Tödlicher Car-Unfall in Zürich
Flixbus-Chauffeur zu bedingter Freiheitsstrafe verurteilt

Ein Flixbus-Fahrer muss sich am Mittwoch wegen fahrlässiger Tötung vor dem Bezirksgericht Zürich verantworten. Der Mann liess sich aus psychischen Gründen dispensieren.
Publiziert: 29.05.2024 um 05:32 Uhr
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Aktualisiert: 29.05.2024 um 17:16 Uhr
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Der Car verunfallte im Dezember 2018 in Zürich.
Foto: Helena Schmid
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SDASchweizerische Depeschenagentur

Zwei Menschen starben, als ein Flixbus 2018 auf der Zürcher Sihlhochstrasse verunfallte. Der 62-jährige Chauffeur aus Italien, der am Mittwoch wegen fahrlässiger Tötung in Zürich vor Gericht stehen sollte, ist nicht aufgetaucht. Er liess sich aus psychischen Gründen dispensieren. Der Prozess wurde dennoch begonnen – und der 63-jährige Italiener wurde zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 62-jährigen Chauffeur mehrfache fahrlässige Tötung und Körperverletzung sowie fahrlässige grobe Verletzung der Verkehrsregeln vor. Sie beantragt eine bedingte Freiheitsstrafe von zwei Jahren, bei einer Probezeit von zwei Jahren. 

Sicht sei sehr schlecht gewesen

Der Zürcher Staatsanwalt machte dem 62-jährigen Flixbus-Chauffeur am Mittwoch vor Gericht schwere Vorwürfe. Es sei kaum zu glauben, dass ein Berufs-Chauffeur so gefahren sei. Der italienische Chauffeur habe ausgesagt, die Sicht auf der Sihlhochstrasse sei sehr schlecht gewesen, zitierte der Staatsanwalt am Mittwoch am Bezirksgericht Zürich aus der Untersuchung. «Dennoch fuhr er schneller als alle Autos», hielt er fest. 

Was passierte, tue dem 62-jährigen Chauffeur aufrichtig leid, sagte der Staatsanwalt weiter. Der Beschuldigte habe aber selber festgestellt, dass sein Tempo «etwas hoch» gewesen sei. Der tödliche Unfall hätte gemäss Staatsanwalt leicht vermieden werden können – durch angepasstes Tempo. 

In der Untersuchung habe der Beschuldigte Druck seitens Flixbus geltend gemacht. Verspätungen hätten angeblich eine Kündigung mit sich ziehen können. Der Bus sei aber schon in Mailand nach Mitternacht verspätet losgefahren. Ein Anruf des mitfahrenden Zweit-Chauffeurs bei der Zentrale, in dem auf schlechte Wetterverhältnisse hingewiesen worden sei, habe jedoch nichts am Zeitdruck geändert. Nach Angaben des Staatsanwalts fuhr der 62-Jährige schon seit den 1980er-Jahren professionell Busse. 

Verteidigung fordert lediglich Busse

Die Verteidigerin des Chauffeurs forderte lediglich eine Busse. Für den Tod zweier Menschen und die Verletzungen dutzender Passagiere könne der Italiener nicht verantwortlich gemacht werden. Es sei unklar, wie die verstorbene Passagierin in die Sihl gefallen sei, hielt die Verteidigerin am Bezirksgericht fest. Dass die Frau beim Aufprall aus dem Bus geschleudert wurde, sei aber «unmöglich». Weder die Verletzungsspuren noch die Beschädigungen der Fenster würden auf ein Hinausschleudern hindeuten. Die Frau könnte nach dem Aussteigen von der Sihlhochbrücke in den Fluss gefallen sein. Dies könne ihrem Mandanten nicht angelastet werden. 

Der Arbeitskollege des Chauffeurs starb 15 Tage nach dem Unfall im Spital. Lange sei er auf dem Weg der Besserung gewesen. Der Mann habe aber schon vor dem Unfall schwere Organschäden gehabt. Dass sein Tod direkt mit dem Unfall zusammenhänge, sei nicht nachweisbar, erklärte die Anwältin weiter. 

Verteidigerin sieht Schuld bei Behörden

Sämtliche Verletzten, die einen Strafantrag stellten, seien zudem nicht angegurtet gewesen – trotz Pflicht. Die Fahrer hätten auf die Pflicht hingewiesen, die Verletzungen könnten dem 62-Jährigen deshalb nicht angelastet werden. Die Schuld am Unfall sah die Verteidigerin vielmehr bei den Behörden. «Die Stelle war extrem gefährlich», sagte sie. Erst nach dem Unfall wurden Betonelemente vor das Autobahn-Ende gestellt. Dies, obwohl einige Jahre zuvor bereits ein Lastwagen in die Sihl gefallen war. 

Der Autobahnstummel sei damals nicht signalisiert gewesen, nur schwach beleuchtet, sagte die Anwältin weiter. Der Chauffeur habe die Strecke Genua-Mannheim gut gekannt, aber nicht jede Stelle. Er habe zu verstehen versucht, wo er hinfahren müsse. Es sei nicht klar gewesen, dass die Autobahn dort in eine Rechtskurve führe. Die Verteidigerin zweifelte auch das «angeblich angemessene Tempo von 30 km/h» an. Zu einem früheren Zeitpunkt habe der Gutachter eine Geschwindigkeit von 51 km/h als «angemessen» bezeichnet. 

In den Autobahnstummel gefahren

Der Flixbus war kurz nach 4 Uhr morgens auf der Autobahn A3W in der Stadt Zürich verunfallt. Der Chauffeur nahm am Ende der über der Sihl endenden zweispurigen Sihlhochstrasse nicht die Abfahrtsrampe – er fuhr vielmehr in den Autobahnstummel hinein und prallte in die Betonwand am Ende.

Eine Passagierin wurde aus dem Bus geschleudert; sie fiel in die Sihl, in der sie bewusstlos ertrank. Der zweite Chauffeur wurde eingeklemmt und so schwer verletzt, dass er zwei Wochen später im Spital starb. 42 Passagiere erlitten Verletzungen, nur fünf kamen unverletzt davon.

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Tempo 30 wäre angemessen gewesen

Als Unfallursache gilt gemäss Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ein deutlich zu hohes Tempo. Signalisiert ist auf der gut beleuchteten Hochstrasse Tempo 60, angesichts von Schnee und Eis wären 30 km/h für Busse angebracht gewesen.

Der Chauffeur fuhr gemäss Anklage mit 68 km/h, als er 136 Meter vor dem Kollisionsort ein erstes Mal bremste. Danach habe er wieder beschleunigt. Erst 42 Meter vor der Betonwand habe er eine Vollbremsung eingeleitet. Mit 48 km/h prallte das Gefährt in die Begrenzung.

Der schwere Unfall hätte sich gemäss Anklage verhindern lassen: Wäre der Fahrer nicht von der Bremse gegangen, wäre der Bus trotz übersetzten Tempos 38 Meter von der Mauer zum Stillstand gekommen. Auch beim zweiten Bremspunkt hätte eine Vollbremsung ausgereicht – wenn das Tempo den Verhältnissen angepasst gewesen wäre. Der italienische Chauffeur sei entweder unaufmerksam oder mit der Situation überfordert gewesen.

Das Urteil wird um 17 Uhr eröffnet.

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