Aus dem riesigen Ghettoblaster scheppert ein alter Song von Stress. Der Schweizer Rapper (41) steht mit einer Umzugskiste im Flur, blickt wehmütig auf das Gerät am Boden und lässt es zurück. Draussen packt er das Zügelgut auf seinen Pick-up. Bevor er losbraust, stellt er im Auto den kleinen DAB-Radio ein – und der klare Klang zaubert Stress ein Lächeln auf die Lippen.
«Radio zieht um auf DAB+. Mehr Klang. Mehr Sender. Mehr Radio.» Dieser kurze TV-Werbespot und ein Pendant mit der zügelnden Schlagersängerin Francine Jordi (41) soll Schweizerinnen und Schweizer dazu motivieren, ihre alten UKW-Empfänger zu verschrotten und DAB+-Geräte zu kaufen. Denn spätestens 2024 soll Schluss sein mit der Radio-Ausstrahlung über die Ultrakurzwelle (UKW).
DAB ist die Abkürzung für die englische Bezeichnung Digital Audio Broadcasting, was zu Deutsch etwa digitaler Hörfunk heisst. Von der Europäischen Union zwischen 1987 und 2000 wegen der Überlastung der UKW-Frequenzen im Rahmen eines Eureka-Projekts entwickelt, schafft die komprimierte DAB-Übertragung schier unendlichen Platz, und das ohne Störgeräusche. Berauschend!
Mitten in diese Aufbruchstimmung funkt nun der alte Radio-Pionier Roger Schawinski (73): «DAB–» titelt er seinen neusten Blog-Eintrag auf der Medienplattform Persönlich.com – Minus-Noten erhält also die neue digitale Übertragungstechnik von Schawinski. Von jenem Mann, der 1979 mit einem starken UKW-Sender auf dem italienischen Pizzo Groppera den damaligen Piratensender Radio 24 ins 130 Kilometer entfernte Zürich ausstrahlte und damit die Privatradio-Szene in der Schweiz begründete.
In seinem Blog legt sich Schawinski wieder mit seinem früheren Lieblingsfeind SRG an und schreibt: «DAB wurde 1999 im Alleingang von der SRG lanciert und erwies sich als kapitaler Flop, weil die Konsumenten keinen echten Vorteil gegenüber UKW feststellen konnten.» 2011 habe man es mit einem technisch verbesserten Produkt unter dem Namen DAB+ ein zweites Mal versucht. «Seither wurden gegen 100 Millionen in diese Infrastruktur investiert.»
«Diese Infrastruktur» besteht im Wesentlichen aus digitalen Sendeanlagen, die man zusätzlich zu den rund 850 UKW-Sendern in die Landschaft setzt. Damit sich dieser Aufwand lohnt, hat das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) vier Millionen Franken in die «Radio zieht um»-Werbespots gesetzt und diesen Frühling eine zweite Informationskampagne für fünfeinhalb Millionen Franken ausgeschrieben.
Ist DAB+ bloss eine teure Zwischenlösung?
Überzeugungsarbeit ist nötig, wenn man das UKW-Netz 2024 tatsächlich stilllegen will – manche Branchenplayer streben sogar eine UKW-Abschaltung bis 2021 an. Doch während schweizweit rund zehn Millionen UKW-Empfänger in Haushalten, Büros und Autos in Betrieb sein dürften, sind bis Ende 2017 erst gut dreieinhalb Millionen DAB+-Geräte im Umlauf. Das reicht bei weitem noch nicht für eine nationale Abdeckung.
Von Senderseite her sind in der Schweiz aktuell 136 Radioprogramme über DAB+ on air, je nach Region sind unterschiedlich viele empfangbar. Gemäss Bakom entfielen letztes Jahr 34 Prozent der Radionutzung über diese Technik, während UKW mit 37 Prozent immer noch an der Spitze lag – Tendenz fallend. Den digitalen Empfangsweg übers Internet (Digital-TV und IP-Radio über Computer oder Smartphone-App) machte bereits 29 Prozent aus.
Über UKW (seit 1978 bis spätestens 2024)
Vorteil: Es gibt praktisch keinen Ort ohne UKW-Empfang. Rund 850 Antennen senden die Programme der Radios bis in den hintersten Winkel des Landes.
Nachteil: Die empfangbaren Signale sind manchmal schwach und zuweilen mit Störgeräuschen versetzt. Wer unterwegs dasselbe Programm hören will, muss die Frequenz wechseln. UKW bietet nur einer beschränkten Anzahl Radiostationen einen Sendeplatz, und der Unterhalt der Antennen ist teuer.
Via DAB (seit 1999 bis 2015; seit 2012 DAB+)
Vorteil: Die digitale Übertragung bietet eine Tonqualität ohne störende Nebengeräusche. Der Frequenzbereich bietet viel mehr Stationen einen Sendeplatz. Und wer einmal ein Programm gewählt hat, muss unterwegs die Frequenz nicht ändern.
Nachteil: Digitalradios verbrauchen etwas mehr Energie, und unterwegs hat es (noch) etliche Funklöcher. Ausländische Sender sind nicht oder nur noch im grenznahen Raum empfangbar.
Mit einer Smartphone-App (seit 2007)
Vorteil: Wer Radio über eine App hört, empfängt den Sender aus dem Internet. Die Auswahl an Stationen geht in die Tausende und ist mit Handyempfang überall abrufbar. Die Sender ihrerseits haben keine zusätzlichen Kosten für den Aufbau einer Infrastruktur.
Nachteil: Noch ist der Empfang nicht immer stabil und bricht öfters ab. Zudem braucht der Hörer einen Provider-Vertrag für das Smartphone.
Über UKW (seit 1978 bis spätestens 2024)
Vorteil: Es gibt praktisch keinen Ort ohne UKW-Empfang. Rund 850 Antennen senden die Programme der Radios bis in den hintersten Winkel des Landes.
Nachteil: Die empfangbaren Signale sind manchmal schwach und zuweilen mit Störgeräuschen versetzt. Wer unterwegs dasselbe Programm hören will, muss die Frequenz wechseln. UKW bietet nur einer beschränkten Anzahl Radiostationen einen Sendeplatz, und der Unterhalt der Antennen ist teuer.
Via DAB (seit 1999 bis 2015; seit 2012 DAB+)
Vorteil: Die digitale Übertragung bietet eine Tonqualität ohne störende Nebengeräusche. Der Frequenzbereich bietet viel mehr Stationen einen Sendeplatz. Und wer einmal ein Programm gewählt hat, muss unterwegs die Frequenz nicht ändern.
Nachteil: Digitalradios verbrauchen etwas mehr Energie, und unterwegs hat es (noch) etliche Funklöcher. Ausländische Sender sind nicht oder nur noch im grenznahen Raum empfangbar.
Mit einer Smartphone-App (seit 2007)
Vorteil: Wer Radio über eine App hört, empfängt den Sender aus dem Internet. Die Auswahl an Stationen geht in die Tausende und ist mit Handyempfang überall abrufbar. Die Sender ihrerseits haben keine zusätzlichen Kosten für den Aufbau einer Infrastruktur.
Nachteil: Noch ist der Empfang nicht immer stabil und bricht öfters ab. Zudem braucht der Hörer einen Provider-Vertrag für das Smartphone.
Schawinski moniert nun, dass dem Internet-Empfang die Zukunft gehöre und dass die Schweiz mit DAB+ auf eine teure Zwischenlösung setze, die bereits 2035 überholt sein dürfte. «Das formidable UKW hätte wohl zur Zufriedenheit aller ausgereicht, bis das laufend verbesserte IP auch den Radiobereich voll abdecken wird», so Schawinski.
«UK-Fee bringt UKW»: Mit diesem Slogan tourte vor genau 40 Jahren die Schauspielerin Birgit Steinegger (69) durchs Land, um die Radiohörer dazu zu bringen, vom Mittelwelle-Sender Beromünster auf UKW zu wechseln – mit Erfolg. Aber 1978 musste man deswegen auch nicht gleich ein neues Empfangsgerät kaufen. Ein Tastenwechsel auf dem alten Radio von AM (für Mittelwelle) zu FM (für UKW) reichte in der Regel.
Zudem war der Gewinn für die Konsumenten deutlich hörbar: Fast 50 Jahre berieselte die SRG die Deutschschweiz mit dem Landessender Beromünster mit dumpfen, undeutlichen Tönen – ein bisschen so, wie wenn man sich das Programm an einem schlechten Telefonhörer reinziehen würde. Mit UKW kam die stimmechte Übertragung, und das sogar in Stereo.
Demgegenüber sehen viele Radionutzer im Schritt von UKW zu DAB+ keine echte Verbesserung. So schreibt selbst Stefan Grünig von DAB-Swiss: «Die DAB+-tauglichen Radios verbrauchen etwas mehr Energie, und der Klang ist für geschulte Ohren aufgrund der Datenreduzierung sicherlich nicht in CD-Qualität.» Der klangliche Unterschied ist also keineswegs so, wie der eingangs erwähnte Stress-Werbespot suggeriert – da die scherbelnde Ultrakurzwelle aus dem Ghettoblaster, dort das kompakte Klangwunder DAB+.
«Swiss Radioplayer»-App konkurrenziert DAB+
Beim mobilen Gebrauch von DAB+ besteht ein weiteres Problem: Autofahrer klagen immer wieder, dass ihnen in Funklöchern das gewählte Radioprogramm rausfällt. Gibt es bei UKW stärkeren und schwächeren Empfang, so heisst es bei DAB+ nur alles oder nichts. Am häufigsten schalten noch Tunnels das Digitalradio auf stumm. Gemäss Dani Büchi, Verwaltungsratspräsident der SwissMediaCast, arbeitet man laufend an Lösungen: «Aktuell kann man in 100 Tunnels bereits DAB+ hören, über 30 Tunnels folgen bis Ende Jahr, nochmals so viele 2019.»
Die Schwierigkeiten auf Empfängerseite sind das eine, dazu kommen die hohen Kosten der zusätzlichen digitalen Übertragung für die Radiostationen – man spricht von jährlichen 10 bis 15 Millionen Franken für Privatradios und 15 bis 20 Millionen Franken für die SRG. Deshalb äufnet der Bund Konzessionsgelder im sogenannten «Technologieförderungstopf» und schöpft daraus für die Sendeanstalten. Bis zu 80 Prozent der Aufwendungen für die digitale Übertragung sind dadurch gedeckt.
Doch 2022 soll mit diesen Subventionen Schluss sein. Die Befürchtung: Kleinere Radiostationen könnten dann in finanzielle Schwierigkeiten geraten und ins günstigere Internet abwandern, denn dort entstehen keine Kosten durch eine eigene Infrastruktur. Es braucht bloss eine Website und eine App fürs Smartphone.
Eine solche App haben drei Schweizer Radioverbände zusammen mit der SRG eben erst Anfang September lanciert: «Swiss Radioplayer» heisst sie und bietet rund 130 Schweizer Radioprogramme. Man kann sie auf allen digitalen Endgeräten nutzen. Zudem ist der «Swiss Radioplayer» in alle Android-Auto-Entertainment- und CarPlay-Systeme integriert.
Jürg Bachmann, Präsident des Verbands Schweizer Privatradios (VSP), ist begeistert. «Dieser gemeinsame Auftritt und die Integration in eine europäische Lösung werden viel dazu beitragen, dass die Schweizer Privatradios auch im Internet gefunden werden und Reichweite generieren können», schreibt er in einer Medienmitteilung Ende August.
20 Prozent weniger Hörer nach UKW-Abschaltung in Norwegen
Hintertreibt dieser Internet-Auftritt nicht die Bemühungen, die Schweizer Radio-Hörerschaft für DAB+ zu begeistern? Es sei von Anfang an klar gewesen, dass UKW nicht nur von einer einzigen Verbreitungstechnologie abgelöst werde, liess sich Bachmann bereits im Frühling zitieren. Er weist aber darauf hin, dass nur DAB+ Unabhängigkeit von IP-Netzen und damit Providern biete. Doch letztlich sei es egal, über welchen Kanal die Hörer kommen.
Ein schlechtes Zeichen für DAB+ in der Schweiz. Allerdings steht das Digital Audio Broadcasting auch international auf wackligen Füssen. Zwar sind heute weltweit in 35 Ländern DAB-Sender in Betrieb, die über 400 Millionen Menschen erreichen können. Doch Länder wie Indien, Kanada, Mexiko, Portugal und Österreich haben DAB nach einer Testphase bereits wieder aufgegeben. Und die USA, das Mutterland des Radios, haben sich gar nie für DAB interessiert.
Norwegen ist das erste und bisher einzige Land, das dieses Jahr DAB flächendeckend einführte und das UKW-Netz abschaltete. Mit drastischen Folgen: Die Hörerzahlen sind von Januar 2017 bis Juli 2018 von 68 Prozent auf 48,2 Prozent abgesackt. «So hat sich DAB+ als brutalster Radiokonsum-Vernichter aller Zeiten manifestiert», frotzelt Roger Schawinski.
Aber vielleicht liegt die Zukunft des Radios – wie bereits beim Fernsehen – gar nicht mehr beim zeitgleichen Konsum, sondern bei Podcasts, wo jeder individuell seinen Hörgenuss runterladen kann. Radio SRF bietet dieses Format jedenfalls schon fleissig an. Und manche Sendungen kann man via Podcast hören, bevor sie on air gehen – das Radio überholt sich so quasi selber.