Antonio Guidali (59) führt gern durch seine Gemeinde. Da ist die Altstadt. Der prächtige Kuppelbau des Heiligtums Santa Croce. Die Piazza mit den Strassencafés. Der Lido am Luganersee, der nun wieder öffnet. Berühmt ist auch das älteste noch funktionierende Taufbecken der Schweiz. Seit vergangenem Donnerstag ist Riva San Vitale TI um einen Superlativ reicher. Auf diesen jedoch ist der Gemeindepräsident alles andere als stolz.
Am 5. Mai wurde die jährliche Statistik der Tessiner Kantonspolizei vorgestellt. Sie verriet: Kein Ort im Tessin hatte 2021 gemessen an der Bevölkerungszahl mehr Delikte auf dem Kerbholz als Riva San Vitale. Rein rechnerisch sei die Kriminalitätsrate zum Vorjahr sogar um 1313 Prozent gestiegen. «Als ich davon in Ticinonews las, fiel ich aus allen Wolken», sagt Antonio Guidali.
Auf der Piazza gab es nur ein Gesprächsthema
791 Delikte in Riva San Vitale? Die Gemeinde habe von nicht einem einzigen Delikt gehört, beteuert Antonio Guidali gegenüber Blick. «Nach dieser Statistik müsste ja gut jeder Dritte von uns straffällig geworden sein», sagt der Unternehmer weiter. «Welch absurder Gedanke. Wir sind doch nicht die Bronx des Tessins!»
Schockiert reagierten auch seine Bürger. «Ich bekam Anrufe. Die Menschen sprachen mich auf der Strasse an. In der Dorfbeiz, nach der Sonntagsmesse, drehte sich alles nur um das eine Thema», so der CVP-Politiker. Antonio Guidali fragt schliesslich bei der Polizei nach. «Genaues wollten mir die Beamten nicht sagen», erzählt Guidali weiter, «nur so viel: Eine Autowerkstatt in Riva San Vitale habe in mehreren Hundert Fällen Versicherungsbetrug begangen.»
Versicherungsbetrug im grossen Stil mit Windschutzscheiben
Laut Blick-Recherchen geht es um zwei Männer, die im Gewerbegebiet des Ortes eine Autowerkstatt gepachtet hatten. Von dort aus wurde verschiedenen Versicherungen Schäden an Hunderten Windschutzscheiben in Rechnung gestellt, die es in Wirklichkeit nicht gab. So wurden weit mehr Windschutzscheiben «ersetzt» als offiziell importiert. Der Serienbetrug flog auf. 2018 begannen umfassende Ermittlungen. Die Männer verschwanden aus Riva San Vitale. Im vergangenen Jahr war das Verfahren abgeschlossen. Jeder Betrugsfall wurde als Einzeldelikt in die Polizeistatistik eingetragen. Und so haben die Serienbetrüger Riva San Vitale den neuen Rekord eingebrockt.
«Von den Ermittlungen haben wir in der Gemeinde nichts mitbekommen», erklärt Antonio Guidali, «wir wissen auch nicht, wer die Männer sind.» In Riva San Vitale ist nun wieder Ruhe eingekehrt. «Unser Dorf ist herzig und friedlich. Und es ist eine Reise wert», wirbt Antonio Guidali. Man brauche auch keine schusssichere Weste, sagt der Sindaco mit einem Augenzwinkern.
*Bürgermeister
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