Sie liess ihr Kind im Auto und feierte
«Diese Mutter sieht nur sich selbst»

Eine Mutter in Schaffhausen liess ihr zweijähriges Kind im Auto zurück und ging feiern. Wie kann so etwas passieren? Zwei Experten suchen Antworten.
Publiziert: 20.09.2016 um 17:23 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 21:38 Uhr
Ein Bub war im Auto eingesperrt.
Foto: Polizei SH
Wera Engelhardt

Die Nachricht sorgt landesweit für Entsetzen. Eine 25 Jahre alte Mutter in Schaffhausen lässt ihr zwei Jahre altes Kind mitten in der Nacht allein im parkierten Auto zurück – und geht mit Kollegen feiern. Passanten bemerken die verängstigten Schreie des Jungen und rufen die Polizei (BLICK berichtete).

Viele Menschen sind schockiert, fragen sich: Wie kann eine Mutter ihr Kind so behandeln?

Psychologe Thomas Spielmann sagt zu BLICK: «Diese Frau sieht nur sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse.» 

Der Psychologe Thomas Spielmann
Foto: zvg

Er glaubt, dass die Mutter als Kind ähnliche Erfahrung gemacht haben könnte und Mechanismen wie Empathie oder Schuld nie kennengelernt hat. «Das Bewusstsein ist: Ich kann es mir nicht leisten, Schuldgefühle zu haben, sonst wird mir die Lebensgrundlage entzogen», so Spielmann.

«Können nicht urteilen»

Sibylle Neidhart, Fachpsychologin für Kinder- und Jugendpsychologie FSP, will keine Ferndiagnose stellen. Ihrer Einschätzung nach könnte das Verhalten der Mutter aus Schaffhausen ganz unterschiedliche Gründe haben.

Dass sie nicht weiss, wie sehr ihr Kind sie braucht, weil die Beziehung nicht stark genug ist, zum Beispiel. Dass sie sich nicht fähig fühlt, sich um das Kind zu kümmern. «Oder sie war einsam zuhause», sagt Neidhart zu BLICK. Weil alle anderen ihres Alters ausgehen und nur sie daheim bleiben muss.

Das sei keine Rechtfertigung für ihr Handeln. «Ein Kind, das Schutz braucht, wurde alleingelassen», sagt Neidhart. «Aber wir können nicht über diese Frau urteilen.»

Sibylle Neidhart, Fachpsychologin für Kinder- und Jugendpsychologie FSP
Foto: zvg

Passant drosch auf Auto ein

In den sozialen Netzwerken wurde schnell geurteilt. «Ein kleines 2 jähriges Kind (sic) ...sprachlos wie egoistisch und fahrlässig die Mutter gehandelt hat», kommentierte eine Nutzerin den Artikel auf der BLICK-Facebookseite. Und auch in der Nacht selbst sorgte die Szene für Empörung. Ein Passant drosch vor Wut gar auf das Auto ein.

Grund für diese emotionalen Reaktionen sei ein natürlicher «Schutzreflex» gesunder Erwachsener gegenüber Kindern, wie Psychologe Spielmann es formuliert. Dieser Reflex werde in unserer Kultur vor allem von Müttern erwartet. 

«Jede Mutter, ob bei Menschen oder im Tierreich, ist dafür da, ihren Jungen Schutz zu gewähren», sagt Spielmann. «Das ist eine Urregel des Lebens.» Hätte der Vater den kleinen Jungen im Auto zurückgelassen, hätte auch das für viel Kritik gesorgt. Allerdings nicht im gleichen Ausmass, glaubt Spielmann.

Die Folgen für das Kind

In vielen Familien liegt die Erziehung immer noch in erster Linie bei der Mutter. Läuft etwas schief, ist häufig sie es, die sich rechtfertigen muss. «Das Problem dabei ist, dass wir nicht wissen, ob da irgendwo ein Vater ist, der sich der Verantwortung entzieht», sagt Sibylle Neidhart. «Man sollte auch fragen: Was könnte man für die Mutter tun?»

Die Mutter aus Schaffhausen muss sich nun wegen Vernachlässigung ihrer Fürsorgepflicht vor der Staatsanwaltschaft verantworten. Kurz nachdem die Polizei angerückt war, tauchte sie wieder auf.

Laut Thomas Spielmann könne das Erlebnis ernste Folgen für die persönliche Entwicklung des Kindes haben: Ihm werde vermittelt, dass sein Leben «eine Zumutung für andere» ist, so der Psychologe. Sibylle Neidhart dagegen glaubt nicht daran, dass der kleine Junge aufgrund dieses Vorfalls ein Trauma davontragen wird.

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