Letzten Herbst ging es los mit der #MeToo-Debatte. Die halbe Welt spricht seither von Übergriffen auf Frauen, einige mächtige Herrschaften wurden effektiv als Täter entlarvt.
Aber hat #MeToo auch in unserem Alltag Konkretes bewirkt?
Heute wird offener darüber gesprochen, was Frauen alles über sich ergehen lassen müssen. Das Thema kommt bei Kaffeepausen in der Kantine zur Sprache, beim Coiffeur, im Familienkreis. Jedermann weiss inzwischen von einer Frau in seinem Umfeld, die sexuell belästigt worden ist.
Jedermann kennt aber auch eine Frau, die dennoch nicht zur Polizei gegangen ist. Die Zürcher Stadtpolizei teilt denn auch mit: Es gibt nicht mehr Anzeigen wegen unsittlicher Übergriffe oder anderweitiger Gewalt gegen Frauen als früher.
Im Gespräch mit SonntagsBlick-Reporterin Aline Wüst rät eine hochrangige Polizistin den Frauen zunächst zwar dazu, sämtliche Vorfälle anzuzeigen. Dann aber sagt sie: «Ich selber würde nicht nur Polizei, wenn mir jemand Unbekanntes an den Hintern fasst. Es bringt am Ende ja doch nichts.»
In seinem Buch «Gewalt» schildert der Historiker Steven Pinker folgende Begebenheit: Eine Studentin wurde mitten in einer amerikanischen Grossstadt von drei jungen Männern sexuell belästigt. Einer griff ihr an die Brust; als sie protestierte, drohte er mit Gewalt. Die Frau wandte sich an die Polizei. Die folgenden Tage verbrachte sie in einem unauffälligen Auto nahe beim Tatort – zusammen mit einem Zivilbeamten hielt sie Ausschau nach dem Täter. Als der nach drei Tagen des Weges kam, wurde er gefasst und angeklagt.
Halten Sie dieses Vorgehen der amerikanischen Polizei für übertrieben?
In jedem Fall zeigt es, dass man auf sexuell motivierte Übergriffe gegen Frauen anders reagieren kann als bloss mit einem Schulterzucken.
Leider aber zucken hierzulande gerade die verantwortlichen Stellen am heftigsten mit den Schultern. Wir haben bei der interkantonalen Fachstelle für Kriminalprävention nachgefragt, wie sich Übergriffe auf Frauen im öffentlichen Raum am besten verhindern lassen. Die mehr als nur bedenkliche Antwort: Die Frauen sollten sich im Ausgang halt etwas vorsichtiger bewegen.
Im Herbst 2015 häuften sich in der norddeutschen Stadt Braunschweig die Klagen, mit der Zahl der Asylsuchenden steige auch die Kriminalität. Daraufhin rief die lokale Polizei die Sonderkommission Asyl ins Leben. Egal, um welches Delikt es ging – sobald es irgendwie mit einem Asylsuchenden zu tun hatte, wurde der Fall von der Soko Asyl bearbeitet.
Wie sich bald herausstellte, handelte es sich bei den meisten Meldungen keineswegs um Straftaten, sondern um Missverständnisse zwischen Einheimischen und Asylbewerbern. Worum es im aktuellen Zusammenhang aber geht, ist das Signal: Die Braunschweiger Polizei vermittelte der Bevölkerung das unmissverständliche Gefühl, dass sie ihre Sorgen ernst nimmt.
Warum sollte man so etwas nicht bei der Gewalt gegen Frauen versuchen? Hätte beispielsweise die Zürcher Polizei eine «Soko Gewalt gegen Frauen», wäre dies ein starkes Zeichen. Die Polizei würde den Opfern deutlich zu verstehen geben, dass sie ernst genommen werden. Dass es richtig und normal ist, sich zu melden, wenn etwas passiert. Und dass man einer Frau nicht einfach nach Lust und Laune an den Hintern greifen darf.
Vor elf Tagen wurde in Genf eine Frau von einem Mann ins Koma geprügelt. Das ist ein unfassbarer Extremfall, aber eben kein isoliertes Ereignis. Ob verbale Entgleisung, Grapscherei oder ein blutiger Exzess auf offener Strasse: Immer geht es um Gewalt, die Männer über und gegen Frauen ausüben. Wenn #MeToo die Debatte angestossen hat, so muss Genf jetzt dafür sorgen, dass diese Debatte Konsequenzen im gelebten Alltag hat.
Sehr geehrte Polizeikommandantinnen und Polizeikommandanten im ganzen Land: Wann kommen die «Soko Gewalt gegen Frauen»?