Wenn die die Schwulensendung falsch machen, gibt es Tote. Das ging Martin Fröhlich durch den Kopf, als er von den Plänen des Schweizer Fernsehens hörte. Und er sollte recht behalten. 1978 galten Homosexuelle als krank, wurden verachtet, ja gejagt. Es gehörte zur Tagesordnung, dass an ihren Wohnungstüren «Schwule Sau»-Zettel klebten. Oder dass Polizisten an Schwulentreffpunkten Männer schikanierten. Sie nahmen sie fest, verhörten sie, verhöhnten sie und vermerkten ihre Namen im «Homo-Register».
Viele Opfer landeten bei Martin Fröhlich. In der Homosexuellen Arbeitsgruppe Zürich (HAZ) kümmerte er sich als «Mutter Fröhlich» um die verlorenen Söhne. Um jene also, die aus dem Elternhaus geflogen waren, weil sie an einem Sonntagnachmittag bei Kaffee und Kuchen dem Vater endlich gebeichtet hatten, dass sie eben «anderschume» sind.
Tabubruch fürs Fernsehen und die Gesellschaft
Die Zeiten haben sich geändert. Heute sind Ex-Missen und Models wie Dominique Rinderknecht und Tamy Glauser die Poster-Girls der Lesbenbewegung. An der Pride marschieren 24 000 Menschen mit – und die Medien berichten ausführlich über deren Forderungen. Damals aber, vor 40 Jahren, wagte sich das Schweizer Fernsehen zum ersten Mal überhaupt an das Thema Homosexualität heran. In der «Telearena» kamen Schwule, Lesben und Kritiker unter Leitung von Moderator Hansueli Indermaur zu Wort. Ein Tabubruch! Nicht nur fürs Fernsehen, sondern auch für die Gesellschaft: Erstmals wurde in der breiten Öffentlichkeit über gleichgeschlechtliche Liebe gesprochen.
Die Sendung wurde zum Meilenstein für die Homosexuellen. Doch das ahnte damals niemand. Zuletzt die Schwulen und Lesben selbst. «Wir waren einfach nur überrascht, als wir von den Plänen hörten», sagt der heute 78-jährige Fröhlich in seiner Wohnung in Münchenbuchsee BE. Sofort trommelten er und seine Brüder im Vorfeld alle zusammen, die sie kannten, und machten einen Schlachtplan: «Die Perversengegner und Bibelzitierer sollten auf keinen Fall die Oberhand gewinnen.»
Der Plan ging auf. Als am 12. April 1978 in Leutschenbach endlich die Kamera lief, gabs einen Schlagabtausch, bei dem die Homos für einmal die Starken waren. Jetzt lachten sie aus, stellten bloss und buhten dazwischen, wenn einer rief: «Es gibt einen guten Seelenarzt, der frei macht, und das ist Christus.» Oder ein anderer dozierte: «Die Grundlage des Staats ist die Familie mit Frau und Mann. Ich habe noch nie gesehen, dass Homosexuelle dem Gnägi Ruedi (Alt-Bundesrat) einen Soldat gestellt haben.» Die Sendung versank im Chaos – und Moderator Indermaur verkam zur hilflosen Randfigur.
Einige nahmen sich nach der Sendung das Leben
Die Underdogs hatten einen Sieg errungen. Nicht aber, ohne einen Preis dafür zu zahlen. «In den Tagen danach kam der grosse Kater», weiss Fröhlich, der dem Gnägi Ruedi stets zu Diensten war – sein Offiziersdolch hängt jetzt noch über dem Bett. Die Schweiz war sauer. «Schwulenpack»-Beschimpfungen füllten die Leserbriefspalten. Und auf der Strasse überzog man die «Telearena»-Teilnehmer mit «Grüsel»-Rufen. Einige verloren sogar ihre Stelle oder flogen aus der Wohnung. Andere nahmen sich das Leben. Die Sendung habe ihm seine aussichtslose Situation vor Augen geführt, schrieb ein junger Mann in einem Abschiedsbrief an seine Familie.
Wenn Heidi Oberli heute darüber nachdenkt, tut ihr das weh, ja, aber sie hat einen anderen Blick auf die Ereignisse. Sie protestierte damals in der «Telearena» dagegen, dass die Lesben sich die Teilnahme erkämpfen mussten. Als gäbe es nur Schwule. «Die Sendung war der Anstoss zu einem Aufbruch», sagt Oberli. Nun outeten sich so viele Frauen und Männer wie nie zuvor.
Sie alle suchten Rat bei Aktivisten wie Oberli und Fröhlich. Die Bewegung hatte grossen Zulauf, und die Anliegen der Lesben und Schwulen erhielten öffentlich mehr Aufmerksamkeit. Also plante man bald den nächsten Schritt: 1979 organisierten die Schwulen- und Lesbenorganisationen den ersten nationalen «Christopher Street Day» – die Vorgängerdemo der heutigen Pride.
«Uns kam es im Traum nicht in den Sinn, eine Homoheirat zu fordern», sagt Martin Fröhlich. Anders als heute, wo «Ehe für alle» in fetten Lettern auf den Protestplakaten steht. Damals wollte man einfach in Ruhe gelassen werden. Man wollte die «Homoregister» loswerden. Und schaffte es. Schritt für Schritt gaben Zürich, Winterthur, Bern und Basel die Listen auf. So versprachen es die Polizeioberen jedenfalls. Fröhlich ist noch immer überzeugt, dass sie die «Notizen einfach in den Computer übertragen» haben. Misstrauisch bis ins hohe Alter – er kann nicht anders. Er hat den Absturz miterlebt, der auf den Aufbruch folgte, er sass bei der «Aids-Katastrophe» in der ersten Reihe.
Homosexuelle sind noch immer benachteiligt
1982 wurde der erste Fall in der Schweiz bekannt. Drei Jahre später waren es mehrere Hundert. Betroffen waren vor allem Schwule. Der Aktivist musste zusehen, wie ein Dutzend seiner Freunde immer mehr an Gewicht verloren und schliesslich ganz verschwanden. Er erlebte auch, wie plötzlich die ganze Schweiz nur noch von der «Schwulenpest» redete. «Für die Öffentlichkeit waren wir Schwule nur noch Aids-Kranke.» Solche, die sich den Tod durch ihre ständigen Partnerwechsel selbst eingehandelt hatten.
Martin Fröhlich ist trotz allem zuversichtlich geblieben, von Bitterkeit keine Spur. Er bedauert höchstens, dass er nicht mehr in das letzte aller Berner Schwulenlokale kann. «Meine Knochen sind zu alt für die Kellertreppe.» Was hat sich seit der «Telearena» von 1978 verändert? «Die schummrigen Homolokale von damals haben ausgedient.» Heute muss sich niemand mehr verstecken. Auch hat eine neue Generation von Aktivisten übernommen. Eine, bei der Schwule und Lesben an einem Strang ziehen. «Das brachten wir nie fertig.» Grund zur Euphorie besteht dennoch nicht: Schwule und Lesben werden in der Schweiz noch immer benachteiligt. Heiraten, ein Kind adoptieren oder eine künstliche Befruchtung machen lassen – all das dürfen sie nicht. Und noch etwas sagt Martin Fröhlich: «Das Homosexuellen-Heftli schicken sie immer noch in blickdichter Folie.»