Häusliche Gewalt beschert den Zürcher Polizeikorps nach wie vor viel Arbeit: Im Schnitt müssen sie pro Tag 13 Mal ausrücken, um gewaltsame Auseinandersetzungen innerhalb von Familien zu beenden. Die Täter sind immer noch meist männlich, die Opfer meist weiblich.
Bei jedem vierten Einsatz wird der Täter mit einer sogenannten Gewaltschutz-Massnahme belegt. Er wird also für zwei Wochen von der Wohnung verwiesen und erhält ein Kontaktverbot zum Opfer. In schwereren Fällen werden die Täter verhaftet.
Die Justizdirektion wollte wissen, wie Fälle häuslicher Gewalt längerfristig ausgehen und gab deshalb dazu eine Studie in Auftrag. Die Ergebnisse, die am Dienstag präsentiert wurden, zeigten vor allem, dass viele Opfer gar keine Bestrafung des Täters wünschen.
Von den untersuchten 427 Fällen in einem bestimmten Zeitraum wurden 65 Prozent ohne Schuldspruch eingestellt. Die meisten davon, 50 der 65 Prozent, weil die Frau das selber so wollte. Bei den restlichen 15 Prozent Einstellungen wurde gemäss der Studie wohl Druck aus dem Umfeld ausgeübt oder es gibt keine Angaben dazu in den Akten.
«Strafverfahren keine Problemlösung»
Nur ein Drittel aller Fälle von häuslicher Gewalt im Kanton Zürich führt also zu einem Strafbefehl oder - bei schwereren Fällen - zu einer Anklage bei einem Bezirksgericht.
«Für viele Opfer ist das Strafverfahren offenbar kein taugliches Mittel für ihre Problemlösung», sagte Rahel Ott, Co-Leiterin der Interventionsstelle für häusliche Gewalt und Doktorandin am kriminologischen Institut der Universität Zürich.
Die Gründe, weshalb die Frauen die Verfahren so häufig einstellen lassen, sind vielfältig: Viele hoffen schlicht auf bessere Zeiten, die jedoch oft nicht eintreffen. Jeder vierte Täter hat innerhalb eines Jahres erneut wegen häuslicher Gewalt mit der Polizei zu tun. 61 Prozent davon sogar innerhalb von nur drei Monaten.
Weitere Gründe für den Rückzug sind die Belastung während des Strafverfahrens oder die Angst, dass eine Geldstrafe das Haushaltsbudget schmälern könnte. Häufig wollen Frauen auch verhindern, dass die Kinder ihren Vater verlieren.
Den Staatsanwaltschaften sind dann die Hände gebunden. «Wir überreden die Opfer nicht dazu, das Verfahren weiterzuführen», sagte Staatsanwältin Corinne Kauf, die oft mit häuslicher Gewalt zu tun hat. Man versuche herauszufinden, ob das Opfer unter Druck gesetzt worden sei. Ansonsten müsse man den Entscheid aber respektieren.
Opfer wünschen sich Therapie
Statt einer Bestrafung per Strafbefehl oder Gerichtsurteil wünschen sich die meisten Opfer, dass der Täter seine Probleme angeht, also dass er eine Beratung aufsucht oder eine Alkoholtherapie macht.
«Verurteilen und bestrafen ist vielleicht nicht immer die richtige und wirkungsvollste Möglichkeit», sagte Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) bei der Präsentation der Studienergebnisse. Natürlich sei die Strafverfolgung wichtig. Doch man müsse auch mit dem Opfer anschauen, wie die Gewaltspirale beendet werden könnte.
Für Staatsanwältin Kauf bedeuten die Studienergebnisse, dass bei vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen ein Umdenken stattfinden muss. «In vielen Köpfen geht es noch um die reine Bestrafung», sagte sie. Wichtig sei es aber auch, Therapien zu organisieren und zu überwachen. «Wir müssen unsere Rolle kritisch hinterfragen.»
Eine wirkungsvolle Möglichkeit, Täter von ihren Handlungsweisen wegzubringen, wäre gemäss Studie das Lernprogramm «Partnerschaft ohne Gewalt» des Zürcher Justizvollzugs.
Es wurde für Straftäter entwickelt, die sich in ihrer Bewährungsphase befinden und soll Rückfällen vorbeugen. Neben Gruppensitzungen beinhaltet dieses Programm auch «Hausaufgaben». Angeordnet wird es von Staatsanwaltschaften derzeit aber noch äusserst selten. Dies soll sich nun ändern. (SDA)