Interview mit Ahmad Mansour
«Integration ist nicht das Feiern von Unterschieden»

Er ist der Radikalisierungsexperte des deutschsprachigen Raums. Und polarisiert wie kein anderer. Ahmad Mansour über Gewalt gegen Frauen durch Migranten und die Doppeladler-Debatte.
Publiziert: 19.08.2018 um 20:27 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 20:26 Uhr
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Der Experte fürs Radikale, Ahmad Mansour, kam 1976 in der israelischen Stadt Tira als Sohn arabischer Israelis auf die Welt.
Foto: Sabine Wunderlin
Aline Wüest

Über wen ärgern Sie sich am meisten in der Integrationsdebatte?Ahmad Mansour: Über die Politiker der Mitte. Denn von Rechtsradikalen kann ich nichts erwarten, und mit der Linken habe ich schon lang abgeschlossen.

Was ist Ihr Problem mit den ­Linken?
Sie fühlen sich moralisch überlegen. Sie glauben, dass wir alle aufnehmen sollen und nichts von diesen Menschen erwarten können. Sie wollen mit uns Muslimen kuscheln. Wir sind ihre Kuscheltiere. Sie wollen uns schützen und uns die Welt erklären. Aber in dem Moment, wo wir mündige Bürger werden und – wie ich – auch Kritik an un­serer Community ausüben, da wollen sie nichts mehr mit uns zu tun haben. Sie sind genauso fanatisch wie die Rechtsradikalen, die uns für wilde Tiere halten und nicht glauben, dass wir uns integrieren können.

Sie sprechen Fremdenfeinden aus dem Herzen.
Wissen Sie, die vereinnahmen mich höchstens einen Satz lang, aber beim nächsten, den ich sage, bin ich für sie doch wieder einfach ein Muslim, der die Gesellschaft unterwandern will. Ich bin ein mündiger Mensch, und ich sage ­Sachen, die aus meiner Arbeit ­resultieren. Das gefällt manchmal dieser und manchmal der anderen Seite. Aber deshalb zu schweigen und Themen zu tabuisieren, ist für mich keine Option.

Warum sind Sie enttäuscht von den Mitteparteien?
Sie sind nicht mehr fähig, eine differenzierte Debatte zu führen, weil sie Angst haben, dass Rechtsradikale von dieser Debatte profitieren. Ich merke, dass für diese ­Politiker Integration nichts anders ist, als die Sprache zu lernen, Arbeit zu finden und nicht kriminell zu werden. Nach dieser Definition sind die Terro­risten von Barcelona oder Mouhamad Atta super ­integriert gewesen.

Was ist denn Integration?
Es geht nicht nur darum, die Werte des Landes zu verstehen, sondern auch darum zu begreifen, dass es eine persönliche Bereicherung ist, wenn man danach lebt. Davon sind wir weit weg. Deshalb entstanden diese Parallelgesellschaften, die aus der linken Perspektive schöne Orte sind, wo man unterschiedlich essen kann. Aber dass die Menschen da nicht selbstbestimmt ­leben dürfen, dass die Frauen da nicht die gleichen Chancen haben, interessiert die Linken nicht. Das ist nichts anderes als Rassismus.

Wir verfallen als Gesellschaft ­immer mehr in die Extreme. Es geht oft nur noch darum zu polarisieren. Das macht mir Angst – auch wenn ich Ihnen zuhöre.
Die Polarisierung macht mir auch Angst. Deshalb müssen wir damit anfangen, in der Mitte der Gesellschaft diese Themen für uns zu beanspruchen. Es darf nicht sein, dass beispielsweise das Thema Burkaverbot nur von rechts­radikalen Parteien aufgegriffen wird. Ich habe das Gefühl, dass in vielen europä­ischen Ländern aus Angst vor Rechtsradikalismus nicht über diese Themen geredet wird.

Europa rückt auch immer mehr nach rechts. Was also ist Ihre Lösung?
Man muss ihnen diese Themen wegnehmen. Die AfD und die ­anderen Parteien haben keine Lösungen. Sie leben von Angst. Aber diese Angst ist real: Es gibt Herausforderungen, die Gesellschaft ändert sich. Die Lösung ist nicht zu schweigen, sondern anfangen zu handeln. Mein Ziel ist nicht ein Kampf gegen die Muslime, sondern ein Kampf um die Muslime. Wir müssen sie ­gewinnen und dazu bewegen, ein Teil dieser demokratischen Gesellschaft zu sein.

Kürzlich habe ich mit Albanern gesprochen. Sie sagten, dass sie das Gefühl hätten, überall fremd zu sein – im Heimatland wie auch in der Schweiz. Kennen Sie dieses Gefühl?
Wenn jemand migriert, ist dieses Gefühl der Fremde immer dabei. Das äussert sich in Identitätskonflikten, die spielen heute gerade bei Jugendlichen eine grosse Rolle. Aber ich sage es in aller Deutlichkeit: Das ist absolut normal und kein Grund, dass die Leute anfangen, die Schweiz zu hassen. Die ­Frage ist, was sie damit machen. Jammern sie den ganzen Tag? Oder versuchen sie Teil dieser Gesellschaft zu sein und dieses Gefühl der Fremde aufzuarbeiten?

Wir diskutierten während der WM darüber, ob es Verrat an der Schweiz ist, wenn Nationalspieler mit kosovarischen Wurzeln ein Goal mit dem Doppeladler bejubeln. Was denken Sie?
Ich halte es für hochproblematisch, wenn im Namen der kulturellen Unterschiede Dinge legitimiert sind, die gegen die Verfassung oder gegen die Grundprinzipien und Werte verstossen. Die beiden haben für die Schweiz gespielt und nicht für Albanien. Sie dürfen ihre albanische Herkunft nicht vergessen. Aber in diesem Moment waren sie Schweizer Spieler.

Sie behaupten, es gibt eine ­Tendenz bei Migranten, die Mehr­heitsgesellschaft abzulehnen.
Ja, und das stört mich. Man wirft dieser Mehrheitsgesellschaft Rassismus oder Diskriminierung vor. Aber ist nicht bereit, sich zu be­wegen und auf die Einheimischen zuzugehen, zu lernen, neugierig zu sein.

Sondern?
In der muslimischen Community gibts zunehmend die Tendenz, die Art und Weise, wie Schweizer oder Deutsche leben, abzuwerten. Weil die Leute Schweinefleisch essen, weil sie Alkohol ­trinken, weil sie ihre Beziehungen anders gestalten.

Woher kommt diese Abwertung?
Aus Angst davor, die Identität zu verlieren, dass die Familie schlecht über einen redet, weil man anders geworden ist oder die eigenen Kinder anders werden. Das spielt alles eine grosse Rolle. Auch Minderwertigkeitskomplexe. Wenn ich Angst habe, etwas zu verlieren, ­mache ich zu, und eine An­näherung ist nicht möglich.

Eine provokante These Ihres ­neuen Buchs: Wir sprechen in ­Integrationskursen lieber über Mülltrennung statt über Werte. Was meinen Sie damit?
Ich besuchte sehr viele Integrationskurse. Dort wird gesagt: Hier gibts Gleichberechtigung und Demokratie. Man erklärt dann, welche Wahlsysteme es gibt, wie Bundespräsident und Kanzlerin ­gewählt werden.

Daran ist nichts falsch.
Nein. Aber wir müssen doch sagen, was Demokratie im Alltag bedeutet. Demokratie bedeutet auch, dass der Staat eingreifen muss, wenn das Kindswohl in Gefahr ist. Demokratie bedeutet, die Freiheit zu haben, auch eine Religion zu ­kritisieren. Wir können nicht einfach sagen: Es gibt hier Gleichberechtigung. Wir müssen erklären, was das heisst: Gleichberechtigung bedeutet, dass die Tochter einen Freund haben kann, Sex mit ihm haben darf, wenn sie das will. Dass die Tochter am Schwimmunterricht teilnimmt, keiner Lehrerin der Handschlag verweigert wird.

Warum sprechen wir nicht darüber?
Weil wir kein Interesse an den ­Menschen haben und weil das Konfliktthemen sind, die einen ganz anderen Ansatz bräuchten. Nicht einfach einen überforderten Lehrer, der mit dem Unterricht und den Menschen von der Politik im Stich gelassen wurde und froh ist, wenn es vorbei ist ohne grosse Konflikte. Aber vor allem müssen wir als ­Gesellschaft zuerst einmal selber unsere Werte definieren: was verhandelbar ist, was nicht.

Wie würden Sie das Frauenbild der Migranten beschreiben, mit denen Sie zu tun haben?
Es gibt Migranten, die einen ganz entspannten Umgang zwischen den Geschlechtern pflegen, wie es damals die Syrer in Damaskus ­taten. Aber wir haben auch eine grosse Gruppe von Menschen, die diesen entspannten Umgang mit Sexualität nicht hat.

Warum?
Sie sind in patriarchalen Gesellschaften aufgewachsen, wo die Frauen nichts zu sagen hatten, nur zu Hause waren, wo die Männer die Aufgabe hatten, auf die Frauen aufzupassen, und Frauen, die sich nicht dementsprechend benehmen, abgewertet und teilweise auch ­verachtet werden.

Was passiert, wenn solche ­Männer auf europäische Frauen treffen?
Diese Männer verstehen die Kommunikation nicht. Sie glauben, es ist eine Einladung, wenn eine Frau nachts allein unterwegs ist. Das führt zu Missverständnissen und in Extremfällen zu Vergewaltigungen oder zu Ereignissen wie in der Kölner Silvesternacht. Das darf man nicht verallgemeinern. Aber diese Gruppe von Männern, die müssen wir er­reichen und ihnen klarmachen: Eine Frau, die einen Minirock trägt oder nachts unterwegs ist, ist keine Frau, die vergewaltigt ­werden oder von fremden Männern angesprochen werden will.

Wie können wir das klarmachen?
Indem wir zeigen, dass solches ­Verhalten Konsequenzen hat. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass wir eine Rechtsstaatlichkeit haben, die diese Leute irgendwie abschreckt.

Sie fordern härteres Durchgreifen.
Menschen, die ihr Asylrecht missbrauchen, die gefährlich für die Mehrheitsgesellschaft werden und ihr Verachtung entgegenbringen, haben hier kein Asylrecht. So deutlich muss man sein.

Unbestritten ist eine antisemi­tische Haltung unter Muslimen verbreitet. Zu behaupten, dass die Zuwanderer schuld seien am Antisemitismus, ist aber gerade in Deutschland absurd.
Natürlich gibt es Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft. Das ist eine Herausforderung für uns alle. Aber jedes Mal, wenn über muslimischen Antisemitismus gesprochen wird, höre ich: Vergessen Sie nicht, dass es bei uns auch Antisemitismus gibt. Das ist nur Relativierung und keine Auseinandersetzung. Genauso wie die Frauen, die kürzlich nach einer Tagung in der Schweiz zu mir ­kamen und sagten: In der Schweiz gibt es auch patriarchalische Strukturen. Natürlich gibt es das! Und natürlich müssen wir das bekämpfen. Aber jetzt reden wir über an­dere Ursachen, eine andere Community. Die müssen wir definieren. Nicht, weil ich diese Leute als bösartig ­bezeichnen will, sondern weil die Entstehungsgründe anders sind und weil wir andere Konzepte brauchen, um sie zu bekämpfen.

Wir scheinen alle ein bisschen überfordert mit diesem Thema.
Warum? Warum ist Europa, das so viel geleistet hat mit diesem Thema, so überfordert? Es ist ein Thema von vielen. Aber weil die Debatte so geführt wird, ist da ­diese Angst, sofort als Rassist bezeichnet zu werden, weil die andere Seite immer Moral ruft. Darum sind wir überfordert, weil niemand rassistisch sein will. So entstand eine Atmosphäre, in der eine sachliche Debatte nicht mehr möglich ist. Das ist gefährlich.

Wie also gelingt Integration?
Indem wir uns bewusst sind, dass Integration nicht das Zelebrieren von Unterschieden, sondern das Festlegen von gemeinsamen Regeln ist, die alle verinnerlichen und ­ihnen überzeugt folgen.

Ahmad Mansour: «Klartext zur ­Integration», S.-Fischer-Verlag.

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