Frank A. Meyer – die Kolumne
Das Ärgernis

Publiziert: 05.06.2022 um 01:07 Uhr
Frank A. Meyer
Foto: Antje Berghaeuser
Frank A. Meyer

Drei Akademiker aus zwei Zürcher Universitäten legten dieser Tage ein Denkstück zu Putins Krieg gegen die Ukraine vor, das die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» prominent abdruckte, unter dem Titel: «Verhandeln – aber wie?» Folgendes stand in dem Papier zu lesen:

«Im Faktor ‹Ausgang des Krieges› ist inbegriffen der Wert des eroberten Gebietes abzüglich der Anzahl der Todesopfer, gewichtet mit dem Wert des Menschenlebens, und der Sachwert der Zerstörung. Entscheidend für diese Abschätzung sind hierbei insbesondere die Menschenleben und deren Wert, wobei die unterschiedliche Wertbeimessung für das Menschenleben eine dezisive Rolle spielen kann.»

Was sind das für Wörter und Sätze über Menschen, die für ihre Freiheit kämpfen und sterben, die auch morgen und übermorgen kämpfen und sterben werden, um ihr Land gegen einen verbrecherischen Aggressor zu verteidigen?!

Kämpfende und sterbende Menschen als Objekte gut gemeinter geistesmenschlicher Erwägungen? Ja, ja, ja, diese Vorschläge aus Schweizer Studierstuben sind gut gemeint.

Schrecklich gut.

So oder ähnlich, aber immer gut gemeint, wird derzeit über den Krieg gegen die Ukraine geredet, von Professoren und Publizisten und Politikern, am liebsten auf den bequemen Sesseln der TV-Talkrunden.

Die Ukraine als Objekt der besorgten Begierde.

Soll diese mutige Nation unter Bombenhagel und Raketenbeschuss ihren Existenzkampf einstellen, um wenigstens einen Teil ihres Territoriums vor der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Vernichtung zu retten?

Zum abseitigen Abc der Appeasement-Szene zählt auch, den kämpfenden Ukrainern einen Frieden unter Abtretung ihrer östlichen Provinzen zu empfehlen. Diese Variante ist im allgemeinen Strategie-Geplapper gerade besonders beliebt. Wenigstens wäre man dann den ärgerlichen Krieg los, der mit seinen weltwirtschaftlichen Weiterungen die friedensfixierten Kreise im Westen stört.

Der deutsche Historiker Herfried Münkler verkündet das fatale Finale des Freiheitskampfes: «Die Ukraine wird unter die Räder kommen, wie immer die Sache ausgeht.» Gleich nach dem russischen Überfall posaunte der emeritierte Professor seine erste peinliche Prophezeiung in die Welt: «Was die unmittelbaren Folgen angeht, so ist die Ukraine verloren. Die Russen werden sie besetzen (…) Militärisch dürfte die Sache in ein paar Tagen gelaufen sein.»

Verrät diese defätistische Tonalität nicht das verächtliche Verhältnis, das Deutschland – das der Westen – zur Ukraine schon immer hatte? Und die Bewunderung für das Grossreich der Russen, vom Zarismus über den Kommunismus bis zum Putinismus der frühen Jahre?

Wieso beugt sich Wolodimir Selenski nicht endlich der vom Katheder herab verkündeten unausweichlichen Vernunft – und kapituliert?

Ärgernis Ukraine!

Ralf Fücks, Ur-Grüner im Berliner Thinktank «Zentrum Liberale Moderne», rückt die wenig weisen Weissagungen ins nüchterne Licht der Wirklichkeit: «Die Ukraine ist das Subjekt in diesem Konflikt! Die Entscheidung, zu kämpfen, ging von der Ukraine aus, nicht von Washington und schon gar nicht von der EU.»

In der Tat: Die Ukraine ist das demokratisch regierte, selbstbestimmte und selbstbestimmende Subjekt ihrer Gegenwart, ihrer Zukunft – und nicht das Objekt volkspädagogisch beseelter Politisierer.

Nach Jahrzehnten westlicher Liebedienerei gegenüber Russland wagt ein Volk den Widerstand gegen den Geheimdienst-Zaren im Kreml. Es kämpft. Es verzichtet nicht auf seine territoriale Souveränität. Es tritt dem Feind nichts ab. Es will autonom über sein Wohl und Wehe entscheiden.

Ein Land, das sich nicht ergibt!

Der Überfall Putins auf die Ukraine ist die Folge der westlichen Politik mit ihrer Russophilie. Nein, Wolodimir Selenski braucht keine wohlfeilen Ratschläge.

Das bedrängte Land braucht Raketen, Flugzeuge, Panzer und Munition. Jetzt!

Die Ukraine – das sind auch wir. Wir sind gemeint.

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