Sieben Puppen sitzen akkurat auf einem antiken roten Polsterlehnstuhl. Dieser steht in einem kleinen schmucken Erker. Doch draussen duften keine Rosen im Garten. Öffnet man das Fenster, schlagen einem höllischer Verkehrslärm und stinkende Abgaswolken wie Ohrfeigen ins Gesicht. Es rumpelt, faucht, dröhnt, grollt und donnert.
Wir schauen auf die wohl lärmigste Strasse der Schweiz, die Rosengarten-Strasse in Zürich. Tagtäglich donnern rund 65000 Fahrzeuge, darunter 2000 Lastwagen und Sattelschlepper, über die vierspurige Autostrasse. Von Rosengarten keine Spur.
Puppenmutter Marlies Huber (68) kennt nur ein wirksames Rezept: «Ich öffne einfach keine Fenster auf die Strasse», schmunzelt die kleine vife Frau. «Dies geht nur spät nachts. Dann kann ich auch einmal richtig durchlüften.»
Die pensionierte Damenschneiderin hat noch gemütlichere Zeiten erlebt. Sie ist an der Rosengarten-Strasse 10 aufgewachsen. «Damals gab es an der Strasse eine Bäckerei, einen Gemüseladen, eine Metzg und eine Molkerei», erinnert sie sich. «Um Brot zu holen, musste man nur – hopp – über die Strasse. Jetzt machen dies nur noch lebensmüde Spinner.»
An ihren schlimmsten Tag kann sich Marlies Huber erinnern, wie wenn es gestern gewesen wäre. «1972 wurde die Strasse nach zweijähriger Bauzeit wieder eröffnet. Als ich an diesem Tag am Abend von der Arbeit nach Hause kam, war es ein Schock. Nun war die Strasse plötzlich vierspurig.» Der Lärm und Gestank sei extrem gewesen. «Ich dachte, ich drehe durch.»
Doch Marlies Huber hat nicht durchgedreht. Schallschutzfenster machen das Leben erträglich. Sie hat sich in einem Zimmer ein kleines Schneideratelier eingerichtet. Nur wenige Meter vom Verkehrsmoloch entfernt sitzt Marlies Huber an ihrer alten Nähmaschine. Zufrieden mit sich selbst.
Auch Coiffeurmeister Hans Huber (65) hat sich längst mit der Rennbahn vor seinem Geschäft arrangiert. Seit 1969 betreibt er an der Rosengarten-Strasse 3 den Salon Liz, das Inventar stammt teilweise aus den Dreissigerjahren.
Auch der Figaro kann nicht mehr einfach auf die andere Strassenseite hüpfen. Dafür liegt ein Fernglas im Holzregal. Um rasch rüberzulinsen, wenn sich auf der anderen Seite Interessantes tut. Wie besetzt Huber denn seinen Coiffeurstuhl, ohne Laufkundschaft? «Mit der Fahrkundschaft eben», lacht Huber.
Manchmal steht er einfach mit seinem auffälligen grünen Kamm vor seinem Salon auf dem Trottoir. Schon öfters sei einer der Vorüberfahrer in den Salon gestolpert. «Wie ein Zahnarzt, der täglich bei mir vorbeifuhr. Er meinte, ich hätte einfach sympathisch ausgesehen. Noch heute kommt der Zahni bei mir vorbei.»
Huber wohnt mit seiner Frau in einem Bauernhaus ausserhalb der Stadt. «Das ist natürlich schon ein gewaltiger Unterschied.» Huber weiss, wovon er spricht: «In den Siebzigerjahren wohnten wir im zweiten Stock. Am ersten Abend nach dem Einzug beschlossen wir, auf dem Balkon zu essen. Nachdem meine Frau den Salat serviert hatte, fragte ich sie, ob sie ihn nicht richtig gewaschen habe. Es rieche so komisch. Doch der Geschmack kam nicht vom Salat, sondern von den Abgasen.»
Von der Rosengartenstrasse hat Daniel Maag (43) vom Motorradgeschäft «Crazy-Drive» nach 13 Jahren definitiv genug. Weshalb war er denn so crazy, ausgerechnet hier zu geschäften? «Die Miete war günstig und ich dachte, dass vielleicht auch einige Pendler meinen Laden sehen.» Neben dem Verkauf von Motorrädern hat sich Maag die mittelalterliche Handwerkskunst des Metalltreibens angeeignet. Mit einer speziellen Hammertechnik verziert Maag Motorradteile wie Tank oder Schutzbleche mit kunstvollen dreidimensionalen Reliefs.
Kein Wunder, dass Maag der Strassenlärm nicht gross stört. «Mein Bohren und Hämmern übertönt jeden Sattelschlepper», beruhigt Maag. Wer in diesem Verkehrsgewühl lebt, den kann nichts mehr aus der Ruhe bringen. «Ich habe schon einige Unfälle hautnah erlebt. Ein Auto ist bei mir mal mitten im Schaufenster gelandet.»
Hens Grubenmann (31) kann dies alles nicht erschüttern, obwohl er im Parterre wohnt. Praktisch hautnah mit dem Moloch Verkehr. «Natürlich kann ich wegen dem Lärm das Fenster auf die Strasse nicht öffnen», sagt der Telekommunikationsmitarbeiter. «Doch wenn ich fernsehe oder Gitarre spiele, höre ich nichts mehr von draussen.»
Am störendsten sei, «wenn genau vor dem Fenster ein Sattelschlepper im Stau wieder anfährt. Dann vibriert alles.» Doch die Vorteile überwiegen für Grubenmann bei weitem. «Es ist super hier. Ich habe einen günstigen Mietzins und öffentliche Verkehrsmittel und Einkaufsmöglichkeiten in nächster Nähe.»
Einmal hat Hens Grubenmann übrigens sein Fenster geöffnet. «Es war beim ersten Schnee, als alle
Autos kreuz und quer standen. Es war ganz ruhig.» Da fühlte sich der Heimweh-Bündner fast so wie zu Hause, in seinem Heimatdorf Tamins.
An der Rosengartenstrasse wohnten 2004 892 Personen, mit einem Ausländeranteil von 68,5 Prozent. Seit Jahren wehrt sich die Bevölkerung gegen den immensen Verkehr.
Mit der Eröffnung des Uetlibergtunnels und der Westumfahrung Zürichs hofft man nun auf eine spürbare Entlastung. Zudem will der Regierungsrat ein Lastwagentransitverbot prüfen. Der Verein IG Westtangente fordert gar Fussgängerstreifen und Tempo 30.
An der Rosengartenstrasse wohnten 2004 892 Personen, mit einem Ausländeranteil von 68,5 Prozent. Seit Jahren wehrt sich die Bevölkerung gegen den immensen Verkehr.
Mit der Eröffnung des Uetlibergtunnels und der Westumfahrung Zürichs hofft man nun auf eine spürbare Entlastung. Zudem will der Regierungsrat ein Lastwagentransitverbot prüfen. Der Verein IG Westtangente fordert gar Fussgängerstreifen und Tempo 30.