SonntagsBlick: Es geht nicht einmal um Politik, sondern schlicht um Fussball. Warum die Gewal?t
Thomas Knecht: Sowohl in der Politik wie im Fussball geht es um ein Kräftemessen zwischen Gruppen, die
versuchen, ihre Ziele durchzusetzen. Früher übrigens war das Tor beim Fussball das Stadttor, das es gilt, mit einem festgezurrten Stoffbündel zu durchbrechen, um die Stadt symbolisch zu erobern.
Wir leben nicht in Zeiten, in denen es gilt Städte zu erobern.
Klar. Und schon früh kam die Idee auf, dass nicht alle gegen alle kämpfen müssen, sondern eine Auswahl von jungen starken Leuten den Kampf stellvertretend für alle austrägt und als Cham-
pion die politische Streitfrage für seine Gruppe entscheidet.
Das ist gut. Aber was ist mit der Masse, die nicht selber kämpfen kann?
Die Gruppe dahinter fiebert mit und ist voller Spannung und Aggression. Sie identifiziert sich hochgradig mit der Mannschaft. Verliert diese, gehört auch sie zu den Verlierern. Darum die grosse emotionale Beteiligung am Spiel.
Ist die Gewalt ein hilfloser Versuch, Männlichkeit zu demonstrieren?
Diese Gewalt kommt fast immer im städtischen Umfeld vor, weil eine Komponente das Geltungsbedürfnis ist. Der Mann will auch vor den Frauen etwas gelten, will durch seine Unerschrockenheit und Kraft imponieren und zeigen, dass er gute Gene hat.
Welche Rolle spielt die Entwicklung des männlichen Gehirns?
Die jungen Männer steigen dann in die Szene ein, wenn ihr Testosteronspiegel den höchsten Gipfel erreicht hat, aber gleichzeitig das Frontalhirn in einem sehr unreifen und pubertären Stadium ist.
Maximale Aggression trifft auf unterentwickeltes Hirn. Wann ist der Spuk vorbei?
Mit 25 Jahren – dann kann ein Mann die optimale Kontrolle über die Aggressionszentren ausüben.
Ist es nicht auch Langeweile, die jemanden antreibt?
Junge Menschen sind zur Anpassung verdammt und die meisten jungen Männer brauchen ein Ventil, um ihren Aggressionsüberschuss loszuwerden. Sich als Fussballfan zu prügeln, ist eine Möglichkeit, sich auf eine einfache Art Aufstieg und Erfolgserlebnisse zu verschaffen. Im Beruf ist das schon etwas schwieriger.
Trotzdem sind nur wenige Fans gewaltbereit.
Man kann seine Aggression natürlich auf eine höhere Ebene hinaufheben. Das Extrembeispiel ist Schach: Eine kämpferische Auseinandersetzung, bei der Figuren rumgeschoben werden.
Ultras sind in der Gruppe gewalttätig. Was unterscheidet sie vom Einzeltäter?
Ein Einzelner kann sehr wohl auch Aggression ausüben – bis hin zur Tötung. Wer als Einzelperson Gewalt ausübt, tut es meist im Versteckten. Er ist sich des Unrechts bewusst, übernimmt damit bis zu einem gewissen Grad Verantwortung.
Was ist anders in der Gruppe?
Es gibt eine Verschiebung, weil die Verantwortung nicht mehr bei der Einzelperson liegt. Liegt einer schwer verletzt am Boden, sagt sich der Einzelne: Das war nicht ich! Ich habe bloss einen Faustschlag abgegeben.
Das macht es gefährlich.
Weil es alle machen, wird es zur Normalität. Das senkt die Hemmschwelle. So kann das Handeln von mehreren plötzlich schauderhafte Delikte hervorrufen, die eigentlich so niemand im Sinn hatte.
Da kommt viel zusammen. Ist diese Gewalt denn zu stoppen?
Irgendwo wird männliche Aggression immer ihr Ventil suchen. Entscheidend ist, wie weit weg sie vom ursprünglichen Kampfgeschehen geht, wie es bei Tieren vorkommt.
Konkret?
Indem man nur einzelne Aspekte misst: Der Schachspieler sein strategisches Denken, der Leichtathlet seine Schnelligkeit. Der gewaltbereite Ultra ist hingegen noch nah am tierischen Kampf. l
INTERVIEW: Aline Wüst
Ein Kommentar von Aline Wüst
Wäre das ein Film, es wäre ein schlechter. Denn die Handlung ergibt für Zuschauer keinen Sinn. Und um die Zuschauer geht es – Fussball-Zuschauer. Sie spielen quasi die Hauptrolle in diesem Film. Was ja per se schon ein wenig seltsam ist.
Zum Plot: Wir haben eine Stadt, zwei Fussballvereine. Eigentlich schön. Sorgt das doch stets für ein bisschen Aufregung im wohlorganisierten Zürich.
Nun gibt es allerdings ein paar Zuschauer, die da etwas falsch verstanden haben in punkto Kräftemessen. Statt sich im Stadion heiser zu schreien um die Vorherrschaft in der Stadt, kämpfen sie draussen auf der Strasse mit Fäusten um eine Vorherrschaft im echten Zürich. Als ob es etwas zu gewinnen gäbe in dieser Welt ausserhalb des Stadions.
Lustig ist das nicht, denn diese Ultras prügeln sich vor dem Primetower halbtot, bedrohen die Anhänger des anderen Vereins, greifen SBB-Mitarbeiter an, die sie nach dem Auswärtsspiel nach Hause bringen, werfen Steine auf die Haustür einer Tages-Anzeiger-Journalistin, bedrohen sie im Rudel mitten am Tag auf einem belebten Platz der Stadt. Was sie getan hat? Sie schrieb darüber, dass die Gewalt einiger Ultras wieder zugenommen hat.
Vor allem dieser Vorfall erlaubt dem forensischen Psychiater Thomas Knecht einen interessanten Einblick in den Film, in dem sich diese Fans befinden: Mit ihrem gewalttätigen Verhalten versuchten die gewaltbereiten Ultras ihren eigenen Status zu erhöhen, auf der sozialen Leiter weiterzukommen. Psychologisch ausgedrückt: Sie pflegen ihre Eigenliebe.
Werden sie dafür kritisiert, reagieren sie mit narzisstischer Wut, weil an ihrem aufgepumpten Ego gekratzt wird. Sie sind verunsichert, denn sie spüren: Ich bin gar nicht so stark, dass sich alle ducken – da gibt es Leute, die den Mut haben, mich infrage zu stellen.
Wer hinter die gewalttätige Fassade schaut, hat darum fast Mitleid. Sind diese jungen Männer doch einfach auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt – wo sie später irgendwann ihr Einfamilienhäuschen bauen können. Das ist in Ordnung, tun wir doch alle irgendwie. Würden sie bloss bei ihrer Suche nicht so viel Schaden anrichten!
Darum: Jungs, es geht bloss um Fussball, geniesst das Spiel! Und kämpft mit Worten für euren Platz in der Welt. Wie mächtig Worte sind, wisst ihr ja. Sonst würdet ihr nicht Steine in die Haustüre einer Journalistin werfen.
Ein Kommentar von Aline Wüst
Wäre das ein Film, es wäre ein schlechter. Denn die Handlung ergibt für Zuschauer keinen Sinn. Und um die Zuschauer geht es – Fussball-Zuschauer. Sie spielen quasi die Hauptrolle in diesem Film. Was ja per se schon ein wenig seltsam ist.
Zum Plot: Wir haben eine Stadt, zwei Fussballvereine. Eigentlich schön. Sorgt das doch stets für ein bisschen Aufregung im wohlorganisierten Zürich.
Nun gibt es allerdings ein paar Zuschauer, die da etwas falsch verstanden haben in punkto Kräftemessen. Statt sich im Stadion heiser zu schreien um die Vorherrschaft in der Stadt, kämpfen sie draussen auf der Strasse mit Fäusten um eine Vorherrschaft im echten Zürich. Als ob es etwas zu gewinnen gäbe in dieser Welt ausserhalb des Stadions.
Lustig ist das nicht, denn diese Ultras prügeln sich vor dem Primetower halbtot, bedrohen die Anhänger des anderen Vereins, greifen SBB-Mitarbeiter an, die sie nach dem Auswärtsspiel nach Hause bringen, werfen Steine auf die Haustür einer Tages-Anzeiger-Journalistin, bedrohen sie im Rudel mitten am Tag auf einem belebten Platz der Stadt. Was sie getan hat? Sie schrieb darüber, dass die Gewalt einiger Ultras wieder zugenommen hat.
Vor allem dieser Vorfall erlaubt dem forensischen Psychiater Thomas Knecht einen interessanten Einblick in den Film, in dem sich diese Fans befinden: Mit ihrem gewalttätigen Verhalten versuchten die gewaltbereiten Ultras ihren eigenen Status zu erhöhen, auf der sozialen Leiter weiterzukommen. Psychologisch ausgedrückt: Sie pflegen ihre Eigenliebe.
Werden sie dafür kritisiert, reagieren sie mit narzisstischer Wut, weil an ihrem aufgepumpten Ego gekratzt wird. Sie sind verunsichert, denn sie spüren: Ich bin gar nicht so stark, dass sich alle ducken – da gibt es Leute, die den Mut haben, mich infrage zu stellen.
Wer hinter die gewalttätige Fassade schaut, hat darum fast Mitleid. Sind diese jungen Männer doch einfach auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt – wo sie später irgendwann ihr Einfamilienhäuschen bauen können. Das ist in Ordnung, tun wir doch alle irgendwie. Würden sie bloss bei ihrer Suche nicht so viel Schaden anrichten!
Darum: Jungs, es geht bloss um Fussball, geniesst das Spiel! Und kämpft mit Worten für euren Platz in der Welt. Wie mächtig Worte sind, wisst ihr ja. Sonst würdet ihr nicht Steine in die Haustüre einer Journalistin werfen.