Die gute Landschweiz und die böse Stadtschweiz. Bei ihrem Kampf gegen das CO2-Gesetz rückte die SVP dieses Zerrbild ein erstes Mal ins Zentrum einer Kampagne. Den arroganten, ÖV-verwöhnten Städtern sei es egal, wenn das Benzin teurer werde, tönte es damals, im Frühling dieses Jahres. Vor acht Tagen nun verabschiedete die SVP eine «Resolution zur Schmarotzer-Politik» der Städte; in der italienischen Medienmitteilung war sogar von einer «Kriegserklärung» die Rede. Diese überzogene Polemik würde komisch wirken, wäre sie nicht so effektiv. Wäre sie nicht brandgefährlich.
Die SVP hat sich eingestanden, dass es in den Zentren für sie nichts zu holen gibt. Biel ist die einzige Stadt mit über 50'000 Einwohnern, wo sie in der Exekutive sitzt. Gerade einmal 22 Regierungsmandate hält sie in den 38 Gemeinden mit einer Bevölkerungszahl zwischen 20'000 und 50'000. Wenn die SVP überhaupt noch wachsen kann, dann nur weiter auf dem Land – dort, wo die Wählenden ihre Stimme bisher CVP und BDP gaben. Die Kampfansage der SVP an die Städte ist daher auch ein Versuch, der neuen Mitte-Partei, dem Fusionsprodukt aus CVP und BDP, das Wasser ganz abzugraben.
Und wie reagiert Mitte-Präsident Gerhard Pfister? Nutzt er die Herausforderung, um sich als Brückenbauer zwischen Land und Stadt zu positionieren und eine Politik zu betreiben, die uns alle weiterbringt?
Nehmen wir die Abstimmung zum CO2-Gesetz. Pfisters Partei hatte die Vorlage im Parlament geprägt und unterstützt. Aus dem Abstimmungskampf jedoch hielt sich die Mitte geradezu demonstrativ heraus. Eben weil es der SVP gelang, die Vorlage zu einem Stadt-Land-Konflikt umzudeuten. Aus Furcht, die eigene Basis zu brüskieren, überliess man das Feld der Konkurrenz – das CO2-Gesetz wurde knapp abgelehnt.
Auch die Gegner des Covid-Gesetzes, über das wir Ende November befinden, sind vornehmlich in ländlichen Regionen daheim. Und richtig: Auch vor der aktuellen Abstimmung zeigte sich die Mitte unter Gerhard Pfister lange Zeit möglichst unbeteiligt. Als Mitte-Nationalrat Lorenz Hess im September ein Pro-Komitee lancieren wollte, liess ihn Pfister ins Leere laufen. Dagegen durfte der Walliser Ständerat Beat Rieder in den Medien ungestört Stimmung gegen die Vorlage machen.
Gestern nun gab Pfister dem «Tages-Anzeiger» ein Interview zum Covid-Gesetz. Der SVP wirft er Opportunismus vor: Im Parlament habe sie zugestimmt, später habe sie sich an die Spitze der Gegner gestellt. Pfister wirbt für ein Ja an der Urne und verweist auf die grosse Zustimmung in den Umfragen. Und das ist genau der Punkt: Pfister wagt sich erst aus der Deckung, wenn er sieht, dass ihm Wegducken mehr schadet als nützt.
Das ist – natürlich! – sehr viel besser als nichts. Von einem überzeugten Engagement kann aber nur bedingt die Rede sein. Mit seinen Ausführungen zum Opportunismus beschreibt Pfister ebenso das eigene Verhalten.
Zurück zur Polemik der SVP gegen die Städte. Man muss sich vor Augen führen, wem die Partei nacheifert. In den USA wenden sich hauptsächlich rechte Republikaner an die «hard working Americans» – das ist ein Code für alle Weissen ausserhalb der urbanen Zentren. Neuerdings sind die «hart arbeitenden Menschen» fester Bestandteil der SVP-Rhetorik: Die Kampagne gegen das CO2-Gesetz richtete sich an den «hart arbeitenden Mittelstand». Jetzt findet sich die Formulierung von den «hart arbeitenden Menschen» in jener «Resolution zur Schmarotzer-Politik» der Städte.
Zumindest die Spitze der SVP sieht in den gespaltenen Staaten von Amerika offenbar ein Vorbild für unser Land. Wer das für gefährlich hält, sollte nicht darauf vertrauen, dass Taktieren und Jein-Sagerei weiterhelfen. Hier braucht es ein unmissverständliches «So nicht». Solch klare Worte hat man vom Mitte-Präsidenten in seinem Interview gestern leider nicht gelesen.