Die irrste Raumfahrt-Idee aller Zeiten
Dieser Mini-Satellit soll das All erkunden

Zac­Manchester (31) entwickelte das kleinste Raumschiff der Welt. Jetzt hilft er einem reichen Mäzen, eine wahnsinnige Idee zu verwirklichen.
Publiziert: 15.05.2018 um 01:19 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 00:10 Uhr
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Der Raumfahrtwissenschaftler Zac Manchester war kürzlich Redner am Symposium «World.Minds». Wir haben ihn am Mittwoch getroffen.
Foto: Philippe Rossier
Rebecca Wyss

Donnerstagmorgen, neun Uhr, Hotel Storchen. Zac Manchester rutscht auf dem Sessel hin und her, dreht den Kopf langsam nach links und nach rechts und seufzt hörbar. «Ich habe einen krassen Jetlag», sagt der Raumfahrtwissenschaftler. In einer Stunde muss er zum Flughafen. Dabei ist er gerade erst in der Schweiz ­angekommen. Für einen 15-minütigen Auftritt reiste er aus den USA an, um sein Projekt vorzustellen: «Breakthrough Starshot».

Rolf Dobelli lud im Rahmen des Sympo­siums «World.Minds» Referenten zum Thema Mobilität ein. Manchester liess sich nicht lange bitten — auch wenn er jetzt ein bisschen leidet. Er ist nämlich auf einer Mission. Nicht im Himmel und All, sondern ganz profan auf Erden: «Ich will meine Wissenschaft der breiten Gesellschaft zugänglich machen. Die Raumfahrt geht uns alle etwas an.»

 Raumschiff wiegt nur zehn Gramm

Seit jeher treibt uns Menschen die Frage um, ob es in den weiten des Weltalls noch anderes Leben gibt. Auch Manchester hat darauf keine Antwort. Aber der 31-Jährige hat etwas geschaffen, das uns einer Antwort näher bringt. Manchester — mit leicht zusammengezogenen Schultern, Turnschuhen, Kapuzenjäckchen und Nerdbrille — hat das kleinste Raumschiff der Welt entwickelt, als Kopf eines Teams von Wissenschaftlern der renommierten New Yorker Cornell-Universität. Auf Englisch heisst das Ding Sprite, auf Deutsch Elfe. Es ist kaum grösser als eine Briefmarke und nur rund zehn Gramm schwer.

Technisch ist es aber ein Schwergewicht. Solarpanels, ein Mini-Computer oder ein Sender — alles Mögliche hat auf dem Plättchen Platz, um die Stärke des Magnetfelds und die Temperatur im All zu messen. Oder bald auch Bilder von der ­Umgebung zu schiessen. Das klingt nach einem nerdigen Spielzeug für Wissenschaftler. Ist es aber nicht. Denn Manchester wäre nicht Manchester, wenn er nicht an die breite Gesellschaft denken würde. Er ist auf einer Mission.

Kurz nachdem er den Prototypen entwickelt hatte, organisierte er ein Crowdfunding, um einen ganzen Schwarm von Elfen in den Weltraum zu spucken. «KickSat» hiess das Projekt und erlaubte jedem, für ein Taschengeld von 300 Dollar einen Kleinstsatelliten zu kaufen. 2014 flogen so 104 Sprites ins All. Dies mit einer Rakete von SpaceX, der Firma von Tesla-Chef Elon Musk. Die an die Erde gesendeten Geräusche konnte übrigens jeder und jede mit einem gewöhnlichen Funkgerät mithören. Raumfahrt für die Masse – das gab es vor Zac Manchester nicht.

Das kühnste Vorhaben zur Erkundung des Kosmos

Mit der Aktion wollte er erst mal beweisen, dass die Technologie funktioniert. Irgendwann einmal sollten seine Sprites dann für die Erkundung unserer Nachbarplaneten benutzt werden. Das war sein grösster Wunsch. Damals. Heute denkt er weiter. Viel weiter. Heute ist er Teil des Projekts «Breakthrough Starshot» des Silicon-Valley-Milliardärs Yuri Milner. Starshot ist das derzeit kühnste Vorhaben zur Erkundung des Kosmos.

Der US-Wissenschaftler Zac Manchester (31) ist das Gehirn hinter dem wahnsinnigen Projekt «Breakthrough Startshot".
Die Idee dahinter: Ein Schwarm von Sprites soll das machen, was bislang noch nie gelungen ist: zum nächsten Sternensystem Alpha Centauri reisen. Das innerhalb von «nur» zwanzig Jahren. Das Problem bei der Sache: Dieses Sternensystem liegt ganz schön weit entfernt. Heute bräuchte die schnellste Rakete der Welt 30 000 Jahre, um dort hinzukommen. Um es in absehbarer Zeit zu schaffen, müssen die Raumgefährte also schneller werden. Dies einerseits mittels Segeln, die man an den kleinen Sprites befestigt. Und andererseits mittels unzähliger Laser, die in diese Segel «pusten», um sie auf 20 Prozent der Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen.

Ziel: Eine neue Bleibe für den Menschen

«Eine verrückte Idee», hiess es unlängst auf den Newsportalen rund um den Globus. Nicht für den Top-Unternehmer Yuri Milner. Er schiebt das Projekt mit 100 Millionen Dollar an. Und nicht für den Star-Wissenschaftler Stephen Hawking, der bis zu seinem Tod neben Mark Zuckerberg das Aushängeschild von Starshot war. Sie wollen alle das Gleiche: eine neue Bleibe für uns Menschen suchen. Denn langsam wird es eng hier.

Manchester lächelt, wenn er das hört. «Von einer Siedlung auf an­deren Planeten sind wir weit entfernt.» Er ist schon froh, wenn dereinst seine Mini-Satelliten brauchbare Nahaufnahmen von der Umgebung da oben machen können. Seit kurzem vermutet man nämlich, dass auf mindestens einem der Planeten gute Bedingungen für Wasservorkommen herrschen. Vielleicht findet man dort sogar so etwas wie Leben.

«Das Projekt ist ein wahnsinniges Unterfangen, sicher», sagt Zac Manchester. Aber: «Es hat nichts mit Science-Fiction zu tun.» Die Technologie, die Berechnungen – vieles sei schon heute vorhanden. Man müsse nur einen Weg finden, das Ganze zusammen zum Funktionieren zu bringen. Und zwar nicht im Kleinen, im Labor, sondern im Grossen, in den Weiten des Alls. Und wie lange wird das dauern? «Probably decades» – wahrscheinlich Jahrzehnte.

Reiche Boys mischen die Raumfahrt auf

Amazon-Gründer Jeff Bezos, Tesla-Chef Elon Musk, Flugunternehmer Richard Branson und nun auch Yuri Milner – die reichen Boys mischen gerade gehörig die Raumfahrt auf. Mit fantastischen Summen finanzieren sie fantastische Ideen – wie die Besiedelung des Mars, die Musk vorschwebt. Dass Manchester zu diesem abgespacten Klub gehört, ist kein Zufall. «Flugzeuge, Raketen, Raumschiffe – noch bevor ich sprechen konnte, war ich von allem Möglichen, das fliegt, begeistert», sagt er. Er habe aufgehört zu zählen, wie viele Flugzeuge er gebastelt habe. Oder wie oft er seine Familie ins Luft- und Raumfahrt-Museum geschleppt habe.

Diese Faszination, ja Besessenheit, ist kein Wunder: Im Alltag des kleinen Zac gab es wenig Konstanten – ausser der Familie. Sein Vater war Manager in der Ölbranche und nahm immer wieder neue Jobs an. Neun Mal zog er mit seiner Frau und den vier Kindern um. Meist ­innerhalb Asiens. Richtige Freundschaften zu schliessen, einem Mannschaftssport nachzugehen, in einer Band zu spielen – für die Kids war das alles unmöglich.

Also widmete sich der Junge seinen Flugkörpern. Und absolvierte deshalb später in den USA Eliteschule um Eliteschule. Mittlerweile forscht und unterrichtet er an der re­nommierten kalifornischen Stanford-Universität. Wenn Manchester heute zum klaren Sternenhimmel hochschaut, sieht er vor allem eines: «Satelliten, die ihre Bahnen ziehen.»

Über Mobilität diskutierenAm Mittwoch trafen sich in Zürich Experten aus aller Welt zum Symposium «World.Minds». Zac Manchester war einer der Redner.

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