Am 28. Februar stimmt das Volk über die Durchsetzungsinitiative ab. Mit ihr will die SVP die buchstabengetreue Umsetzung der Ausschaffungsinitiative erreichen. Jetzt weist einer aus den eigenen Reihen die Partei in ihre Schranken. Der Zürcher SVP-Nationalrat und Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt vertritt die Meinung, dass nicht ausgeschafft werden soll, wer in der Schweiz zur Welt gekommen ist.
«Wer hier geboren ist, soll auch nach einer Annahme der Durchsetzungsinitiative in der Schweiz bleiben dürfen», sagt Vogt in einem Interview mit der «Schweiz am Sonntag». «Secondos gehören zwar nicht zur Gemeinschaft der Schweizer Bürger, aber sie gehören zu unserer Rechts- und Sozialgemeinschaft. Aus dieser Gemeinschaft können und sollen wir Menschen nicht ausschliessen.»
Initiative zielt auf «schlecht integrierte Ausländer»
In ihrer Stellungnahme Ende Dezember hatte Justizministerin Simonetta Sommaruga unter anderem explizit davor gewarnt, dass im Falle einer Annahme in der Schweiz geborene Ausländer bei gewissen Vergehen des Landes verwiesen werden müssten. Der Bundesrat und das Parlament empfehlen die Initiative zur Ablehnung. Bundespräsident Johann Schneider-Ammann bezeichnete sie in einem Interview mit der «SonntagsZeitung» als «unnötig und schädlich». Das beschlossene Gesetz zur Ausschaffungsinitiative sei hart, die Durchsetzungsinitiative daher eine Zwängerei. «Davon müssen wir die Stimmbürger bis Ende Februar überzeugen.»
Das Parlament hat in der Frühjahrssession entschieden, dass nur die schwersten Delikte zu einer automatischen Ausschaffung führen. Ausnahmsweise soll das Gericht zudem von einer Ausschaffung absehen können, wenn diese für den Ausländer oder die Ausländerin einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde.
Der SVP ist diese Klausel jedoch ein Dorn im Auge. Im Interview kritisiert Nationalrat Vogt denn auch, dass sich die Härtefallklausel des Umsetzungsgesetzes nicht auf den Fall der Secondos beschränke. «Das ist der ganz grosse Fehler, den das Parlament gemacht hat.» Es habe stattdessen eine Interessenabwägung vorbehalten für alle Fälle. «Wie jede Verfassungsbestimmung werden Gerichte auch die Durchsetzungsinitiative auslegen müssen», sagt Vogt weiter.
Die Initiative ziele «nicht primär auf Secondos», sondern vor allem auf «schlecht integrierte Ausländer ab». Überlege man sich, was der Sinn und Zweck der Initiative sei, dann glaube er, dass dieser Sinn und Zweck bei Menschen, die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind, nicht gegeben sei. Man werde sich überlegen müssen, was rechtlich gesehen ein Ausländer ist. «Dann wird man zum Schluss kommen: Ausländer im Sinne der Initiative ist nicht jemand, der hier geboren ist.»
Secondos lassen sich vermehrt einbürgern
Aber: Wer trotz der gebotene Chance auf Integration Delikte begehe, soll das Land verlassen müssen. «Verfassungsrechtlich, politisch und ethisch» gebe es nichts dagegen einzuwenden. Sommaruga hingegen bezeichnet das Begehren als «unmenschlich» – ein grosser Teil der Bevölkerung werde wie Menschen zweiter Klasse behandelt.
Ein Angriff auf die Europäische Menschenrechtskonvention EMRK ist das laut Vogt aber nicht. «Das ist eine Dramatisierung und Zuspitzung der Initiativgegner», sagt er im Interview. Er wolle die EMRK nicht kündigen. Die Initiative wolle, dass die Gerichte bei der Ausweisung krimineller Ausländer eine Kurskorrektur vornehmen.
Die SVP-Parteispitze ist mit ihrem Nationalrat aus Zürich nicht einverstanden. «Hans-Ueli Vogt bringt im Interview seine persönliche Meinung zum Ausdruck, die sich nicht mit der Haltung der SVP deckt», schreibt SVP-Generalsekretär Martin Baltisser auf Anfrage.
Die «konsequente Regelung», welche die Durchsetzungsinitative bringe, schütze Schweizer und Ausländer gleichsam. Auch die «weit überwiegende Mehrheit» von Secondos, die sich in der Schweiz an die Gesetze halten, profitierten von mehr Sicherheit.
Doch die Unsicherheit, wer ausgeschafft wird und wer nicht, veranlasst Secondos vermehrt dazu, sich einbürgern zu lassen. Der «Schweiz am Sonntag» seien mehrere solcher Fälle bekannt.
Jährlich lassen sich zwischen 30'000 und 35'000 Personen einbürgern. In der Vergangenheit gab es immer wieder Zeiten,in denen Einbürgerungen plötzlich rasant zugenommen haben. Laut Sandro Cattacin, Soziologieprofessor an der Universität Genf, erklären sich die hohen Einbürgerungsraten generell mit Gesetzesänderungen. (lex)