«Nachtclub»-Moderator Ralph Wicki im Gespräch
«Ich habe oft Gänsehaut»

Wenn sich die Nacht über das Land legt, ertönt seine Stimme aus dem Radio. Ralph Wicki moderiert den «Nachtclub» auf SRF 1. Und hört zu, wenn seine Anrufer ihre Herzen öffnen.
Publiziert: 28.05.2018 um 18:27 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 15:50 Uhr
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Ralph Wicki (56) ist Moderator der Radiosendung "Nachtclub" auf SRF 1. Jeden Montag- bis Donnerstagabend spricht er mit seinen Zuhörern über Dinge, die ihnen am Herzen liegen.
Foto: Valeriano Di Domenico
Dana Liechti

Dienstagabend, kurz vor 22 Uhr. Im 3. Stock des SRF-Radiostudios in Zürich ist es ruhig. Die Computer sind aus, die Hektik des Tages vorbei. Nur im verglasten Studio brennt noch Licht. Gleich geht SRF-1-Moderator Ralph Wicki (56) auf Sendung. Er stellt ein Nachttischlämpli und eine Thermos­kanne, darin eisgekühltes Wasser mit Apfelsaft, aufs Pult.  Setzt sein kleines Plüschtier, das Lämmli, sorgfältig auf die Signalleuchte und dimmt das Licht – die Tür lässt er offen, wie immer.  Vor ihm liegen  mehrere Seiten Notizen zum Thema des Abends. Kindliche Fantasie im Erwachsenenleben. Wicki dreht die Lautstärke seines Kopfhörers aufs Maximum und beginnt seine Sendung: «Das isch dr Nachtclub mit em Ralph Wicki

Ralph Wicki, sind Sie glücklich?
Privat beschäftigen mich ein paar Sachen, deshalb ist es gerade keine Neun von zehn. Beruflich bin ich sehr glücklich. Ich habe jeden Tag das Hier-und-Jetzt-Gefühl und ­erlebe Neues. Aber es macht auch ein bisschen müde. Ich hatte mehr als 600 Sendungen. Das sind auch 600 Ideen und noch mehr Fragen, die man haben muss.

Die Frage nach dem Glücklichsein stellen auch Sie fast allen Ihren Anrufern. Wieso?
Weil die Frage schonungslos ist. Es gibt zwei Möglichkeiten: Man lügt oder man ist offen. Ich habe Mühe mit dem «Wie geht es dir?», das ist so eine oberflächliche ­Floskel. Wenn ich dich frage, ob du glücklich bist, gebe ich dir die Möglichkeit, wirklich zu erzählen.

Und bei Ihnen tun die Anrufer das auch. Wieso brauchen so viele Schweizer einen Ralph Wicki?
Emil hat mir einmal gesagt, dass es eigentlich ein Armutszeugnis ist, dass unsere Gesellschaft jemand Fremden braucht, der den Leuten zuhört, und Tausende andere Hörer noch dazu. Das gibt mir schon auch zu denken. Aber ich habe das ­Gefühl, es gibt viele Leute, vor allem ältere, die niemanden haben, mit dem sie reden können.

Foto: Valeriano Di Domenico

Gibt es Anrufer, bei denen Sie nicht einverstanden sind mit dem, was sie erzählen?
Ja. Darum nehme ich das Tele­fon normalerweise ab, während ein Lied läuft. Letzten Donnerstag zum Beispiel, als es darum ging, wie man zum Sex kommt, rief eine Frau an und schrie mich an: «Wicki, Sie Sau, müssen Sie denn jeden Donnerstag nur noch über Sex reden, haben Sie nur noch das im Kopf?» Solche Anrufe möchte ich natürlich nicht auf dem Sender haben.

Am gleichen Abend hat ein Hörer erzählt, dass er Prostituierte zu sich nach Hause nimmt und ­ihnen ein gutes Sackgeld gibt. Man spürte, dass Sie nicht ganz ­einverstanden waren mit seinen Aussagen. Trotzdem blieben Sie sachlich.
Ja, ich hätte das kommentieren können. Ich war noch nie im Leben in einem Puff, und wenn ich so ­etwas höre, diese eitle Von-oben-herab-Haltung, finde ich das schrecklich. Das Problem: Er ist ­keine Ausnahme. Aber ich lehne mich da nicht so weit aus dem ­Fenster, ich diskutiere nicht.

Das ist es Ihnen nicht wert?
Doch, das wäre es vielleicht schon. Aber es ist nicht der richtige Ort dazu. Und die Hörer spüren schon, was ich davon halte.

Was passiert, wenn mal niemand anruft?
Mittlerweile sage ich: «Wollen Sie mich wirklich im Stich lassen?», und dann rufen ganz viele an.

Sie können sich auf Ihren Club verlassen.
Ja. Das Vertrauen der Zuhörer ist gewachsen. Ich habe das Gefühl, es hat eine Art Verbindung gegeben. Die Kehrseite ist, dass mir viele auch sonst schreiben. Ich habe immer noch einen ganzen Sack Post, den ich bearbeiten sollte.

In den drei Stunden des «Nachtclubs» mache ich das gern, aber ich möchte danach nicht in einen so engen Kontakt kommen. Ich nehme alles mit nach Hause. Das ist manchmal stressig.

Foto: Valeriano Di Domenico

Vier Zusendungen hat Ralph Wicki diese Woche schon erhalten, es ist Dienstag. Einen Brief und drei Postkarten. Danksagungen, Lebensgeschichten, Grüsse. Die Leute mögen den Mann mit der rauen Stimme und dem Dialekt, der nicht mehr nur nach Luzern, sondern auch nach Bern und Zürich klingt. Sie vertrauen ihm.

Auch an diesem Abend rufen viele an, die Wicki schon mal am ­Telefon hatte. «Schön, wider vo dir z ghöre», sagt er dann.

Bestimmen Sie die Musik in der Sendung?
Ja, da merkt man sicher meine Handschrift, aber eigentlich dürfte ich das nicht. Früher bekam  ich jedes Mal Lämpe. Aber ich glaube, sie haben gemerkt, dass es gut läuft. Dabei halte ich natürlich die Musik­richtung des Senders ein. Für mich gehört die Musik zur Stimmung, genau wie das gedimmte Licht.

Vor der Nationalhymne, die ­immer um 0 Uhr läuft, sagten Sie einmal, dass jetzt alle aufstehen sollen. Sind Sie patriotisch?
Nein. Ich schätze sehr, wo ich sein darf. Aber vieles ist mir in der Schweiz zu oberflächlich, mich ­stören die Luxusprobleme, die Achtlosigkeit. Das mit der Hymne war eine Verwandlung. Als 20-Jähriger sah ich keinen Sinn darin.

Als ich hier anfing, wusste ich, dass es unver­meidlich ist, hier muss man sie wirklich jeden Tag spielen. Und irgendwann begann ich, sie zu mögen. Die Melodie, die Blechinstrumente, wirklich schön.

Welche Sendung ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Es sind mehr die Begegnungen, wie mit Florian Ast. Ich hatte meine Vorurteile, vor allem nach dem, was mit Francine Jordi vorgefallen war. Aber dann kam er, und ich lernte ihn völlig anders kennen.

Wie denn?
Von einer ganz sensiblen, schüchternen Seite. Ich hätte ihn am liebsten in den Arm genommen. Auch die Hörer schrieben, sie hätten ­einen ganz anderen Menschen kennengelernt. Das ist grandios, wenn einem so etwas passiert.

Gibt es auch Anrufer, die Sie ­besonders beeindrucken?
Ja, da war der 72-jährige Nöldi, der sich meldete, als ich Caroline Fux (BLICK-Sexberaterin) zum Thema Sex als Gast in der Sendung hatte. Er erzählte von seinen Erektionsproblemen und fragte, ob diese ­Tabletten, von denen er immer lese, etwas für ihn wären. Das hat mich sehr gerührt.

Wieso?
Weil dieser Nöldi, ein ehemaliger Bauer, den Mut hat, das anzusprechen, und nicht einfach dumme Witze macht oder ins Puff geht, sondern sich aktiv mit dem Thema auseinandersetzt. In seiner Generation waren diese Themen ja noch tabu. Wenn sich solche Personen melden, ist das sehr herzig, und ich freue mich für sie.

Ralph Wicki schafft es, mit seinen Sendungen nicht nur die Zungen der Leute zu lockern und ihre Herzen zu öffnen, sondern auch Menschen zu vereinen, die sich sonst vielleicht nie kennenlernen würden.

Gerade an dem Abend meldet sich Walter beim Moderator. Er habe vor kurzem im «Nachtclub» angerufen. Und jetzt sei doch tatsächlich diese Woche ein anderer Hörer vor seiner Tür gestanden. Er habe Walter bei Ralph Wicki gehört, wollte ihn treffen und habe ihn auf eigene Faust ausfindig gemacht. «Denn hemmer zäme käfelet», erzählt Walter. Ralph Wicki freuts.

Foto: Valeriano Di Domenico

Haben Sie auch schon geweint während einer Sendung?
Beim Vorbereiten hatte ich mal Tränen in den Augen, als ich Geschichten über tragische Lebenswenden gelesen habe. Während der Sendung habe ich noch nie geweint, aber ich habe oft Gänsehaut.

Das geben nicht viele Männer zu.
Das ist für mich keine Geschlechterfrage, sondern eine Frage des Gefühls. Ich war schon immer so. Ich staune manchmal, wie schwer sich Leute tun. Männer, die besonders Mühe haben, sind dann oft die, die böse auf mich sind, weil ich mit ihren Frauen so reden kann.

Sie schreiben auch Tagebuch.
Wenn ich Tagebuch schreiben kann mit meiner Sauschrift und den grammatikalischen Regeln, die ich einfach verletze, ist das wie ein Akt der Befreiung. Raus, raus, raus.

Apropos raus: Was passiert mit Ihnen nach der Sendung?
Phuuu. Ich atme zuerst mal richtig auf. Und rauche eine Zigarette. Meistens beantworte ich noch etwa eine Stunde Mails von Leuten, die mir schreiben oder in der Sendung keinen Platz hatten.

Und zu Hause?
Der schönste Moment ist der, wenn ich im Bett liege, zwischen dem Wachsein und Einschlafen schwebe und nichts mehr tun muss.

Ralph Wicki wohnt unter der Woche einen Katzensprung vom Radiostudio entfernt. Kurz vor Arbeitsbeginn um 16 Uhr spaziert er mit Flipflops ins Büro, er mag es gern frei im Kopf und an den Füssen.

Auch an diesem Abend trägt er sie, obwohl es in Strömen regnet. Telefoniert er mit seinen Hörern, wackelt er oft mit den Zehen, spielt er ­Musik, wippt er mit den Füssen. Die Stille ist es, die der Moderator an der Nacht liebt.

Was machen Sie, wenn kein «Nachtclub» ist?
Das sind die Abende, an denen ich mit jemandem zum Znacht abmachen kann. Im Moment bin ich fasziniert vom Hypnotisieren, ich habe mir Bücher darüber gekauft. Und ich schlafe gern. Unter der ­Woche kann ich nicht mehr als drei, vier Stunden schlafen. Am Wochenende werden es schon mal 13, und das geniesse ich. Ich kann auch gut auf dem Balkon schlafen, in der Sonne.

Mögen Sie auch den Tag?
Der Tag ist nicht verachtenswert. Ich begegne vielen Leuten, denen ich bei Nacht nie begegnen würde. Und ich liebe die Sonne. Aber die Geräuschkulisse ist nicht mein Ding. Und,  Sie glauben es nicht, überall, wo ich bin, ist auch ein Laubbläser oder Rasenmäher.

Sensibler Nachtmensch

Ralph Wicki wurde 1961 in Luzern geboren. Nach diversen Studiengängen, darunter Literatur und Politologie, stieg er über ein Praktikum beim Radio ein, war Geschäftsführer von Radio 32 und Musik­leiter von DRS 1. ­Danach machte er sich selbständig.

Als ihn eine Bekannte vor vier Jahren auf die ausgeschriebene Stelle als «Nachtclub»-Moderator aufmerksam machte, fühlte er sich sofort berufen. Privat ist Wicki seit mehr als 20 Jahren in festen Händen, Kinder wollte er nie. Wicki wohnt in Zürich und Bern. Er plant, früher aus dem Berufsleben auszusteigen, um auf Reisen zu gehen.

Ralph Wicki, Moderator von Nachtclub bei SRF 1.
Valeriano Di Domenico

Ralph Wicki wurde 1961 in Luzern geboren. Nach diversen Studiengängen, darunter Literatur und Politologie, stieg er über ein Praktikum beim Radio ein, war Geschäftsführer von Radio 32 und Musik­leiter von DRS 1. ­Danach machte er sich selbständig.

Als ihn eine Bekannte vor vier Jahren auf die ausgeschriebene Stelle als «Nachtclub»-Moderator aufmerksam machte, fühlte er sich sofort berufen. Privat ist Wicki seit mehr als 20 Jahren in festen Händen, Kinder wollte er nie. Wicki wohnt in Zürich und Bern. Er plant, früher aus dem Berufsleben auszusteigen, um auf Reisen zu gehen.

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