Auf einen Blick
«Wenn du etwas für deine Kinder tun willst, kauf ihnen Nestlé-Aktien und lass sie liegen», lautet seit Jahren der gönnerhafte Rat von erfahrenen Bankern, die an den Märkten viel gewonnen, aber auch viel verloren haben. Mit den Aktien des Giganten vom Genfersee konnte man nichts falsch machen. Sie kletterten von einem Hoch zum nächsten. Doch der Nestlé-Trade funktioniert nicht mehr.
Seit Corona kommt die Aktie nicht mehr vom Fleck. Ende 2021 kostete sie fast 130 Franken, jetzt sind es noch 83 Franken und «vielleicht fallen sie noch auf 60 Franken», sagt ein auf Schweizer Aktien spezialisierter Portfoliomanager. Der Absturz der Kinder-und-Grosskinder-Aktie ist enorm. In drei Jahren hat Nestlé 36 Prozent oder 120 Milliarden Franken an Börsenwert verloren. Mit 220 Milliarden liegt das Food-Unternehmen nur noch knapp vor Novartis (213 Milliarden) und Roche (211 Milliarden). Wenn es so weiter geht, wird der Nespresso-Konzern also bald nicht mehr das wertvollste Unternehmen der Schweiz sein. Den Spitzenplatz in Europa musste es längst abgeben.
Problem für Privatanleger
Dem Portfoliomanager macht der Wertverlust der Aktien nicht viel aus. Dies liegt daran, dass er seine Portfolios aktiv verwaltet und Schwergewichte wie Nestlé untergewichtet. Passive Fonds hingegen, die einen Index eins zu eins abbilden, sind den Kursschwankungen der Schwergewichte stärker ausgesetzt. Das ist ein Problem für Privatanleger, die ihr Sparbatzen in Dritte-Säule-Indexfonds anlegen, aber auch für Pensionskassen, die zunehmend passiv anlegen.
Es gibt keine wirklich handfesten Gründe, warum Nestlé ins Stocken geraten ist. Vielleicht hat der alte CEO die falschen Firmen gekauft, zu stark auf Lifestyle gesetzt und Firmen abgestossen, die zwar solide Cashflows liefern, aber wenig Wachstum aufweisen. Tatsache ist: Nestlé wächst nicht mehr mit 4 bis 6 Prozent pro Jahr, sondern noch mit 2 bis 3 Prozent. Das ist gut, aber nicht mehr supergut.
Priced for Perfection
Nestlé war «Priced for Perfection», sagt der Portfoliomanager. Das bedeutet, dass der Aktienkurs eines Unternehmens so stark gestiegen ist, dass ein drastischer Kursrückgang droht, wenn das Unternehmen weniger als die perfekte Prognose abliefert. Dass genau das bei Nestlé der Fall ist, lässt sich kaum bestreiten.
Kein Wunder, dass die Gilde der Finanzanalysten begonnen hat, die Kursziele von Nestlé nach unten zu korrigieren. Zuerst war es die US-Investmentbank Morgan Stanley, die eine Verkaufsempfehlung aussprach. Diese Woche senkte die Citigroup den Daumen über Nestlé. All diese Herabstufungen erfolgen mit der üblichen Verspätung, da die Finanzanalysten in der Regel den Entwicklungen hinterherlaufen.
Ebenfalls abgestraft wurde die Grossbank UBS. Der Kursboom nach der CS-Übernahme ist vorbei. Die Bank hat in den letzten sechs Monaten deutlich verloren. Sie ist die viertschlechteste Aktie im SMI. Überhaupt sind Bankaktien keine Kinder-und-Grosskinderaktien. Ältere Semester erinnern sich: Vor 25 Jahren war eine UBS-Aktie deutlich mehr wert als heute. Nestlé hat ihren Kurs vervierfacht. Roche hat ihn immerhin verdoppelt.