«Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.» So steht es in der Bundesverfassung. Bloss: Würde die Würde aller Menschen wirklich gewürdigt, gäbe es keine Prostitution.
Prostitution ist bezahlter sexueller Missbrauch. Das schreibt die Irin Rachel Moran in ihrem Buch «Was vom Menschen übrig bleibt». Die frühere Prostituierte schildert darin, wie sie als Kind aus zerrütteten Verhältnissen erst auf der Strasse und wenig später auf dem Strich landete – und wie sie nach sieben Jahren der Gewalt und Erniedrigung den Ausstieg schaffte.
Aber ist das nicht eine allzu einseitige Optik? Sorgt derzeit doch in Deutschland eine andere Ex-Prostituierte mit einem Buch für Aufsehen. In ihrem Bestseller «Lieb und teuer. Was ich im Puff über das Leben gelernt habe» erzählt Ilan Stephani, Tochter aus gutem Haus, wie sie als Hure anheuerte. Ohne Notlage, ohne Zwang. Wie sie den Job mochte. Und dass sie ihn nach zwei Jahren nur darum an den Nagel hängte, weil er sie sexuell nicht mehr befriedigte.
Die Recherchen, die Reporterin Aline Wüst in der aktuellen Ausgabe des SonntagsBlick ausbreitet, sprechen eine klare Sprache: Rachel Moran, die sich als 15-Jährige erstmals prostituierte, hat womöglich ein besonders krasses Schicksal erlitten. Ilan Stephani hingegen stellt eine um Welten grössere Ausnahme dar.
Die weit überwiegende Zahl der Prostituierten übt diese Tätigkeit gegen ihren Willen aus. Sie werden entweder von jemandem gezwungen, oder es ist die nackte Not, die sie treibt. Entsprechend gross ist ihr körperliches wie seelisches Leid.
Unter dem Strich jedoch ist vielleicht nicht einmal dies der springende Punkt. Sogar die glückliche frühere Prostituierte Ilan Stephani schreibt an einer Stelle in ihrem Buch: «Prostitution taucht nur in patriarchalen Gesellschaften auf.» Selbst wenn sich also eine Frau ausnahmsweise tatsächlich aus freien Stücken feilbietet – die Freier sprechen ihr in jedem Fall die Menschenwürde ab. Und das ist das Entscheidende.
Ja, Prostitution ist bezahlter sexueller Missbrauch. Der Freier nimmt sich das Recht heraus, seine eigenen Bedürfnisse über die Menschenwürde einer Frau zu stellen – das Recht, Frauen als Ware zu behandeln.
Mann und Frau sind gleichberechtigt. Wie oft hört man diesen Satz! Von Chancengleichheit ist die Rede und davon, dass diese heute realisiert sei.
Nur stimmt das leider nicht.
Solange nicht jeder Person ganz selbstverständlich ihre Menschenwürde zuerkannt wird, solange sich hierzulande täglich schätzungsweise 20000 Männer eine Frau kaufen können und diese Vorrangstellung des Mannes von Gesellschaft wie Politik einfach so hingenommen wird: Solange sind die Geschlechter nicht gleichberechtigt. Solange herrscht der Mann.
Die #MeToo-Debatte hat ein Schlaglicht auf das überkommene Verhältnis zwischen Mann und Frau geworfen. Mit einem Mal wurde bisher Selbstverständliches hinterfragt.
Der bezahlte Missbrauch von Frauen gehört mit zu dieser Debatte. Die Haltung zur Prostitution ist der ultimative Lackmustest für eine Gesellschaft, ob sie es mit der Gleichstellung ernst meint.
Die Schweiz des Jahres 2018, unser Land mit seinen Abertausenden Prostituierten, hat diesen Test nicht bestanden.