternehmer»

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