Rolf Schweiger war einmal FDP-Präsident. Der Zuger alt Ständerat stand damit jener Partei vor, die «Mehr Freiheit und weniger Staat» fordert. Jetzt kommt heraus: Ausgerechnet Rolf Schweiger sass jahrelang im Verwaltungsrat einer Firma, die dem Staat gehörte. Dem amerikanischen Staat.
Was für eine groteske Geschichte! Friedrich Dürrenmatt hätte diesen Stoff geliebt.
Die Sendung «Rundschau» des Schweizer Fernsehens hat belegt, worüber seit Jahrzehnten spekuliert wurde: Die im Kanton Zug ansässige Firma Crypto AG verkaufte manipulierte Chiffriergeräte in die halbe Welt – Apparate, welche der CIA das Mitlesen erlaubten. Schlimmer noch: Der US-Geheimdienst war der heimliche Eigentümer der Crypto AG. Verkauft hat sich das Unternehmen aber mit dem Standort Schweiz als Hort von Neutralität und Biedersinn. Und Crypto-Verwaltungsrat Rolf Schweiger war der Mann, der dieses Image verkörperte.
Es sind das Ausmass dieser Geheimdienstoperation und die Dreistigkeit der Beteiligten, die schockieren. Der Fall muss politisch aufgearbeitet werden. Und doch: Grundsätzlich überraschend ist das alles nicht.
Politiker und Kommentatoren äussern sich derzeit tief besorgt. Sie sehen die Neutralität unseres Landes gefährdet. Damit erweisen sie sich allerdings als ausgesprochen geschichtsvergessen. Denn in Wahrheit war die Schweiz in den letzten 75 Jahren nie neutral. Sie war immer nur neutral im Lager der USA.
Der Historiker Jean Rudolf von Salis bemerkte in den 1960er-Jahren, kein anderes europäisches Land stehe so entschieden auf der Seite Washingtons wie das unsere. Von Salis erinnerte auch daran, dass die Vereinigten Staaten ihrerseits die Neutralität der Schweiz nie anerkannt haben.
Max Frisch schimpfte über die «verlogene Neutralität». Er sagte: «Wir sind ein Nato-Land.» Umso freundlicher die Töne aus Washington: John Foster Dulles, Aussenminister unter US-Präsident Dwight D. Eisenhower, lobte die Schweiz als «hervorragendes Beispiel von Neutralität». Wenn das nicht argwöhnisch machen muss!
In einer 1999 publizierten Studie über die schweizerische Sicherheitspolitik zur Zeit des Kalten Krieges schreibt der Historiker Mauro Mantovani: Mit informellen Absprachen, Kooperationen sowie Waffengeschäften habe die Schweiz die Glaubwürdigkeit ihrer Neutralität untergraben. Die Nato sei an einer Mitgliedschaft der Eidgenossen nicht interessiert gewesen, weil dies mehr Last als Erleichterung bedeutet hätte. Als offiziell Neutraler sei die Schweiz den Westmächten wesentlich nützlicher gewesen.
Gewiss: Zahlreiche Länder sind auf das Label «Neutralität» hereingefallen und kauften daher für sehr viel Geld die Chiffriergeräte der CIA. Das grösste Opfer des helvetischen Neutralitätsmythos aber sind wir Schweizer selbst.
Eine politische und juristische Aufarbeitung der Crypto-Affäre ist nicht zuletzt deswegen angebracht, weil sie das naive Bild von der Schweizer Neutralität zu korrigieren vermag. Insofern kann die Crypto-Geschichte ein heilsamer Schock sein. Denn das überhöhte Bild der neutralen Schweiz erstickt heute bereits im Keim jede sinnvolle Debatte über die Schweizer Aussenpolitik.