Kolumne von Style Writer Wäis Kiani
Schenkt euch Freiheit

Was mein Vater denkt, macht keinen Unterschied für mich und meine Lebensgestaltung.
Publiziert: 15.11.2015 um 09:39 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 16:35 Uhr
Wäis Kiani
Wäis KianiStyle Writer

Eigentlich hatte ich für diese Woche eine andere Kolumne über das unerfüllte Sexleben meiner Grossstadtsklaven-Bekannten vorbereitet, aber dann bekam ich ein sehr langes Mail eines besorgten Lesers. Der Mann ist ein Fan dieser Seite und hat «Die Susi-Krise» gelesen, und meint dadurch viel über das Wesen und Verhalten seiner Tochter (21) und seines Sohnes (28) zu wissen.

Er schreibt: «Sie beide spiegeln fast exakt die Charaktere einer Susi in allen Facetten wieder. Die Tochter will einfach keinen Mann, hat nicht einmal einen Freund und treibt sich immer nur mit Kolleginnen herum. Sie gehen aus, trinken und schlafen zusammen und behaupten, sie seien lesbisch. Mein Sohn geht meist nur mit Männern in die Kneipe zum Biertrinken. Er hat überhaupt kein Interesse an Frauen, nicht einmal Interesse am Sex. WIE SOLL ICH DA NUR GROSSVATER WERDEN? Es ist eine Katastrophe! Da will sich ein Mann fortpflanzen, seine Gene an die nächste Generation weitergeben. Und nun dies.»

Was sagen Sie dazu, meine hochverehrten Leser und Leserinnen? Was antworten wir diesem Mann? Natürlich bin ich etwas überrascht, dass der Inhalt meines Buches ihm Aufschluss über sein merkwürdiges Problem geben konnte. Aber viel überraschter bin ich, dass er denkt, bei mir Rat und Zuspruch zu finden, weil seine Kinder nicht seinen persönlichen Vorstellungen entsprechen.

Ich habe keine Kinder und kann mir darum nur ungefähr vorstellen, welche Vorstellungen er von seinem Nachwuchs hat und wie sich das anfühlt, wenn sich nichts davon erfüllt. Aber ich bin Kind und habe Eltern, und entspreche in keinster Weise den Erwartungen meines Vaters (denen meiner Mutter zum Glück schon). Und, es ist traurig für unseren Leser, was ich jetzt sage: Was mein Vater denkt, macht keinen Unterschied für mich und meine Lebensgestaltung. Es ist sein Problem. Genauso ist es nur das unseres Lesers und keines für seine Kinder.

Er will Enkel? Kann doch noch kommen, seine Kinder sind ja noch jung. Und wenn nicht, dann hat er eben keine. Er findet Lesbisch-Sein doof? Wäre es nicht viel wichtiger, sich zu freuen, dass seine Tochter weiss, was sie will, und den Mut hat, es zu tun? Wenn sein Sohn kein Interesse an Sex hat, dann können sie doch vielleicht über etwas anderes sprechen? Jeder ist entweder Elternteil oder Kind, und viele sind sogar beides: Schenkt euch Freiheit. Lieben heisst, freizulassen und die Entscheidungen der anderen zu respektieren. Was für den Vater verheissungsvoll erscheint, ist für das Kind oft das pure Grauen, und niemand wurde glücklich, weil er es sich zur Pflicht gemacht hat, seinen Eltern, der Gesellschaft oder sonst irgendwem zu gefallen.

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