Die Eidgenossen kämpfen gegen das Blackout. Bundesrat und Parlament arbeiten fieberhaft am Ausbau der Energieversorgung. Als Mitglied der Elektrizitätskommission (Elcom) befasst sich auch Felix Vontobel (64) mit der drohenden Winterstromlücke – doch als Privatmann wäre er davon nicht betroffen: Das Haus seiner Familie in PoschiavoGR produziert mehr Solarstrom, als es benötigt – während zwölf Monaten im Jahr.
Der Plus-Energie-Bau wurde 2021 fertiggestellt. «Wir wollten mit der Sonne bauen, energie- und ressourceneffizient», sagt Vontobel. Das Haus verfügt über eine lückenlose Dämmung, Wärmepumpe, Warmwasserspeicher und ganzflächig integrierte Fotovoltaikanlagen an den Fassaden und auf dem Dach. Es verbraucht gerade einmal 7400 Kilowattstunden Strom pro Jahr – bei einer Produktion von 45'000 Kilowattstunden. Das Gebäude liefert also 609 Prozent seines Eigenverbrauchs.
«Auch im Winter massive Stromüberschüsse»
Aufhorchen lässt die Konstanz der Energieproduktion: Das Haus erzeugt auch im Winter massive Stromüberschüsse – fast 400 Prozent des Gesamtverbrauchs. Das ist europaweit einzigartig. «Im gesamten letzten Jahr produzierte das Gebäude nur an zwölf Tagen weniger Energie, als wir verbrauchten», sagt Vontobel. «Diese Lücke lässt sich mit einer einfachen Batterie überbrücken.»
435 Module überziehen den gesamten Bau. Doch wer sie als solche erkennen will, muss nahe herangehen. «Ziel war es, Technik und Ästhetik zu verbinden», sagt Architektin Nadia Vontobel (34). Die Tochter des Bauherrn hat bei der Planung bewusst auf die Winterstromversorgung geachtet: Gebäudeausrichtung, Dachneigung, Fenster und Einschnitte sind darauf ausgerichtet, auch in der kalten Jahreszeit möglichst viel aus der Sonne herauszuholen.
Nicht nur in Bergtälern eine rentable Option
Solche Leistungen sind nicht nur in sonnenverwöhnten Bergtälern möglich. Das zeigt das Beispiel eines Mehrfamilienhauses mit Jahrgang 1974 in Fahrwangen AG. Eine energetische Sanierung reduzierte den Gesamtenergiebedarf von 137'000 Kilowattstunden pro Jahr auf 24'700 Kilowattstunden. Solaranlagen auf dem Dach, an der Fassade und an den Balkonbrüstungen sorgen für 78'000 Kilowattstunden Strom pro Jahr. Das sind 315 Prozent des Eigenbedarfs.
Auch im Winter erzeugt das Gebäude grosse Überschüsse – 157 Prozent des Gesamtverbrauchs. Weil der Energieverbrauch in den kältesten Monaten von November bis Januar um 80 Prozent reduziert wurde, übersteigt dieser die Produktion nur noch an 14 Tagen im Jahr.
«Das Haus in Fahrwangen ist ein eindrückliches Beispiel dafür, was heute technisch möglich ist», sagt der Aargauer Energiedirektor Stephan Attiger (55). Er nimmt gerade einen neuen Anlauf zur Revision des kantonalen Energiegesetzes. Der erste Versuch scheiterte 2020 an der Urne. Nun sollen die Aargauer weiterhin fossile Ersatzheizungen einbauen dürfen, auch Fotovoltaik auf dem Dach bleibt freiwillig. «Wir müssen zuerst den Verbrauch reduzieren, deshalb ist das Förderprogramm mit Energieeffizienz-Massnahmen wichtig», sagt Attiger. «Es bringt nichts, eine Ölheizung zu entfernen und dann nach draussen zu heizen.»
Massives Potential
Das Energie-Haus in Fahrwangen tut beides gleichzeitig: Es dämmt und versorgt mit Erneuerbaren. Architekt Giuseppe Fent (70) hat die Sanierung durchgeführt. Er baut seit 30 Jahren Sonnenhäuser. «Ich will meine Zeit nicht für Umweltverschmutzung hergeben», sagt Fent. Plus-Energie-Bauten seien aber auch ökonomisch ein Gewinn: «Die Investoren geben neun Prozent mehr aus, verdienen aber durch den Verkauf der überschüssigen Energie anschliessend 26 Prozent mehr.»
Die Häuser in Poschiavo und Fahrwangen wurden diese Woche von der Solar Agentur Schweiz ausgezeichnet. Noch stehen sie ziemlich allein da. In der Schweiz gibt es nur 230 Plus-Energie-Bauten. Würde die Hälfte der hiesigen Gebäude nach diesem Konzept gebaut oder saniert, könnten diese Häuser 127 Terawattstunden Solarstrom pro Jahr liefern – das Doppelte des heutigen Gesamtverbrauchs.