Frank A. Meyer – die Kolumne
Täter und Komplizen

Publiziert: 12.06.2022 um 00:48 Uhr
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Aktualisiert: 07.06.2023 um 17:27 Uhr
Frank A. Meyer
Foto: Antje Berghaeuser
Frank A. Meyer

Roger Köppel, der schrillste Schreihals der Schweizer Politik, definierte die Neutralität kürzlich als «bedingungslose Gleichbehandlung aller Parteien». Mit dieser Festlegung versucht der SVP-Nationalrat, seinem derzeit vordringlichsten Anliegen zu dienen: Die Eidgenossenschaft müsse sich dem «Wirtschaftsweltkrieg gegen Russland» verweigern.

In der Ukraine tragen also «zwei Parteien» eine Meinungsverschiedenheit aus. Und die Schweiz verweigert beiden Parteien jegliche Hilfe. Soweit Köppels dogmatische Auslegung der Neutralität.

Wie sieht die Wirklichkeit aus? Zerschossene Städte, gemordete Menschen, eine europäische Nation in ihrer Existenz bedroht: Die Ukraine wurde von Russland überfallen – die eine Partei versucht die andere Partei von der Landkarte zu tilgen.

Was bedeutet angesichts dieser Wirklichkeit das Dogma Neutralität? Bedeutet es «bedingungslose Gleichbehandlung» der russischen Aggression und der ukrainischen Selbstverteidigung?

Ist es «Gleichbehandlung», wenn der ums Überleben kämpfenden Ukraine deutsche Panzer verweigert werden, weil sie mit Munition schiessen, die in der Schweiz hergestellt wurde? Ist in diesem Kriegsfall neutrales Verhalten wirklich neutral?

Die Schweizer Neutralität ohne Bezug zur kriegerischen Realität verwandelt sich in fatale Benachteiligung der überfallenen Nation Ukraine – und in eine Vorzugsbehandlung für die russischen Invasoren, deren Ziel es ist, die Nation Ukraine auszulöschen.

Schweizer Munition für Panzer verbieten, die der ukrainischen Verteidigung dienen sollen, heisst: freies Schussfeld für die russischen Truppen.

Neutralität nach dieser Lesart bedeutet auf dem ukrainischen Schlachtfeld, dass die Schweiz sich auf die Seite der Russen schlägt!

Eine historische Spekulation sei gewagt: Was wäre gewesen, hätte sich die Schweiz nicht aus dem Weltkrieg 1939–45 heraushalten können, der faschistische Diktator Mussolini wäre ins Tessin einmarschiert, das er auf seiner Landkarte bereits als Teil Italiens vereinnahmt hatte, wie die Russen heute den Osten der Ukraine, und der Schweiz wären Waffen verweigert worden, wie die deutschen Gepard-Panzer heute der Ukraine verweigert werden?

Krieg ist kein Schachspiel. Im Krieg wird zerstört und getötet. Gleichbehandlung von Täter und Opfer kann für die Schweiz nur heissen: Solidarität mit dem Opfer.

Sonst wird Neutralität zur Komplizenschaft mit dem Täter.

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