Ein ehemals im Kanton Zürich tätiger Hausarzt hat sich am Freitag vor dem Zürcher Obergericht gegen den Vorwurf der Schändung gewehrt. Er soll eine junge Patientin, die wegen Erkältungssymptomen zu ihm kam, ohne medizinische Notwendigkeit vaginal untersucht haben. Ihm droht ein lebenslanges Berufsverbot.
Der 51-jährige Deutsche legte gegen das Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom November 2020 Berufung ein. Das Gericht hatte ihn wegen Schändung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilt. Zudem verhängte das Gericht ein lebenslanges Berufsverbot. Die Zürcher Gesundheitsdirektion entzog ihm daraufhin auch die Praxisbewilligung.
Er sei deshalb gegenwärtig nicht berufstätig, sagte der Beschuldigte am Freitag vor dem Obergericht.
Anale und vaginale Untersuchung durchgeführt
Der Vorfall, der dem Arzt zur Last gelegt wurde, ereignete sich im Oktober 2019 in einem Ärztezentrum im Kanton Zürich. Der Arzt untersuchte dort eine Patientin, die normalerweise von einem Kollegen in der Praxis betreut wird. Dieser war jedoch nicht verfügbar.
Die Frau, eine damals 18-jährige Schweizerin, klagte über Erkältungssymptome und brauchte ein ärztliches Zeugnis. Der Arzt nahm an ihr jedoch ausführlichere Untersuchungen vor - inklusive einer analen Untersuchung und einer Untersuchung der Vagina.
Der Mediziner begründete sein Vorgehen mit Beschwerden, über welche die Frau bei mehreren früheren Arztbesuchen in den vorangegangenen Wochen und Monaten hatte. Im Patientendossier seien unter anderem Bauchschmerzen und Blut im Stuhl erwähnt worden. Eine Ursache sei nie gefunden worden.
Beschuldigter nimmt zum ersten Mal Stellung
«Ich wollte mit den vorgenommenen Untersuchungen verschiedene mögliche Ursachen ausschliessen, beispielsweise eine Blinddarmentzündung oder eine Eileiterschwangerschaft», sagte der Arzt bei der Befragung. Er nahm vor Obergericht zum ersten Mal Stellung zu den Vorwürfen. In der Vorinstanz machte er von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch.
Als Arzt sei es seine Pflicht gewesen, die Patientin auf mögliche Erkrankungen, die ein rasches Handeln erfordern würden, zu untersuchen. Er habe der Patientin auch in einem Vorgespräch ausführlich erklärt, welche Untersuchungen er zu machen gedenke. Sie habe keine Einwände geäussert, auch nicht bezüglich der analen und vaginalen Untersuchung.
Arzt führte bei Untersuchung mehrere Finger ein
Anders tönte dies in den Schilderungen der Privatklägerin und ihrer Anwältin. Sie sei überrascht gewesen, als der Arzt nach der analen Untersuchung sie auch noch vaginal untersucht habe. Dazu führte er unter anderen einen oder mehrere Finger ein.
Die Staatsanwältin forderte eine Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils. Der Beschuldigte sei wegen Schändung zu verurteilen, seine nun vor Obergericht erstmals vorgebrachten Erklärungen seien nicht glaubwürdig. Bei der vaginalen Untersuchung habe es sich um einen sexuellen Übergriff gehandelt, der als Schändung zu ahnden sei.
Dafür spricht laut Staatsanwältin unter anderem der Umstand, dass der Hausarzt seine Untersuchungen an der Patientin in ihrem Dossier sehr ausführlich dokumentiert habe – bis auf die vaginale Untersuchung, die komplett fehle. Zudem habe das Ärztezentrum den Beschuldigten wegen des Vorfalls entlassen – mit der Begründung, er habe einen sexuellen Übergriff begangen. Diese Kündigung habe er akzeptiert.
«Die Vorwürfe gegen mich stimmen nicht», sagte der Beschuldigte in seinem Schlusswort. Er würde sehr gerne wieder als Hausarzt arbeiten, so wie er es jahrelang getan habe. Das Obergericht hat sein Urteil noch nicht gefällt. Dieses wird den Beteiligten voraussichtlich in der kommenden Woche schriftlich zugestellt. (cat/SDA)