Theo (4) schreit vor Schmerzen
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«Er ist 24/7 pflegebedürftig»:Theo (4) schreit vor Schmerzen

Theo (4) aus Turbenthal ZH leidet an Gendefekt – eine riskante Operation könnte ihm helfen
«Ich will für meinen Sohn einfach das Beste herausholen»

Im Kinderspital Zürich unterzieht sich der vierjährige Theo einer riskanten Operation. Der Junge leidet an einem seltenen Gendefekt, der sein Gehirn beeinträchtigt. Seine Mutter Paula Lieberherr (34) hofft, dass der Eingriff seine Schmerzen lindern wird.
Publiziert: 01:26 Uhr
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Seit seiner Geburt leidet Theo an einem seltenen Gendefekt.
Foto: zVg

Auf einen Blick

  • Theo leidet unter seltenem Gendefekt. Operation soll Leiden lindern
  • Elektroden im Gehirn stimulieren Nervenzellen zur Schmerzlinderung
  • Die ganze Familie kämpft mit der Krankheit des 4-Jährigen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Helena GrafReporterin

Paula Lieberherr (34) wirkt wie die fröhlichste Gestalt im ganzen Kinderspital. Sie trägt einen rosaroten Schal mit Sternen, darunter einen gestreiften Pullover und einen roten Rock – um sie herum Ärztinnen und Pfleger in Uniformen, kahle Betonwände. Ihr Sohn Theo (4) wird seit 5 Stunden operiert. Lieberherrs Kleidung erinnert sie daran, optimistisch zu bleiben. «Nur so hält man das aus», sagt sie.

Familie Lieberherr wohnt im Thurbental ZH. Theo kommt 2021 zur Welt. «Ein Coronakind», sagt seine Mutter. Von Geburt an leidet er unter einem seltenen Gendefekt. Eine Mutation des «SCN2A»-Gens auf dem zweiten Chromosom. Sie wirkt sich auf seine Gehirnzellen aus. Theo wird nie laufen oder sprechen können. Er leidet unter Krampfanfällen, kann nicht essen. Niemand weiss, wie lange er leben wird. Nur, dass man ihn nicht heilen kann.

Seine Ärztin Andrea Rüegger, Oberärztin EEG/Epilepsie am Universitäts-Kinderspital Zürich, kennt Theo schon seit dem Säuglingsalter. «Er hat die schwerste Form dieser Krankheit, die sehr selten ist», erklärt sie. Theos jetzige Operation ist europaweit die erste dieser Art. Erst ein Mal haben Ärzte die Methode bei einem so jungen Kind mit derselben Krankheit durchgeführt – in Kanada. Rüegger erklärt: «Wir führen eine tiefe Hirnstimulation durch. Unser Ziel ist, Theos Lebensqualität zu verbessern.»

Riskanter Eingriff

Konkret implantieren die Ärzte kleine Elektroden in sein Gehirn. Diese stimulieren mithilfe von elektrischem Strom bestimmte Nervenzellen, die für Bewegungen zuständig sind. Die Methode wird etwa bei Parkinson-Erkrankten angewandt.

«Wir haben lange überlegt, ob wir die OP ausprobieren sollen», erzählt Paula Lieberherr. Der Eingriff ist kompliziert. Theos Körper geschwächt. Die Narkose ein Risiko. Was, wenn er nie mehr aufwacht?

Paula Lieberherr stemmt den Alltag mit Job, zwei Kindern, eines davon krank, Haushalt und Arztbesuchen.
Foto: Helena Graf

Fragen, die seine Mutter quälen, wenn sie nachts in ihrem Bett liegt. Trotzdem entscheidet sie sich für die Operation. «Ich will für meinen Sohn einfach das Beste herausholen», sagt sie.

Theo leidet besonders unter den dauerhaften Muskelkrämpfen, Dystonie genannt. Laut seiner Ärztin muss er deshalb fünf bis sechs unterschiedliche Medikamente nehmen. «Wir hoffen, dass wir diese Zahl mit der OP verringern können», erklärt Rüegger. Es ist Mittwoch, 14 Uhr. Die Ärzte operieren bereits seit sechs Stunden. Lieberherr wartet auf den Anruf, dass es Theo gut gehe.

Als er auf die Welt kam, wusste seine Familie nichts von der Krankheit. Er machte Geräusche, wie andere Säuglinge. Das Trinken an der Brust fällt ihm zwar schwer – doch er lernt es.

«Ich habe mich schuldig gefühlt»

Mit drei Monaten bekommt er sehr hohes Fieber. Im Spital Winterthur machen die Ärzte ein EEG, eine Hirnuntersuchung. Fazit: Theo hat einen dauerhaften epileptischen Anfall. Ein Krankenwagen bringt ihn ins Zürcher Kinderspital. Drei Wochen Intensivstation. Währenddessen Gentest, Diagnose. «Wir waren völlig schockiert», erzählt Lieberherr.

Sie habe angefangen, sich zurückzuziehen. Der Gendefekt ist nicht vererbt. «Ich habe mich trotzdem schuldig gefühlt», sagt sie. Die Vorstellung eines normalen Familienlebens – zerbrochen. Theos Krankheit diktiert das Familienleben, die Finanzen. Seine grosse Schwester (6) muss oft zurückstecken.

Theo möge es besonders, wenn sein Vater ihn durchkitzelt, sagt Paula Lieberherr.
Foto: zVg

Lieberherrs Alltag ist durchgetaktet, energieraubend. Ihr Mann arbeitet 100 Prozent, sie 50 bis 60. «Anders könnten wir das finanziell nicht stemmen», erklärt die zweifache Mutter.

Sie steht frühmorgens auf, bringt die Tochter in den Kindergarten. Dann kümmert sie sich um Theo. Die Kinderspitex kommt vorbei. Mittagessen mit der Tochter, wieder Kindergarten. Haushalt, Finanzplanung. Gegen Abend kommt ihr Mann nach Hause. Sie geht zur Arbeit, kocht in einem Restaurant in Winterthur ZH: 18 bis 22 Uhr, manchmal auch länger. «Ich kann es mir nicht leisten, den Kopf in den Sand zu stecken», sagt Lieberherr und wischt sich die Tränen weg.

«Ich nehme jeden Tag, wie er kommt»

Niemand weiss, wie lange Theo leben wird. Er muss ständig überwacht werden. Manchmal schreit er vor Schmerz. Die Krankheit hat sich seit seiner Geburt nur verschlechtert. «Doch wenn er lächelt, bin ich glücklich», erzählt seine Mutter. «Dann weiss ich auch, dass er mental da ist, mich wahrnimmt.»

Nach sieben Stunden OP klingelt endlich ihr Telefon. Theo ist aufgewacht! Sie darf ihn auf der Intensivstation besuchen. Seine Ärztin sagt: «Er ist stabil. Die Operation war bislang erfolgreich.» Mama Paula Lieberherr hofft, dass es ihrem Sohn endlich besser geht. Aber: «Ich nehme jeden Tag, wie er kommt.»

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