Das grosse Interview mit Otto Waalkes
«Ich säe nicht, ich ernte nur»

Der deutsche Komiker Otto Waalkes veröffentlicht morgen seine Autobiografie und spricht hier über die Trümmerhaufen seiner Kindheit sowie seinen bevorstehenden 70. Geburtstag.
Publiziert: 17.05.2018 um 14:37 Uhr
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Aktualisiert: 22.09.2020 um 10:55 Uhr
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Otto Waalkes, «Kleinhirn an alle – die grosse Ottobiografie nach einer wahren Geschichte», Heyne-Verlag, 416 Seiten; das Buch ist ab 14. Mai im Handel.
Daniel Arnet

Herr Waalkes, «Kleinhirn an alle» lautet der Titel Ihrer Bio­grafie, die morgen ­erscheint. Aber die Erinnerung an sein eigenes ­Leben ist im Grosshirn abgespeichert. Bei Ihnen nicht?
Otto Waalkes: Das Kleinhirn ist zuständig für Koordination und Motorik. Doch neuere Forschungen schreiben ihm eine Rolle bei zahlreichen höheren kognitiven Prozessen zu. Zudem klingt es so bescheidener: «Kleinhirn an alle – die grosse Ottobiografie».

Otto Waalkes, «Kleinhirn an alle – die grosse Ottobiografie nach einer wahren Geschichte», Heyne-Verlag, 416 Seiten; das Buch ist ab 14. Mai im Handel.

Der Titel ist eine Reminiszenz an Ihren Sketch «Der menschliche Körper», in dem die Organe ­miteinander reden, weil ein Kerl vis-à-vis ein beleidigendes Wort ausspricht.
Und am Schluss beschwichtigt das Kleinhirn alle anderen: «Kleinhirn an alle: Was soll die Aufregung, ihr zieht ja sowieso den Kürzeren.»

Spielen Sie den Sketch immer noch regelmässig?
Meine Auftritte sind ja meistens Wunschkonzerte. Und wenn das Publikum den Sketch wünscht, dann spiele ich ihn. Und wenn Sie ihn verlangen, sehr gerne – ich bin da sehr käuflich.

Bitte.
«Ohr an Grosshirn, Ohr an Grosshirn: Habe soeben das Wort Saufkopf entgegennehmen müssen. Grosshirn an Ohr: Von wem? Ohr an Grosshirn: Kann nichts sehen, mal Auge fragen.» Und so weiter.

Sie haben festgestellt, dass Wiederaufführung bei Komik immer besser funktioniert. Weshalb?
Weil der Wiedererkennungseffekt wichtig ist. Das ist wie bei alten ­Musikstücken: Kein Konzert der Stones ohne «Satisfaction». Zudem bekommt die Live-Aufführung im Laufe der Jahre eine bessere Qualität, hoffe ich zumindest.

Andererseits schreiben Sie: «Selbst der beste Witz wird irgendwann welk.» Um beim Bild zu bleiben: Wo säen und ernten Sie neue Witze?
Ich säe nicht, ich ernte nur: Die ­Medien bieten immerzu sehr viel ­Neues. Dadurch kann ich mein ­Programm stets aktualisieren.

Begriffe wie SMS, Facebook & Co. gab es bei Ihrem Karrierestart in den 70er- und 80er-Jahren noch gar nicht.
Und das ist das Schöne am Fortschritt. Damit kann ich meinen alten «Englischkurs» aufhübschen: «All about edit and email» – «Alles über Edith und Emil».

Wo testen Sie jeweils die ­Pointen?
Direkt auf der Bühne vor Menschen. Hunde sind da ein bisschen schwieriger: «Und, wie fandet ihr die Pointe?» – «Wauwau.» Zudem sind Tierversuche verboten.

Wie hat Ihr mittlerweile ­31-jähriger Sohn früher auf Ihre Auftritte reagiert?
«Papa, du bist peinlich.»

Und heute begleitet er Sie auf der Tour.
Genau. Er ist verantwortlich für die Videos.

Berät er Sie auch inhaltlich?
Selbstverständlich. Er ist einer meiner kritischsten Zuhörer und Zuschauer.

Wie haben sich die Witze im Laufe der Jahrzehnte gewandelt?

Schwierige Frage, aber ich muss mir immer neue Varianten ausdenken. Doch das Arsenal an Komik scheint unerschöpflich.

Und trotzdem darf man heute nicht über alles Witze machen. Durch Political Correctness sind Sie bestimmt eingeschränkt.Ganz im Gegenteil: Neue Tabugrenzen können angekratzt werden. Die Freude darüber ist immer noch gross.

Das hat sicher auch mit der Fernseh-Comedy-Szene zu tun. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Als Bereicherung. Da haben sich grosse Talente wie Ralf Schmitz, Mirco Nontschew, Martin oder Helge Schneider herauskristallisiert.

Für den Film «7 Zwerge – Männer allein im Wald» haben Sie mit mehreren von denen ­zusammengearbeitet. Wie war das?
Da habe ich sehr viel von denen gelernt.

«Ich wurde einfach nie ernst genommen»: Otto Waalkes beim Interview im Caricatura-Museum in Frankfurt am Main.
Foto: Alex Kraus/laif

Eines dieser Aushängeschilder der TV-Comedy, Michael «Bully» Herbig, sagte andererseits, Sie seien für die deutschsprachige Comedy das, was Elvis Presley für den Rock ’n’ Roll gewesen sei.
Das ist mal ein Kompliment.

Nett gemeint, nur hört heute kaum mehr jemand Rock ’n’ Roll.
Rock ’n’ Roll never dies. Und Elvis lebt. Beweis: Parodien auf diese Musik funktionieren immer noch. Aus dem AC/DC-Song «Highway to Hell» wird dann «Auf dem ­Heimweg wirds hell».

Musik war ja Ihre erste Liebe – als Jugendlicher gründeten Sie die Band The Rustlers. Stimmt die Legende, dass Sie über Musikauftritte zum Komiker wurden?
Legenden widerspricht man nicht. Bei meinen ersten Soloauftritten war ich sehr nervös, und das Publikum lachte mehr über meine Missgeschicke, als dass es sich an meinen Gitarrenklängen erfreute.

Aber heute treffen Sie die Töne ganz gut.
Ja, das geht mittlerweile Hand in Hand: Musik vermische ich mit ­komischen Elementen, und witzige Einfälle unterstreiche ich musikalisch.

Für Ihren Wortwitz war Heinz ­Erhardt prägend.
Richtig, den habe ich sogar noch live gesehen. «Was bin ich heute wieder für ein Schelm.» Dieses Schüchterne, Zurückhaltende hat mich sehr geprägt. Weil ich ihn so toll finde, zitiere ich ihn zuweilen in meinen Shows.

Doch den Hauptteil Ihrer Texte haben Sie zusammen mit einem Autorenkollektiv rund um Robert Gernhardt geschrieben. Zur ersten Begegnung mit Gernhardt kam es eher zufällig, weil Sie sein «Gebet» in Ihren Shows ­unzulässig verwendet haben.Moment: Der «Stern» hat das Gedicht in einem Interview mit mir ohne Quellenangabe zitiert.

Daraufhin meldete sich ­Gernhardt bei Ihnen.
Ja, daraufhin haben wir uns getroffen – dann kamen Bernd Eilert und Pit Knorr dazu.

Das Gebet

Lieber Gott, nimm es hin,
daß ich was Besond’res bin.
Und gib ruhig einmal zu,
daß ich klüger bin als du.
Preise künftig meinen Namen,
denn sonst setzt es etwas. Amen.

Lieber Gott, nimm es hin,
daß ich was Besond’res bin.
Und gib ruhig einmal zu,
daß ich klüger bin als du.
Preise künftig meinen Namen,
denn sonst setzt es etwas. Amen.

Gernhardt war rund zehn Jahre älter und zehn Zentimeter grösser als Sie.
Eine ziemlich einschüchternde Erscheinung.

Doch eigentlich sah er zu Ihnen hoch und sagte einmal: «Otto war für mich der Sechser im ­Lotto.» Was war er für Sie?
Die Zusatzzahl.

Als Team haben Sie Filme gemacht, die das Massenpublikum erreichten.
Ich habe den Kopf hergehalten und die Komik der sogenannten Neuen Frankfurter Schule unters Volk gebracht.

Für eine solche Komikerkarriere scheint der Name Otto wie ein Geschenk zu sein. Ihr Bruder Karl-Heinz hätte sich wohl ein Pseudonym zutun müssen.
Der Vorname ist eine angenehme Begleiterscheinung. Voraussetzung ist aber, dass man komisch ist. Ich wurde einfach nie ernst genommen.

Und Ihr Bruder?
Der hatte als Elektroingenieur eine seriöse Ausbildung. Es hiess immer: «Guck mal, was dein Bruder macht – der hat was Festes. Und du blödelst hier nur rum: Brotlose Kunst! Brotlose Kunst!»

Und nach Ihren Erfolgen?
Mit meiner ersten Gage habe ich meinen Eltern ein Haus gekauft. Da hiess es plötzlich: «Mach so weiter, mein Junge.» Den elterlichen Rat habe ich beherzigt.

Sie sind in den ersten Nachkriegsjahren im stark zerstörten Emden an der deutsch-niederländischen Grenze aufgewachsen. War das nicht bedrückend?
Nein, das war herrlich. Die Trümmerhaufen waren ein natürlicher Spielplatz. In den Ruinen haben wir Kinder unseren Spass gehabt.

Sie beschreiben eine glückliche Kindheit mit einem Vater, der für seine Familie die heile Welt suchte. Hat er Sie geprägt?
Mit seinem Optimismus war er ein grosses Vorbild für mich. Er war auch ein vorzüglicher Zeichner.

Hat er Ihnen dieses Handwerk beigebracht?
Er zeichnete Maritimes, ich war von Walt Disney geprägt und schon Richtung Ottifant unterwegs. Aber als Malermeister hatte er immer Tapetenmusterbücher, die auf der einen Seite weiss waren – dadurch hatte ich stets genügend Papier. Ich konnte den ganzen Tag zeichnen – grossartig!

Dann wollten Sie Kunst studieren.
Genau, denn ich sollte Kunsterzieher werden. Ich habe mich an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg eingeschrieben, aber mich dann doch eher der Malerei gewidmet. Als Lehrer wäre ich eine Lachnummer geworden, denn ich war zu bekannt.

Sie malen sehr gegenständlich. Weil sich das Komische und das Abstrakte nicht vertragen?
Es ist gewiss so, dass man vor einem Mondrian-Gemälde selten Lach­anfälle erleben wird.

Ihre Mutter war im Gegensatz zum Vater eine ernsthafte Baptistin, die alles verdammte, was nicht dem Gotteslob gereichte. Wie reagierte sie auf Ihre Ver­äppelung der Pfarrer?
Das «Wort zum Montag» gab Konflikte. Sie fand, das gehe gar nicht, und sie müsse sich wegen mir vor der Gemeinde schämen. Ich erklärte ihr, dass an diesem Sketch nichts blasphemisch sei. Ich parodiere bloss das Salbadernde einer Predigt. Das hat sie dann verstanden.

Der verstorbene Bundeskanzler Helmut Schmidt war nicht so nachsichtig mit Ihnen.
Richtig. Ich musste mich bei ihm für einen Papstwitz entschuldigen: «Der Papst hat Selbstmord begangen.» – «Warum nicht, wenn man sich beruflich verbessern kann.» Das fand Schmidt völlig deplatziert, obwohl er gar nicht katholisch war.

Satire darf gemäss Tucholsky ­alles. Was darf die Parodie?
Ein bisschen mehr.

Doch der Fundus für Parodie-Vorlagen wird kleiner. So bedauern Sie im Buch, dass Autoritäten von früher – Geistliche, Generäle, Politiker – ihren Nimbus eingebüsst haben.
Das relativiert sich zum Glück. Mittlerweile gibt es wieder andere Vorlagen. Da tun sich musikalische Welten auf, Richtungen wie Rap, Hip-Hop und so weiter. Sinnstifter wird es immer geben.

Aber es ist schon so, dass die Autoritäten nicht mehr so mächtig sind.
Ja, das ist richtig. Wenn man heute einen Richter parodiert, fühlt sich kaum wer auf die Robe getreten.

Sie werden im Juli 70. Der richtige Zeitpunkt für eine Biografie?
Keine Ahnung. Vielleicht sollte man mit 30 eine schreiben. Die würde dann nicht so lang. Aber jetzt kommt die ganze Geschichte.

Vielleicht ist Ihr Alter egal, denn Sie schreiben, dass ein wahrer Komiker nicht altert.
Ja, das schreibt man gerne.

Wie alt fühlen Sie sich?
Wie spät ist es gerade?

Zehn nach drei.
Schon wieder zehn Minuten älter.

Mittlerweile bespassen Sie mit Ihren Bühnenshows die Enkel ­Ihrer ersten Fans.
Ja, das ist verrückt! Das hat aber auch damit zu tun, dass ich seit sechszehn Jahren der Zeichentrickfigur Sid in der Spielfilmfolge «Ice Age» die deutsche Stimme gebe. Das bringt immer wieder neue Zuschauer und neue Fans. Neulich sagte ein Vater in Stuttgart angesichts von mir zu seiner kleinen Tochter: «Schau, Marie, des isch s Sidle.»

Sie sind grosse Bühnen gewohnt. Nun werden Sie mit der Biografie in kleinen Buchhandlungen rumtingeln. Reicht Ihnen das?
Ursprünglich wollte der Verlag grosse Hallen mieten. Aber hier geht es um Lesungen, da finde ich einen kleineren Rahmen angemessen.

Nehmen Sie die Gitarre mit?
Ich reise nie ohne.

Werden Sie damit in die Schweiz kommen?
Mit der Lesung komme ich nach Lörrach bei Basel – das ist fast schon Schweiz. Und kürzlich war ich für eine Show in Dübelshausen.

Wo?
Dübelsheim.

Meinen Sie Dübendorf?
Genau.

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