«Ich sah 5000 nackte Frauen an einem Tag»

Der US-«Playboy» verzichtet künftig auf Nacktfotos. Sein erster deutscher Chefredaktor Fred Baumgärtel erklärt, wie sich das Bild der Frau in den Gedanken der Männer verändert hat.
Publiziert: 01.11.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2018 um 11:40 Uhr
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Fred Baumgärtel in seinem Münchner Stammlokal Antica Trattoria. «Wir haben uns an Sex satt gesehen.»
Foto: Pascal Mora
Von Fibo Deutsch und Peter Hossli

SonntagsBlick: Herr Baumgärtel, wie gut sind die oft gepriesenen Interviews im «Playboy» wirklich?
Fred Baumgärtel: Die Interviews waren stets das Beste am ganzen Heft. Da haben sich die Autoren ungeheuer viel Mühe gegeben. Einige dauerten mehrere Tage. Ernest Hemingway liess sich eine Woche lang befragen.

Welches war rückblickend das beste «Playboy»-Interview?
Es war eine Sensation, als US-Präsident Jimmy Carter sagte, er hätte Gedanken, die an seiner Ehe vorbeizielten. So etwas hätte ein deutscher Bundeskanzler nie sagen können.

Künftig kann man solche Interviews ungestört lesen. Der US-«Playboy» druckt bald keine nackten Frauen mehr, die ablenken.
Aber er druckt weiterhin Fotos schöner Frauen. Und die können durchaus ablenken. Beim «Playboy» lesen alle mit dem einem Auge – und schauen mit dem anderen hin.

Warum verzichtet der «Playboy» künftig auf nackte Playmates?
Heute gibt es an den Filmfestspielen in Cannes mehr nackte Haut zu sehen, als der «Playboy» jemals hatte. Es hat mehr Fleisch im Internet, als man je drucken könnte.

Warum verzichtet der deutsche «Playboy» nicht auf Nacktfotos?
Er dürfte nachziehen, sollte sich aber Zeit lassen. Die Nacktfotos sofort zu stoppen, wäre Selbstmord aus Angst vor dem Sterben.

Der älteste Spruch der Medienbranche lautet «Sex Sells» – Sex steigert die Auf-lage. Warum stimmt das heute nicht mehr?
Weil es ein Überangebot an Sex gibt. Jede Speisekarte in jedem zweitklassigen Restaurant zeigt heute eine nackte Kellnerin.

Steigt denn die «Playboy»-Auflage ohne nackte Haut wieder?
Daran habe ich meine Zweifel. Gut angezogene Männer betrachten gut angezogene junge Frauen und erhalten Tipps, welche Krawatte sie tragen sollen. Wer mag denn so etwas lesen?

Ist der «Playboy» noch der «Playboy»?
Natürlich nicht. Die Idee von Hugh Hefner war grossartig: Männer habt Spass am Leben. Das kann ein Auto bereiten, eine Reise. Und natürlich die nackten Mädchen. Frauen gehören Gott sei Dank noch immer zum Leben.

Ist der «Playboy» tot?
Bei einem Auto ist das Lenkrad ein kleiner Bestandteil. Nimmt man es weg, stirbt das Auto. Beim «Playboy» waren die Nacktfotos ein bescheidener Bestandteil. Sind sie weg, ist er tot.

Was füllt die Lücke, die der «Playboy» hinterlässt?
Er verabschiedet sich von der Pervertierung des weiblichen Körpers. Was gut ist. Im Internet finden Sie mehr Nacktangebote, als Sie jemals verkraften können.

Der «Playboy» setzte auf die Frau als Wild, an das man sich nach weidmännischen Regeln heranpirschen konnte.Selbstverständlich.

Männer wissen: Das lässt sich keine Frau mehr gefallen!
Der Mann ist nicht mehr so sehr daran interessiert. Der Abstand zwischen Jäger und Wild ist geringer geworden. Früher sagte er sich: «Die da drüben muss ich erobern.» Geht es heute gut, erobert sie ihn. Geht es schlecht, sagt sie ihm: «Du hast sie ja nicht alle.»

Es braucht die Kunst der Verführung nicht mehr?
Sex ist immer verfügbar. Das Erobern ist weg – und damit der Spass. Bekommst du zentnerweise Orangen geschenkt, interessieren dich Orangen nicht mehr.

Wann ist ein Foto erotisch?
Wenn sich was bewegt. Im Kopf.

Was ist billige Effekthascherei?
Wenn man zu viel zeigt, zu viel gleichzeitig. Das stumpft ab.

Heute ist Sex überall. Gibt es denn noch Erotik?
Wahrscheinlich hat Toulouse-Lautrec die letzte Erotik gemacht.

Sind Medien noch erotisch?
Als «Bild» aufhörte, das Mädchen des Tages auf der ersten Seite zu zeigen und dieses ins Innere der Zeitung verbannte, da war mir klar: Es ist vorbei.

BLICK macht das noch.
Nehmen Sie das nicht als Beleidigung: Aber Schweizer sind noch prüder als Deutsche. Für sie ist diese Art Sex offenbar noch immer interessant. Sonst würde der BLICK-Chef das ja nicht drucken.

Welche Grenzen zogen Sie, wenn Sie Frauen nackt zeigten?
Bei mir zog die Staatsanwaltschaft die Grenzen. Bis 1977 zeigte der «Playboy» nie Schamhaare. In Amerika waren erste Schamhaare eine Sensation. Hefner zeigte sie, weil sechs Monate zuvor «Penthouse» damit an den Kiosk ging.

Er hatte Angst vor Konkurrenz?
Es gab eine erbitterte Rivalität zwischen den beiden Magazinen. «Penthouse» brachte mehr Sex. Da sah sich Hefner – stöhnend zwar – gezwungen, ebenfalls Schamhaare zu zeigen.

Fans mussten zwischen «Penthouse» und «Playboy» wählen – wie zwischen den Beatles und den Rolling Stones?
Man musste gar nichts – sondern konnte das Kirchenblatt lesen.

Wer nie ins Penthouse einzog oder zu scheu war, Playboy zu sein, dem blieb der hässliche «Hustler».
«Playboy» hat stets versucht, ein Männermagazin zu sein. «Hustler» wollte ein Pornomagazin sein. Die beiden haben daher nichts miteinander zu tun.

Als das Internet aufkam, setzte «Penthouse» auf Hardcore. Weshalb folgte der «Playboy» nicht?
Weil es dann kein Männermagazin mehr gewesen wäre, sondern eine Onaniervorlage. Was Hefner nie wollte.

Warum funktionieren Sex-Magazine für Frauen nicht?
Es gibt ja in der Kunst mehr Frauenakte als Männerakte. Ausser in der Renaissance, da haben sie diesen Jungen in Florenz nackt auf einen Sockel gestellt. Aber dessen Geschlechtsteil ist so klein, dass man ein Vergrösserungsglas braucht, um es zu erkennen.

Hefner machte nach dem Krieg ein Magazin für Männer. Warum war der «Playboy» so erfolgreich?
Er sagte mir: «Du musst aus jedem Topf etwas haben. Und es muss stets vom Besten sein.» Für Zeichnungen heuerte er die besten Illustratoren an, für Geschichten die besten Autoren. Er liess nur Personen interviewen, die wichtig  waren. Die besten Fotografen lichteten die Mädchen ab. Dann sagte er: «Und wenn es schöne Mädchen sind, schadet das nicht.»

Wie arbeitete Hefner?
Einst sass ich eine ganz Nacht bei ihm, er trug einen samtenen Morgenrock, trank nur Pepsi. Alle fünf Minuten brachte ihm einer eine neue Flasche, stets mit einer weissen Serviette rundherum. Dazu ass er eine Lammkeule. Gott sei dank hatte er einen deutschen Barkeeper, der uns in Pappbechern heimlich feinsten Bordeaux servierte. Hefner war besessen davon, ein gutes Magazin zu machen.

Hat Hefner ein Bedürfnis gestillt oder eines geweckt?
Er hat eine Nische gefunden. Es gab das Bedürfnis, er bediente es. Es gäbe den Porsche nicht, wenn niemand sagen würde, das ist das beste Automobil der Welt. «Playboy» hat Sehnsüchte verkauft.

Diese Sehnsüchte – der Porsche, die schönen Anzüge, die Frauen – konnten sich die Leser nicht leisten. Warum kauften sie das Magazin trotzdem?
Weil die meisten Opel-Fahrer vom Porsche träumen. Und weil viele Männer von etwas anderem träumen, wenn sie sehen, wer bei ihnen zu Hause im Bett liegt. Die Sehnsucht, etwas Besseres zu haben, etwas Besseres zu sein, hat Hefner nicht erfunden, sie gehört zum Menschen. Hefner hat sie bloss genial verpackt. Er zeigte das Mädchen von nebenan nackt. Zumal er weiss: Unsere Fantasie kreist um das, was wir kennen.

War er selbst ein Playboy?
Überhaupt nicht. Er trinkt keinen Alkohol, ist beim Essen zurückhaltend. Autos bedeuten ihm nichts.

Aber er mag Frauen.
Er ist jetzt zum dritten Mal verheiratet. Ein grosser Casanova war er nicht. Sicher, sein Geld hat ihn sexy gemacht. Je älter er wird, umso mehr sorgt er sich um seine Manneskraft. Deshalb reist er jetzt mit sechs Frauen herum. Wobei alle klein sind und einen grosse Busen haben. Hefner steht da, im Abendmantel, wie der kleine Gott.

Und was haben Sie von Hefner übernommen?
Nachts ziehe ich mir einen Schlafanzug über, keinen samtenen Morgenrock.

Wer ist der wahrste Playboy, der Ihnen jemals begegnet ist?
Porfirio Rubirosa, der dominikanische Rennfahrer und Diplomat. Er lebte und starb wie ein Playboy.

Und Gunter Sachs?
Der war immer nur auf der Suche nach sich selbst.

Gibt es heute noch Playboys?
Mir ist keiner bekannt. Nicht mal im Fussball. Einst waren Beckenbauer und Netzer Playboys, die haben ja auch was im Kopf. Heute sind nur noch die Füsse wichtig.

Was bringt es einer Frau, wenn sie im «Playboy» posiert?
Bei mir waren das 10 000 D-Mark. Für einige wurde mehr bezahlt. Schauspielerin Elke Sommer verlangte viel mehr.

Wie haben Sie die Playmates ausgesucht?
Dafür hatte ich zwei Redaktorinnen.

Frauen wählen schöne Frauen besser aus als Männer?
Selbstverständlich. Sie sind kritischer. Frauen haben ein geübteres Auge, und sie sehen Fehler an Frauen viel besser. Männer sagen rasch, ach, die ist aber nett. Sie lassen sich von Gefühlen treiben. Frauen weit weniger.

Der erste englischsprachige «Playboy» erschien in Deutschland. Wer kaufte «Playboy», als Sie erster Chefredaktor waren?
Dreissig Prozent waren Frauen. Vermutlich, weil sie ihren Männern eine Freude machen wollten. Und es waren Opel-Fahrer, die vom Mercedes träumten.

Und wer kauft ihn heute?
Mercedes-Fahrer, die vom Rolls-Royce träumen.

Das sind bedeutend weniger. Sie hatten eine Auflage von 500 000 Exemplaren. Heute sind es trotz Wiedervereinigung nur noch 180 000. Was ging schief?
Das Gleiche wie in Amerika. Das Internet hat dem deutschen «Playboy» zugesetzt. Und die übersexualisierte Umwelt. Wir haben uns an Sex sattgesehen.

Wie erotisch war die Gesellschaft, als Sie den «Playboy» nach Europa brachten?
Die Deutschen wussten damals gar nicht so richtig, was Erotik ist.

Und heute?
Wenn Sie sich das deutsche Bundeskabinett anschauen, dann hat sich Ihre Frage schon beantwortet. Die Einzige, die Erotik ausstrahlt, ist die Frau von der Leyen, eine Mutter von fünf Kindern.

Männer suchen mittlerweile Befriedigung im Job statt Spass nach Feierabend. Ist Arbeit die neue Erotik?
Stimmt das? Viele Männer wollen nicht wirklich ganz an die Spitze. Sie sind zufrieden mit dem kleinen Haus, der Familie und dem netten Auto vor der Türe. Oder sie teilen das Auto sogar mit anderen. Männer rühmen sich auch damit, ihr Baby zu wickeln. Früher wären sie deshalb als Weichei belächelt worden.

Ein Mann, der ein Baby wickelt, ist weit weg vom «Playboy».
Warum sollte er? Er kann ihn ja mit einer Hand blättern.

In den vergangenen 60 Jahren gab es drei Brüche in der Sexualität. Der erste war die Pille.
Die Pille hat alles verändert. Plötzlich war die Frau frei. Sie konnte Partner suchen, nehmen und weiterziehen. Zuvor musste sie immer sagen: «Bitte pass auf.»

Dann kam Aids.
Durch Aids wurden alle wieder selektiver. Und was ist der dritte Bruch?

Das Internet.
Was ganz schlimm ist. Nun haben die Menschen keine Partner mehr. Das Internet ist der Partner.

Wenn Sie Bilanz ziehen: Welches war Ihr schönster Job?
Da muss ich nicht lange überlegen: die Chefredaktion beim «Playboy». Nie hatte ich mehr Freiheiten. Der Verleger liess mich in Ruhe, das Geschäft florierte.

Sie waren nonstop umgeben von Bildern nackter Frauen. Hat Sie das nicht abgestumpft?
Einmal im Monat sass ich beim Art Director. Wir schauten zusammen Tausende von Fotos an. Damals begegneten mir an einem Tag 5000 nackte Frauen. Danach war ich froh, dass meine Frau angezogen war, wenn ich nach Hause kam.

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