Es gibt Geschichten, die so verrückt sind, dass man sie kaum glauben kann. Jaspers* Geschichte, wie er in Zürich angeschossen wurde, ist so eine. Alles beginnt am 15. Juni. An dem Tag ist der 16-Jährige mit Freunden unterwegs. Sie wollen an das Gratis-Festival Stolze Open Air in Zürich. Später will er nur schnell einen Freund abholen und verlässt dafür das Gelände. Dann passiert es.
Plötzlich hört er einen lauten Knall und spürt einen stechenden Schmerz unter seinem linken Ohr. «Als hätte mir jemand mit voller Wucht eine Ohrfeige gegeben», so Jasper zu Watson. Er hat eine kleine Wunde – blutet. «Ich schaute mich um, sah aber niemanden in meiner unmittelbaren Nähe. Ich war vollkommen verwirrt, wollte jedoch keine riesige Szene daraus machen. Deshalb ging ich zurück zu meinen Freunden und sagte ihnen, dass ich nach Hause gehe.» Die Gruppe steht vor einem Rätsel: Woher kommt die Verletzung?
Mutter entdeckte zufällig weissen Punkt auf Röntgenbild
Als Jasper zu Hause ist, nimmt er eine Schmerztablette, klebt ein Pflaster auf die Stelle und geht schlafen. Unfassbar: Zu der Zeit steckt eine Kugel in seinem Kiefer. Am Morgen danach hat der Teenager starke Kopfschmerzen. Seine Mutter macht sich Sorgen. Jasper soll deswegen sofort ins Stadtspital Triemli. Eine Computertomographie wird durchgeführt, aber der zuständige Arzt erkennt nichts Auffälliges und diagnostiziert eine Prellung. Jasper solle einfach weiter Schmerzmittel nehmen.
Anschliessend erstattet Jasper Anzeige bei der Polizei gegen Unbekannt. Die Schmerzen im Kiefer werden schlimmer, das Zahnfleisch entzündet sich. Erst eine Woche später entdeckt Jaspers Mutter zufällig auf einem Zahnarzt-Röntgenbild, das gemacht wurde, einen auffälligen weissen Punkt – die Kugel, die nach wie vor im Jaspers Kiefer steckte.
«Der junge Mann hatte riesiges Glück»
Mit dem Befund konfrontiert, entschuldigt sich das Spital. Man hätte die Kugel sehen müssen. Nach der chirurgischen Entfernung stellt sich heraus: Es war eine Bleikugel, vermutlich aus einer Jagdflinte.
«Der junge Mann hatte riesiges Glück, dass er nur eine Kugel abbekommen hatte. Wenn man mit Schrot schiesst, verteilen sich die Projektile in einem mehrere Meter weiten Radius. Man kann sich vorstellen, dass nach einem Schuss eine Wolke mit verschiedenen Kugeln auf einen zukommt. Wäre er von allen getroffen worden, hätte er sterben können. Entscheidend ist die Distanz, aus der geschossen wurde», sagt Waffenexperte Jürg Schöttli zu Watson.
Trotz des Vorfalls will der 16-Jährige weiter in den Ausgang. Angst habe er nicht.
* Name bekannt