Frank A. Meyer – die Kolumne
Die Enteignung

Publiziert: 02.07.2023 um 00:54 Uhr
Foto: Antje Berghaeuser
Frank A. Meyer

Frohe Kunde der Jungsozialisten: «Juso Schweiz lanciert Kampagne für die eidgenössischen Wahlen in Berner Szenebar.»

Ja, wo denn sonst? Doch dann stutzt der politisch sensible Leser: «Szenebar»? Und Jungsozialisten, also Sozialisten? Wie passt das zusammen? Wäre «Arbeiterkneipe» nicht der naheliegendere Ort für den Wahlauftakt einer Jugendorganisation der arbeitenden Klasse? Vor allem ein Wort lässt innehalten:

Szene!

Eine Szene feiert sich selbst im Szenelokal – historisch meilenweit von allem, wofür die Bezeichnung «Arbeiterklasse» steht. Auch der biedere Parteiname «Sozialdemokratie» hat nichts mit irgendeiner «Szene» zu tun: Die Arbeiterbewegung bot einst Fabrikarbeitern ihre politisch-kulturelle Heimat, also einen gesellschaftlichen Ort, an dem man sich wohlfühlte, aufgehoben in einer Gemeinschaft, die für den sozialen Fortschritt kämpfte. Dazu gehörten die Naturfreunde, die Arbeitermusik, der Arbeiter-Turn- und Sportverband; da gab es die Bildungsveranstaltungen in den Volkshäusern, genossenschaftlichen Grossbauten der Arbeiterbewegung wie das Bauhaus-Volkshaus in Biel.

Tempi passati – angesichts der total digitalisierten Lebenswelt von heute. Dennoch sieht sich die Szene im Berner Szenelokal in der linken Tradition der arbeitenden Menschen, und zwar mit dem Anspruch auf Höheres und Höchstes: die Genossen anzuführen in eine glorreiche Zukunft.

Auf diesem Weg sind die Jünglinge und Jünglinginnen der Jungsozialisten schon weit gekommen: Gleich im Doppelpack besetzen sie das Präsidium der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz. Jetzt schicken sie sich an, auch die Bundeshaus-Fraktion der SPS mit einer Doppelspitze zu besetzen. Demnächst möchten sie dann gleich noch Alain Bersets Platz im Bundesrat besetzen.

Besetzen!

Ja, die Jungsozialisten besetzen die SPS, «Juso-Groove» gilt als karrierefördernd. Für wen eigentlich? Für Akademiker, gern auch abgebrochene, für die Kinder wohlhabender Familien, behütet und entbehrungsfrei aufgewachsen – für die Instrumentalisierer von NGOs oder eben der einzigen mächtigen linken Partei zum Zweck des Machterwerbs.
Denn darum geht es: um Macht.

Eigentlich sollte es doch um die sozial Schwachen gehen, um die Benachteiligten, die es immer noch zuhauf gibt in den Unternehmen der Industrie- und der Dienstleistungsschweiz – im Maschinenraum der welterfolgreichen Eidgenossenschaft.

Um diejenigen, die weder Gendern noch Klimakleben.

Sind diese Tüchtigen des Landes leibhaftig in den Gremien der SPS vertreten, in den Fraktionen, in der Führung, in den Denkzirkeln der Partei – Handwerker, Berufsabsolventen, Bürgerinnen und Bürger fern der Universität, berufstätig von früher Jugend an? Gehören sie noch zur SPS? Gehört die SPS noch ihnen? Ja, einst gehörte diese Partei ihnen – eine politisch-kulturelle Bewegung vom eigenen Fleisch und Blut.

Die Jusos haben sie enteignet.

Vor kurzem erklärte Samuel Bendahan, Aspirant auf das Doppel-Fraktionspräsidium, freimütig seinen Bezug zu den Menschen, die er in eine bessere Zukunft zu führen gedenkt – seine eigene Zukunft natürlich inbegriffen: Er habe, bevor er sich zum Beitritt zur Sozialdemokratie entschloss, im politischen Einsatz auf der Strasse «vrais gens» kennengelernt.

«Vrai gens» – wahre Leute, also normale, gewöhnliche Menschen, einfache Bürger.

Es gibt sie tatsächlich, die Arbeitnehmer, die arbeitenden Menschen oder ganz klassisch: die Arbeiter. Wie das Erweckungserlebnis des Juso aus der Romandie zeigt, kann man ihnen sogar begegnen.

Im Alltag. Nicht in der Szene.

Vielleicht sollten die Junglinken eine Arbeiterquote in der SPS einführen – damit die Entfremdung ihre verzärtelten Seelen nicht gar so arg drückt und der Arbeiter in ihren Reihen mehr ist als eine Trophäe.

Mag die Szene, die den Wahlkampfauftakt mit «Juso-Groove» in der Berner Szenebar inszenierte, ihre übergriffige Berufung zur Avantgarde der arbeitenden Klasse weiter feiern. Immerhin verspricht sie ihren Mündeln mehr Sozialstaat.

Von oben herab.

Der Lebens-Wert
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Tabuthema Rentenalter:Der Lebens-Wert
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