César Ritz der Jahrhundert-Hotelier
Luxus aus dem Bergbauerndorf

In Niederwald kam er zur Welt, in Niederwald ist er beerdigt: Der Walliser Cäsar Ritz ­hat mit seinen Hotels eine neue Klasse geschaffen. Ein Besuch in seiner Heimat zum 100. Todestag.
Publiziert: 12.07.2018 um 11:03 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 16:28 Uhr
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Der König der Hoteliers und Hotelier der Könige: Cäsar Ritz (1850-1918).
Foto: KEYSTONE
Daniel Arnet

Es geht «stotzend embrüf». Nach dem letzten Haus von Niederwald VS führt ein schmaler Pfad durch den dürren Wiesenhang hinauf zur Flur Kumma. Grillen zirpen, die Sonne brennt, der Dorfbach Schwarze Brunne rauscht runter in den Rottu, die spätere Rhône. Das ist der Lebensweg von Cäsar Ritz.

Vor der Wegbiegung ein Blick zurück auf das kompakte Dorf – Dach an Dach, nur der spitze Kirchturm überragt alles. Ein Bild wie aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, als der spätere Hotelierkönig Ritz hier aufwuchs. Auf der ersten Schrifttafel des vom Tourismusbüro erstellten Lebenswegs steht: «Versetzen Sie sich mental in den jungen Cäsar, und begleiten Sie ihn auf diesem Bergweg zusammen mit einer Herde Tiere zur Weide.»

Als 13. und letztes Kind der ­Bergbauern Johann-Anton und Kreszentia Ritz-Heinen kommt ­Cäsar 1850 auf die Welt. Das Geburtshaus von 1704 mit steinernem Unterbau und drei Geschossen aus typischem, schwarzem Lärchenholz steht am oberen Rand von Nieder­wald. Eine Metallplatte an der Hauswand erinnert an den berühmtesten Sohn des Orts: «Geb. 23. Febr. 1850, gest. 26. Okt. 1918.»

2018 jährt sich sein Todestag zum 100. Mal – und ganz Niederwald ist aus dem Häuschen: Vom 18. Juli bis 11. August geht auf dem Dorfplatz vor dem Ritz-Brunnen ein Freilichtspiel über die Bühne, in dem Laiendarsteller das Leben des Begründers der Ritz-Hotels aufleben lassen. Das 45-Seelen-Dorf bereitet sich auf einen Ansturm von 3000 Zuschauern vor.

Obwohl das Grab von Cäsar Ritz im Kirchhof keine 100 ­Meter vom Geburtshaus entfernt liegt, bietet sein Leben viel Stoff für einen Theaterabend. Denn es führte ihn weit herum – von Luzern über Wien und Rom nach Paris bis London, um nur ein paar Stationen zu nennen. Es brachte ihn vom Ländlich-Bäuerlichen ins Städtisch-Mondäne, von den Armen zu den Reichen: Cäsar Ritz ist mit seinen eigenen Häusern der Begründer der Luxushotellerie.

Chanel, Hemingway und Diana waren Gäste im Ritz

15 Place Vendôme, Paris: Das ist die Adresse des Hotels, das ­Cäsar Ritz 1897 kauft, für einen damals gigantischen Millionenbetrag von Gönnern umbauen lässt und am 5. Juni 1898 mit viel Pomp und Prominenz unter seinem Namen eröffnet – le Ritz. Schriftsteller Marcel Proust (1871–1922) ist Stammgast, Modedesignerin Coco Chanel (1883–1971) wohnt von 1936 bis zu ihrem Tod im Hotel und nennt es «ma maison».

Prinzessin Diana (1961–1997) verbringt im Ritz die letzten Stunden vor ihrem tragischen Unfalltod – berühmt das Foto, auf dem sie das Hotel letztmals durch die Drehtür betritt. Auf den Freund der Familie Ritz, den US-Schriftsteller Ernest Hemingway (1899–1961), geht der Spruch zurück: «Wenn ich von einem Leben nach dem Tod träume, dann findet es immer im Ritz in Paris statt.»

Ritz wird der Inbegriff für Luxus. «Come let’s mix where Rockefellers walk with sticks and umbrellas in their mitts … Puttin’ on the Ritz», komponiert der US-Musiker Irving Berlin (1888–1989) in seinem berühmten Jazz-Standard von 1929: «Komm, mischen wir dort mit, wo all die Rockefellers in Handschuhen mit ihren Spazierstöcken und Schirmen herumlaufen … Wirf dich in Schale.» «Ritzy» wird im Englischen zum Adjektiv für elegant, feudal und nobel.

Ritz war zu seiner Zeit so weltberühmt wie Federer heute

«César de luxe» heisst das Angebot, zu dem es vor der Theateraufführung in Niederwald ein dreigängiges Ritz-Menü gibt. «Als Hauptgang koche ich ein Tournedos Rossini nach dem Rezept des berühmten Ritz-Kochs Auguste Escoffier», sagt David Gehrig (49), Wirt des Restaurants Drei Tannen. Er ist für das ­Catering während der Freilicht­spiele verantwortlich, bietet aber im Ritz-Stübli das ganze Jahr über Gerichte zu ­Ehren des weltberühmten Niederwaldners an; aktuell eine Cäsar-Ritz-Wurst mit Nüssen und Rosinen drin oder Spaghetti Maestro Ritz mit ­Safran und Peperoncini.

Gehrig rührt nicht nur gewandt den Kochlöffel, er ist auch sonst umtriebig und hält das Gedächtnis an Ritz wach. «In meiner Schulzeit im Goms habe ich keine zehn Minuten von Cäsar Ritz gehört», sagt er. Dafür habe man Griechen, Römer und «weiss dr Tiifel» was durch­genommen. «Dabei ist der Ruhm von Cäsar Ritz um 1900 mit dem von Roger Federer dieser Tage zu vergleichen.»

1860 steht der junge Cäsar noch mit Geissen auf der Flur Kumma oben und blickt verträumt runter auf Niederwald und in die Ferne des Rhonetals. Er sei ein «füülä Chasper» gewesen, sagt Gehrig. «Als Bergbauer hätte er nicht überlebt.» Die Mutter glaubt beim Jüngsten schon früh eine künstlerische Ader zu spüren. Und da es der Familie zunehmend schwerfällt, alle 15 Mäuler zu stopfen, schickt man ihn mit 13 Jahren runter nach Sitten in eine Kunstschlosserlehre.

Cäsar erweist sich als handwerklich wenig begabt und bricht die Lehre ab. Der Vater schickt ihn darauf­hin zu einem befreundeten Hotelier nach Brig: In der Nobelherberge Couronne et Poste von ­Joseph Escher soll der Teenager eine Kellnerlehre absolvieren. Doch der Patron entlässt ihn mit deut­lichen Worten: «Aus dir wird nie ein rechter Hotelier!» Resigniert versucht sich Cäsar in Brig noch als Hauswart und Sakristan im Kollegium Spiritus Sanctus. Doch sein Geist brennt nicht fürs Himmlische, sondern fürs Bodenständige.

Kupferne Blumenkessel macht er kurzerhand zu Heizkörpern

Als er von der Eröffnung der Weltausstellung in Paris am 1. April 1867 hört, ist es um ihn geschehen: nichts wie hin! Der 17-Jährige sieht mitten in der französischen Metropole russische Bauernhöfe neben ungarischen Wirtshäusern und orien­talischen Cafés. Er sieht nubische und äthiopische Tänzer, die das Flair ferner Länder an die Seine bringen.

Elf Millionen Besucher – und ­unter ihnen der Bergbauernbub aus Niederwald. Um zu überleben, muss er arbeiten. «Ritz fängt wirklich ganz unten an», sagt René ­Diezig (65) aus Bellwald VS, der mit dem Hotelpionier entfernt verwandt ist: Sein Urgrossvater heiratete eine Schwester von Cäsar Ritz. «Er machte eine klassische Tellerwäscherkarriere», sagt Diezig, «vom Schankburschen an der Weltausstellung über den Oberkellner bis zum Maître d’Hôtel.»

Er kriegt den Übernamen «César le rapide» – nicht nur, weil er schnell zu bedienen weiss, sondern auch wegen seiner schnellen Auffassungsgabe. Die blitzt in seinem Leben ­immer wieder auf. Gibt es ein Problem, Ritz weiss Rat: Als im Grand Hotel in Rom die Beleuchtung versagt, sorgt er mit 1000 Kerzen für einen unvergesslichen Abend; als im Rigi Kulm die Heizung ausfällt, erhitzt er Steine am Feuer und füllt sie in kupferne Blumenkessel, die er so zu Heizkörpern umfunktioniert; und um das Luzerner Hotel National am Vierwaldstättersee vor dem Ruin zu bewahren, inszeniert er auf dem Wasser den venezianischen Canale Grande.

Not macht erfinderisch – auch in seinen südfranzösischen Hotels, wo die Cholera wütet. Hygiene ­erklärt Ritz zum obersten Gebot. Deshalb will er auch keimfreie Milch. «In London hat Ritz die Herstellung von Milchpulver gesehen», sagt Drei-Tannen-Wirt Gehrig. «Er sichert sich das Patent für die Schweiz.» Nachdem er die Berneralpen Milchgesellschaft gegründet hat, lässt er im Konolfingen-Ortsteil Stalden eine Milchfabrik bauen – dort, wo bis heute die berühmte Stalden-Crème herkommt.

«Lebensmittelfachmann, Weinexperte, Kunstverständiger, sattelfester Finanzmann, Psychologe und Schönredner – der Hotelier muss gemäss Cäsar Ritz ein wahres Universalgenie sein», sagt Diezig. «Für ihn gab es nur einen Leitspruch: Der Gast ist König.» Und der König ist Gast: Zu den grössten Verehrern und Bewunderern von Ritz gehört der britische König ­Edward VII. (1841–1910). Der frühere Prinz von Wales bezeichnet den Walliser als «König der Hoteliers und Hotelier der Könige».

Die letzten 16 Jahre lebt Ritz zurückgezogen im Sanatorium

Der fünf Kilometer lange «Lebensweg Cäsar Ritz» führt auf der sonnenabgewandten Seite des Rhonetals durch Wald zurück nach Niederwald. Und tatsächlich legen sich Schatten über den Hotellerie-Star – die andauernde Arbeit und das viele Reisen hinterlassen Spuren. «Damals gab es noch keine Flugzeuge», sagt Gehrig. «Ritz musste mit Kutschen und Pferden durch Europa reisen.» 1902 bricht er bei der Arbeit zusammen. «Heute würde man wohl von einem Burnout sprechen», so Gehrig.

Ritz kommt in ein Sanatorium in Küssnacht am Rigi, seine geschäftstüchtige Frau Marie-Louise (1867–1961) übernimmt die Geschicke des Hotelimperiums. «Sie ist die Taufpatin meines Vaters», sagt Diezig. Und ergänzt: «Sie fühlte sich Niederwald stets verbunden und kam jeweils im Sommer mit Bentley und Chauffeur aus Paris angefahren, um ein Ritz-Fest zu veranstalten.» Die Einheimischen nennen sie ehrerbietig Madame Ritz.

Sie ist unterwegs, als Cäsar Ritz am 25. Oktober 1918 in den Armen einer Krankenschwester stirbt – kurz nach dem Tod des jüngeren Sohns René, der an den Folgen eines Sturzes in einen Liftschacht umkommt. Beide werden im Pariser Prominentenfriedhof Père Lachaise beerdigt. Doch als Marie-Louise Ritz stirbt, hinterlässt sie einen letzten Wunsch: Die Gebeine ihres Mannes und ­ihres Sohns müssen in ihr Grab in Niederwald.

Am 14. Januar 1961 hält ein Extra­­zug aus Paris mit zwei Särgen im Bergdorf. Es ist ein bitterkalter Samstag. Am Montag findet die zweite Beisetzung unter grosser Anteilnahme der Walliser Bevölkerung statt. Und so liegt Cäsar Ritz, der ­Erfinder der Luxushotellerie, heute unter einem schlichten, hölzernen Grabmal in seiner Heimat.

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