Auf einen Blick
Caramel kaut genüsslich auf einem Büschel Heu. Ihr dichtes, weiches Fell schimmert im warmen Licht des Stalls. Doch Caramel ist keine gewöhnliche Ziege: Sie gehört zu den nur rund 400 Kaschmirziegen, die in der Schweiz gehalten werden.
Die edle Wolle, die Caramel liefert, ist heute längst nicht mehr nur ein Luxusgut. Während ein Kaschmirpullover früher mehrere Hundert Franken kostete, bieten heute Modelabels wie Uniqlo oder C&A das Kleidungsstück bereits für 80 Franken an.
Vegetation wird zerstört
Pro Jahr werden weltweit etwa 24'000 Tonnen Kaschmir produziert. Um den steigenden Bedarf zu decken, werden immer mehr Kaschmirziegen benötigt. Allein in der Mongolei, nach China der zweitgrösste Kaschmirproduzent der Welt, hat sich die Anzahl Kaschmirziegen in den letzten 20 Jahren von 10,6 Mio. auf 24,6 Mio. mehr als verdoppelt.
In der Mongolei werden Kaschmirziegen traditionell von Nomaden gehalten. Die Tiere leben grösstenteils frei und ernähren sich von Weidegras. Doch die steigende Nachfrage setzt die Weidelandschaften unter Druck: Sie können sich nicht mehr ausreichend regenerieren – man spricht von Überweidung.
Die Folgen: Der Boden wird geschädigt, die Vegetation zerstört und die Wüstenbildung gefördert. Das belastet nicht nur die lokale Umwelt, sondern bedroht auch die Lebensgrundlage der Nomaden. Zusätzlich verursacht die Kaschmirproduktion erhebliche Mengen CO2. Mangels ausreichenden Futters setzen besonders in China immer mehr Züchter auf Stallhaltung. Oft werden die Tiere grob behandelt und die Mensch-Tier-Beziehung leidet.
Kaschmirzucht ist in der Schweiz kein lukratives Geschäft
Ganz anders sieht es in der Schweiz aus. Hier haben Kaschmirziegen wie Caramel im Tösstal ZH viel Platz und leben in artgerechter Haltung. Doch ein lukratives Geschäft sei das nicht, erklärt Cécile Aschwanden, Vizepräsidentin der Alpine Cashmere Association: «Für die meisten Züchter ist es höchstens ein Nebenverdienst.» Sie selbst verkauft die fertige Wolle als Garn – zu einem Franken pro Gramm.
«Der hohe Preis von Kaschmir lässt sich durch den aufwendigen Prozess erklären», sagt Aschwanden. Während des natürlichen Fellwechsels von April bis Juni wird das Fell der Ziegen in mühsamer Handarbeit ausgekämmt – oft in mehreren Durchgängen. Da Kaschmirziegen anders als Schafe keine natürliche Schutzschicht haben, wird in der Schweiz auf das Scheren verzichtet.
Anschliessend wird die Wolle gewaschen und entgrannt: Dabei wird das grobe Deckhaar (Grannenhaar) vom feinen Unterhaar getrennt. Denn man darf nur von Kaschmir sprechen, wenn der Durchmesser der Haare weniger als 19 Mikron, also Tausendstel Millimeter, beträgt.
«Beim Entgrannen verliert man gut die Hälfte der Wolle», sagt Aschwanden. Pro Ziege lassen sich etwa 150 Gramm Kaschmir gewinnen, sodass für einen Pullover etwa die Wolle von drei bis vier Ziegen benötigt wird. Hochgerechnet auf die rund 400 Kaschmirziegen in der Schweiz ergibt das lediglich 60 Kilogramm Kaschmir oder rund 100 Pullover pro Jahr – ein verschwindend geringer Anteil im weltweiten Vergleich.
Kaschmirpullover unter 100 Franken sollte man meiden
Fakt ist: Kaschmir ist längst im Massenmarkt angekommen. Der Schwarzmarkt für Kaschmir ist gross, und ob ein Produkt tatsächlich aus reinem Kaschmir besteht, lässt sich mit blossem Auge nicht feststellen. Nur Labortests können hier Sicherheit bieten.
Aber sollte man deshalb ganz auf Kaschmirprodukte verzichten? Nein, findet Aschwanden: «Aber von einem Kaschmirpullover unter 100 Franken sollte man die Finger lassen.» Aschwanden rät, auf Qualität zu achten und sich genau zu überlegen, woher die Kaschmirprodukte stammen. Wer Kaschmirprodukte kauft, sollte dies nur bei vertrauenswürdigen Händlern tun und auf Zertifikate vertrauen.
Für Aschwanden ist klar: «Es ist besser, einmal etwas mehr zu investieren und dafür ein langlebiges, hochwertiges Stück zu besitzen.» Denn nur so lässt sich sicherstellen, dass auch die Tiere und die Umwelt von einer bewussteren Nachfrage profitieren.