Schluss mit Senioren-Bashing!
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Generationenkonflikt
Schluss mit Senioren-Bashing!

Senioren sind verletzlich, nicht mehr arbeitsfähig und nur mit ihren Wanderreisli beschäftigt? Höchste Zeit, mit diesen Vorurteilen aufzuräumen – und unsere Älteren endlich so zu sehen, wie sie wirklich sind.
Publiziert: 31.05.2020 um 00:20 Uhr
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Aktualisiert: 31.05.2020 um 09:19 Uhr
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Redaktorin SonntagsBlick Magazin.
Foto: Paul Seewer
Rebecca Wyss

Ich finde Marlene grossartig. So heisst meine 73-jährige Nachbarin. Ständig ist sie mit dem Velo unterwegs – hier am Enkelhüten, dort am Gartenpflegen – und jedes Mal ein kurzer Stopp, wenn wir uns begegnen. Genau so möchte auch ich alt werden. Aktiv. Zufrieden. In Würde. Ein Stück dieser Würde wurde Marlene genommen, als Corona über die Schweiz kam. Sie zog sich zurück, obwohl sie kerngesund ist. Sie plauderte nicht einmal mehr durch den Spalt ihrer Wohnungstür mit mir – auch nicht aus zwei Metern Abstand. Sie wolle mir keinen Ärger machen, sagte sie. Sie war verunsichert.

Und genau das ärgert mich: Wir loben uns zwar bei jeder Gelegenheit für die Solidarität zwischen den Generationen. Aber wir sagen auch, dass wir den Lockdown der Alten wegen gemacht haben. In Wirklichkeit schoben wir damit 1,6 Millionen über 65-Jährige kollektiv in die Risikogruppe. Als wir Jüngeren wieder rausdurften, blieben sie isoliert. Trauten sie sich doch in einen Laden, straften wir sie mit kritischen Blicken. Dabei ist für viele Ältere das Einkaufen der einzige Moment, in dem sie unter Leute kommen.

Das sehen wir Jüngeren nicht. Wir kultivieren lieber unsere Vorurteile. Das Bild von den sturen Alten, die auf ihren ewigen Wanderausflügen die Züge verstopfen und sich ein schönes Leben auf Kosten der Jungen machen, sass schon vor Corona in vielen Köpfen fest.

Das schlechte Image der Alten ist Teil eines Generationenkonflikts, der mit der Blockade bei der Reform der Altersvorsorge zu tun hat. Und es lenkt von der eigentlichen Frage ab, wie wir die Generation der fitten Babyboomer noch mehr in die Gesellschaft integrieren können. Schon jetzt leisten die Senioren Enormes. Sie hüten unsere Kinder, sie engagieren sich in der Freiwilligenarbeit. Sie wählen sogar fleissiger als die Jungen.

Viele würden gern über ihre Pensionierung hinaus weiterarbeiten. Sie können aber nicht, weil die Unternehmen sie wegen der hohen Abzüge nicht lassen. Sie tun es auch von sich aus nicht, weil es sich nicht lohnt. Wer übers Rentenalter hinaus mehr als 16'800 Franken im Jahr verdient, muss weiterhin in die AHV einzahlen. AHV- und Pensionskassenrenten sowie Einkommen müssen voll versteuert werden.

Aber Senioren gehören nicht aufs Abstellgleis. Wie der Philosoph Ludwig Hasler im Interview des SonntagsBlick Magazin sagt, sollten wir lernen, anders über das Alter zu denken.

Wir müssen allen, die länger arbeiten wollen, dies auch ermöglichen. Unter anderem mit neuen Konzepten wie Teilzeit im Alter. Indem wir die finanziellen Hürden der Besteuerung beseitigen. Und durch die Angleichung der Pensionskassenabzüge für Alt und Jung, damit die älteren Arbeitstätigen nicht mehr benachteiligt sind.

Es wäre ein Anfang. So könnten wir die alten Vorurteile über die Alten abbauen, so könnten wir künftigen Bashings den Boden entziehen. Und so könnten wir auch Marlene ihre Würde wiedergeben.

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