Plötzlich ein geheimes Dokument
Cassis löscht Sechseläuten-Rede vom Internet

Bundesrat Ignazio Cassis war beim Zürcher Sechseläuten Gast bei der Zunft zur Schmiden. Seine Festrede hat er im Internet veröffentlicht – und wieder gelöscht. Voreilig, findet BLICK. Wir haben das Dokument für die Nachwelt erhalten.
Publiziert: 19.04.2018 um 14:27 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 02:00 Uhr
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Bundesrat Ignazio Cassis beim traditionellen Sechseläuten-Umzug der Zünfte.
Foto: WALTER BIERI

Aussenminister Ignazio Cassis hat anlässlich des Zürcher Sechseläutens bei der Zunft zur Schmiden eine scherzhafte Ansprache gehalten. Er habe sich am 20. September 2017 kurzerhand selber zum Schmied ernannt, heisst es in der vorab auf der Homepage des Aussendepartements veröffentlichten Rede.

Cassis spielt dabei auf seine Wahl in den Bundesrat an. «Ich stelle mich als Schmied in Ihren Dienst und will unser Land noch stärker zusammenschmieden», habe er vor der Bundesversammlung erklärt. Dabei habe er vergessen, die Zunft zur Schmiden um Erlaubnis zu bitten, entschuldigt sich Cassis augenzwinkernd.

BLICK berichtete im Sechseläuten-Ticker über die Festrede des Aussenministers und zitierte einige Passagen daraus. Jetzt ist die Festrede  von der Homepage des Aussendepartements (EDA) verschwunden. Die Zunft zur Schmiden habe kein Problem damit, dass Cassis' Rede auf dem Internet öffentlich zugänglich ist, sagt EDA-Sprecher Jean-Marc Crevoisier auf Anfrage.

Publiziert. Gelöscht. Wiedergefunden: Cassis' Rede am Sechseläuten – unten im Textkasten finden Sie den ganzen Wortlaut.
Foto: Screenshot BLICK

«Gastreden nicht für die Öffentlichkeit bestimmt»

Das Departement hat allerdings von einem selbsternannten «Heimweh-Zürcher» eine Reklamation erhalten, wie der Sprecher erklärt. «Wenn man Traditionen im Bundesrat schon hochhalten will, dann sollte man auch deren Regeln und Gebote beachten, welche besagen, dass Gastreden in Zunfthäusern am Sächsilüüte nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind und demzufolge die Zunftstuben nicht verlassen dürfen», hiess es in dem E-Mail.

«Auch der Bundesrat hat nie ausgelernt!», schreibt der Nörgler besserwisserisch. Und erreicht damit sein Ziel: Das EDA entfernt die Festrede von der Homepage. Als Jurassier, der die Traditionen respektiere, wolle er sich nicht in diese innerzürcherische Debatte einmischen, begründet EDA-Sprecher Crevoisier den Schritt. 

«Jedem Redner selbst überlassen»

Die Zunft zur Schmiden sieht das nicht so eng. Jedenfalls dann nicht, wenn jemand – wie im vorliegenden Fall Bundesrat Cassis – seine eigenen Worte öffentlich macht. «Natürlich ist es traditionell so, dass in der Zunftstube Gesagtes in der Zunftstube bleibt», sagt Zunftmeister Rolf Schläpfer zu BLICK. «Jedem Redner ist es jedoch selbst überlassen, seine eigene Rede öffentlich zu machen.» (noo/stn)

BLICK sichert Cassis' Rede für die Nachwelt

Zwar hat Ignazio Cassis seine zünftige Rede löschen lassen, aber im Internet verschwindet selten etwas gänzlich. BLICK hat die Rede daher für die Nachwelt wiederhergestellt – denn sie ist nicht mal schlecht.

«Es ist noch kein Schmied vom Himmel gefallen»

Hoch geachteter Herr Zunftmeister
Sehr verehrte Ehrengäste
Liebe Zünfter

Nicht einmal gefragt habe ich Sie. Zur Anlehre in Ihrer zunfteigenen Schmitte in Wallisellen bin ich auch nicht erschienen.

Ich habe mich am 20. September 2017 kurzerhand selber zum Schmied ernannt als ich nach meiner Wahl in den Bundesrat vor der Bundesversammlung erklärte:


«Ich stelle mich als Schmied in Ihren Dienst und will unser Land noch stärker zusammenschmieden.»
Dabei hatte ich ganz vergessen, die Zunft zur Schmiden, die Urwiege der Schmiede, um Erlaubnis zu bitten.
Sie haben mir den Fehler verziehen, ja mich sogar als Ehrengast zum diesjährigen Sechseläuten eingeladen. Ihr hochgeachteter Zunftmeister hat in seiner herzlichen Begrüssung meine Unterlassungssünde diplomatisch umschifft.

Herzlichen Dank!

Ich weiss diese Ehre hoch zu schätzen, umso mehr, als Sie ja normalerweise keine Bundesräte zum Sechseläuten einladen. Vielleicht flüstert mir der eine oder andere von Ihnen im Verlaufe des Tags noch ins Ohr, was es mit dieser magistralen Zurückhaltung auf sich hat…

Übrigens besuchte ich als Medizinstudent vor langer Zeit regelmässig das Sechseläuten. Ich hatte damals eine Freundin, deren Vater ein Zünfter war. Also habe ich dannzumal mitbekommen, was heute noch gültig ist.

Mit grosser Freude habe ich festgestellt, dass ich ja noch einen weiteren Bezug zu Ihnen habe – nicht nur als Schmied, sondern auch als Arzt. 1433 sind ja die Bader und Scherer mit ihrer «Gesellschaft zum Schwarzen Garten» zu Ihnen gestossen. Besonders interessant ist für mich, dass man die Bader damals auch als niedrige Chirurgen bezeichnet hat. Und: Der Name der Gesellschaft mutet ein bisschen wie Schwarze Magie an.

Ich muss jetzt langsam aufpassen, dass ich nichts Falsches sage, denn dort (…..) sehe ich einen der bekannteren Medizinhistoriker unseres Landes. Ciao, Christoph!

Ich habe mich weiter gefragt, was eigentlich Ärzte und Schmiede miteinander verbindet. Es war einmal die Zange!

Die Schmiede verwenden sie heute noch, die Gynäkologen seit einiger Zeit nicht mehr, aber wir in der Politik produzieren immer mehr Zangengeburten. Altersvorsorge, Unternehmenssteuer-Reform, Verhandlungen mit der EU.

Hoch geachteter Herr Zunftmeister, liebe Zünfter, sehr verehrte Ehrengäste

Es ist schon so: Eine Anlehre in der Schmitte der Zürcher Zunft zur Schmiden hätte mir sicher noch gutgetan. Das Lehrgeld, das ich in den ersten 100 Tagen bezahlen musste, wäre bestimmt geringer ausgefallen.

Wir können das ja noch nachholen. Und zwar so: Es gibt die schöne Tradition in der Zunft zur Schmiden, dass der Gast zum Sechseläuten ein Geschenk mitbringt.

Ich biete Ihnen ausnahmsweise ein Tauschgeschäft an: Ihrer Vorsteherschaft zeige ich das Bundesratszimmer in Bern. Dafür darf ich bei Ihnen die Anlehre in Ihrer Schmitte in Wallisellen nachholen.
Einverstanden?

Ich hätte selbstverständlich gerne die ganze Zunft zur Schmiden eingeladen, aber dafür ist das Bundesratszimmer leider zu eng für alle. Sie wissen: Der Bundesrat lebt auf kleinem Fuss.

Es geht mir, um beim Bild des Schmiedes zu bleiben, um etwas sehr Wichtiges, um den inneren Zusammenhalt der Willensnation Schweiz, den ich als Tessiner Bundesrat künftig immer und immer wieder neu schmieden möchte.

Ich freue mich über jedes neue «Zusammenschmieden». So sind wir Tessiner dank der Neat mit Euch Zürchern näher zusammengerückt - auf die Dauer einer Eisenbahnfahrt von 90 Minuten.

Wobei es schon diesen oder jenen Tessiner gebe, ist zu hören, der früher eigentlich noch ganz froh war, dass sich gewisse Zürcher im Kehrtunnel von Wassen noch etwas sammeln durften, bevor sie mit ihrer «Zürischnurre» auf die Tessiner losgelassen wurden.

Mit der Neat kämen die Zürcher nun schneller ins Tessin - mit den entsprechenden Folgen. Wie gesagt: So denken ganz wenige…

Viel wichtiger ist dieses Signal: Der Kanton Tessin hat vor Kurzem Beitrittsverhandlungen aufgenommen, um sich der Greater Zurich Area anzuschliessen. Wenn das nicht „Zusammenschieden“ der Schweiz ist!

Sie sehen, liebe Zürcher: Wir Tessiner kommen auch zu Ihnen und nicht nur Sie zu uns!

Liebe Zünfter

Ich freue mich darauf, dass ich jetzt die Anlehre bei Ihnen nachholen kann – und wohl auch das Gesellenstück nachträglich schmieden darf – unter kundiger Anleitung aus Meisterhand.

Genau betrachtet, hegte ich aber nach meiner Wahl nie einen Gedanken daran, dass ich es nicht schaffen könnte, Schmied im Dienste unseres Landes zu werden. Denn ich tröstete mich stets mit einem leicht abgewandelten Sprichwort, das uns sagt, dass es manchmal halt etwas länger dauert, bis man etwas gelernt hat: Das gilt vor allem auch für politische Prozesse.

Sie ahnen es: «Es ist noch kein Schmied vom Himmel gefallen.»

Wenn wir schon bei Sprichwörtern sind. Schmiede sind bekanntlich ein wahres Füllhorn für Sprichwörter und Redewendungen. Aber das hören Sie sicher in diesem gotischen Saal nicht zum ersten Mal.

Deshalb möchte ich nur eines der berühmteren erwähnen, vor allem eine seiner zahlreichen Interpretationen, weil sie so pfiffig ist: «Man soll das Eisen schmieden so lange es noch warm ist.»


Dazu meinte der deutsche Schriftsteller und Chirurg Peter Bamm– schon wieder ein Arzt - ganz trocken:  So etwas könne nur ein Pessimist sagen: «Optimisten vertrauen darauf, dass das Eisen nicht erkaltet.»
Wenn wir schon dabei sind: Ich bin übrigens ein ausgeprägter Optimist.

Hoch geachteter Herr Zunftmeister

Ich erlaube mir, Ihnen bei der Interpretation der skurrilen Gestalten an der Decke dieses wunderschönen Saales leicht zu widersprechen.
Was Sie deuteten hat sicher durchaus auch seine Richtigkeit, aber aus meiner Perspektive betrachtet:

Was sehe ich da oben?
- Einen Menschen mit Kranichhals
- Einen anderen Menschen ohne Kopf
- Und einen mit Pferdefuss

Das ist doch in Tat und Wahrheit nichts anderes als eine frühe Darstellung der Kehrseite der Politik!
Kopflose Wendehälse und in jeder Vorlage steckt ein Pferdefuss…

Nicht, dass ich jetzt falsch verstanden werde: Es gibt natürlich auch noch eine positive Vorderseite der Politik…aber die sehe ich da oben auf den ersten Blick nicht.
Sie ist manchmal auch nur schwer zu finden.

Aber am Horizont sehe ich dafür einige kleine, weisse Wolken. Vor allem über dem Himmel von Brüssel… Ich will nichts verschreien und auch nicht Ihre Festfreude mit schwerer politischer Kost trüben. Nur so viel: Ich bin verhalten optimistisch, dass wir uns mit der EU in diesem Jahr noch so weit finden können, dass wir zumindest sagen können: «Die gröbsten Hürden sind aus dem Weg geräumt.»

Aber ich bleibe dabei, wir wollen noch in diesem Jahr einen Entscheid treffen, ob die Verhandlungen nun zum Ziel führen können oder für längere Zeit auf Eis gelegt werden müssen. Entweder, oder… Ein solcher Marschhalt ist überreif!

Da fällt mir halt doch nochmals eine Redewendung zu den Schmieden ein: «Geh zum Schmied, nicht zum Schmiedchen.» Der Präsident der EU-Kommission lebt diese Devise. Er spricht nur mit unserem Bundespräsidenten, nicht mit uns gewöhnlichen Bundesräten. Das sei ihm aber aus diesem mittelalterlichen Zürcher Haus heraus verziehen. Er trägt schliesslich einen mittelalterlichen Namen: Juncker.

Liebe Zünfter

Ich lese Ihnen zum Abschluss etwas vor, das Sie sich wohl kaum jeden Tag selber zu Gemüte führen.  Es ist der Zweckartikel ihres Zürcher Handelsregister-Eintrags.

«Die Zunft zur Schmiden bezweckt die Erhaltung des Andenkens an die historischen Zünfte Zürichs und ganz besonders der von der ehemaligen Zunft zur Schmiden und der Gesellschaft zum Schwarzen Garten überkommenen geschichtlichen Überlieferungen sowie die Pflege vaterländischen Sinnes und geselligen Lebens unter den Zünftern, den Unterhalt des Zunfthauses 'Zum goldenen Horn' und die Unterstützung vaterländischer, gemeinnütziger und kultureller Bestrebungen.»

Wissen Sie, was mich an diesem Text so fasziniert? Alles ist nur auf Deutsch geschrieben. Weder Fusion noch Cooperate Governance, weder Sponsoring noch Facility Management: Die ganze Palette solcher neudeutschen Ausdrücke fehlt in diesem Text. Obwohl alle erwähnten Begriffe in Ihrem Zweckartikel vorkommen.

Da haben Sie mir etwas voraus: Ich mit meinen Resetknöpfen….

Ich danke Ihnen im Namen des Bundesrates für Ihr Wirken für die Zünfte Zürichs. Es geht aber noch um viel mehr als das. Zu den grossen Stärken der Schweiz gehört die Wahrung der Traditionen. Die Willensnation Schweiz wäre ohne solche, tief verankerten Pfeiler nicht möglich. Die Zunft zur Schmiden ist ein solcher überlieferter Pfeiler. Und hier soll für einmal im Kern bleiben wie es ist.

Deshalb sage ich: Sie haben keinen Reformbedarf. Sie wahren auf vorbildliche Art und Weise das Andenken an die historischen Zünfte von Zürich – und weit darüber hinaus.

Basta! Genug geredet: Ich freue mich mit Ihnen auf den Sechseläuten-Umzug -  und ich gestehe es, auf ein paar Blumen - und hoffentlich auf einen schönen Sommer!

Grazie!

Zwar hat Ignazio Cassis seine zünftige Rede löschen lassen, aber im Internet verschwindet selten etwas gänzlich. BLICK hat die Rede daher für die Nachwelt wiederhergestellt – denn sie ist nicht mal schlecht.

«Es ist noch kein Schmied vom Himmel gefallen»

Hoch geachteter Herr Zunftmeister
Sehr verehrte Ehrengäste
Liebe Zünfter

Nicht einmal gefragt habe ich Sie. Zur Anlehre in Ihrer zunfteigenen Schmitte in Wallisellen bin ich auch nicht erschienen.

Ich habe mich am 20. September 2017 kurzerhand selber zum Schmied ernannt als ich nach meiner Wahl in den Bundesrat vor der Bundesversammlung erklärte:


«Ich stelle mich als Schmied in Ihren Dienst und will unser Land noch stärker zusammenschmieden.»
Dabei hatte ich ganz vergessen, die Zunft zur Schmiden, die Urwiege der Schmiede, um Erlaubnis zu bitten.
Sie haben mir den Fehler verziehen, ja mich sogar als Ehrengast zum diesjährigen Sechseläuten eingeladen. Ihr hochgeachteter Zunftmeister hat in seiner herzlichen Begrüssung meine Unterlassungssünde diplomatisch umschifft.

Herzlichen Dank!

Ich weiss diese Ehre hoch zu schätzen, umso mehr, als Sie ja normalerweise keine Bundesräte zum Sechseläuten einladen. Vielleicht flüstert mir der eine oder andere von Ihnen im Verlaufe des Tags noch ins Ohr, was es mit dieser magistralen Zurückhaltung auf sich hat…

Übrigens besuchte ich als Medizinstudent vor langer Zeit regelmässig das Sechseläuten. Ich hatte damals eine Freundin, deren Vater ein Zünfter war. Also habe ich dannzumal mitbekommen, was heute noch gültig ist.

Mit grosser Freude habe ich festgestellt, dass ich ja noch einen weiteren Bezug zu Ihnen habe – nicht nur als Schmied, sondern auch als Arzt. 1433 sind ja die Bader und Scherer mit ihrer «Gesellschaft zum Schwarzen Garten» zu Ihnen gestossen. Besonders interessant ist für mich, dass man die Bader damals auch als niedrige Chirurgen bezeichnet hat. Und: Der Name der Gesellschaft mutet ein bisschen wie Schwarze Magie an.

Ich muss jetzt langsam aufpassen, dass ich nichts Falsches sage, denn dort (…..) sehe ich einen der bekannteren Medizinhistoriker unseres Landes. Ciao, Christoph!

Ich habe mich weiter gefragt, was eigentlich Ärzte und Schmiede miteinander verbindet. Es war einmal die Zange!

Die Schmiede verwenden sie heute noch, die Gynäkologen seit einiger Zeit nicht mehr, aber wir in der Politik produzieren immer mehr Zangengeburten. Altersvorsorge, Unternehmenssteuer-Reform, Verhandlungen mit der EU.

Hoch geachteter Herr Zunftmeister, liebe Zünfter, sehr verehrte Ehrengäste

Es ist schon so: Eine Anlehre in der Schmitte der Zürcher Zunft zur Schmiden hätte mir sicher noch gutgetan. Das Lehrgeld, das ich in den ersten 100 Tagen bezahlen musste, wäre bestimmt geringer ausgefallen.

Wir können das ja noch nachholen. Und zwar so: Es gibt die schöne Tradition in der Zunft zur Schmiden, dass der Gast zum Sechseläuten ein Geschenk mitbringt.

Ich biete Ihnen ausnahmsweise ein Tauschgeschäft an: Ihrer Vorsteherschaft zeige ich das Bundesratszimmer in Bern. Dafür darf ich bei Ihnen die Anlehre in Ihrer Schmitte in Wallisellen nachholen.
Einverstanden?

Ich hätte selbstverständlich gerne die ganze Zunft zur Schmiden eingeladen, aber dafür ist das Bundesratszimmer leider zu eng für alle. Sie wissen: Der Bundesrat lebt auf kleinem Fuss.

Es geht mir, um beim Bild des Schmiedes zu bleiben, um etwas sehr Wichtiges, um den inneren Zusammenhalt der Willensnation Schweiz, den ich als Tessiner Bundesrat künftig immer und immer wieder neu schmieden möchte.

Ich freue mich über jedes neue «Zusammenschmieden». So sind wir Tessiner dank der Neat mit Euch Zürchern näher zusammengerückt - auf die Dauer einer Eisenbahnfahrt von 90 Minuten.

Wobei es schon diesen oder jenen Tessiner gebe, ist zu hören, der früher eigentlich noch ganz froh war, dass sich gewisse Zürcher im Kehrtunnel von Wassen noch etwas sammeln durften, bevor sie mit ihrer «Zürischnurre» auf die Tessiner losgelassen wurden.

Mit der Neat kämen die Zürcher nun schneller ins Tessin - mit den entsprechenden Folgen. Wie gesagt: So denken ganz wenige…

Viel wichtiger ist dieses Signal: Der Kanton Tessin hat vor Kurzem Beitrittsverhandlungen aufgenommen, um sich der Greater Zurich Area anzuschliessen. Wenn das nicht „Zusammenschieden“ der Schweiz ist!

Sie sehen, liebe Zürcher: Wir Tessiner kommen auch zu Ihnen und nicht nur Sie zu uns!

Liebe Zünfter

Ich freue mich darauf, dass ich jetzt die Anlehre bei Ihnen nachholen kann – und wohl auch das Gesellenstück nachträglich schmieden darf – unter kundiger Anleitung aus Meisterhand.

Genau betrachtet, hegte ich aber nach meiner Wahl nie einen Gedanken daran, dass ich es nicht schaffen könnte, Schmied im Dienste unseres Landes zu werden. Denn ich tröstete mich stets mit einem leicht abgewandelten Sprichwort, das uns sagt, dass es manchmal halt etwas länger dauert, bis man etwas gelernt hat: Das gilt vor allem auch für politische Prozesse.

Sie ahnen es: «Es ist noch kein Schmied vom Himmel gefallen.»

Wenn wir schon bei Sprichwörtern sind. Schmiede sind bekanntlich ein wahres Füllhorn für Sprichwörter und Redewendungen. Aber das hören Sie sicher in diesem gotischen Saal nicht zum ersten Mal.

Deshalb möchte ich nur eines der berühmteren erwähnen, vor allem eine seiner zahlreichen Interpretationen, weil sie so pfiffig ist: «Man soll das Eisen schmieden so lange es noch warm ist.»


Dazu meinte der deutsche Schriftsteller und Chirurg Peter Bamm– schon wieder ein Arzt - ganz trocken:  So etwas könne nur ein Pessimist sagen: «Optimisten vertrauen darauf, dass das Eisen nicht erkaltet.»
Wenn wir schon dabei sind: Ich bin übrigens ein ausgeprägter Optimist.

Hoch geachteter Herr Zunftmeister

Ich erlaube mir, Ihnen bei der Interpretation der skurrilen Gestalten an der Decke dieses wunderschönen Saales leicht zu widersprechen.
Was Sie deuteten hat sicher durchaus auch seine Richtigkeit, aber aus meiner Perspektive betrachtet:

Was sehe ich da oben?
- Einen Menschen mit Kranichhals
- Einen anderen Menschen ohne Kopf
- Und einen mit Pferdefuss

Das ist doch in Tat und Wahrheit nichts anderes als eine frühe Darstellung der Kehrseite der Politik!
Kopflose Wendehälse und in jeder Vorlage steckt ein Pferdefuss…

Nicht, dass ich jetzt falsch verstanden werde: Es gibt natürlich auch noch eine positive Vorderseite der Politik…aber die sehe ich da oben auf den ersten Blick nicht.
Sie ist manchmal auch nur schwer zu finden.

Aber am Horizont sehe ich dafür einige kleine, weisse Wolken. Vor allem über dem Himmel von Brüssel… Ich will nichts verschreien und auch nicht Ihre Festfreude mit schwerer politischer Kost trüben. Nur so viel: Ich bin verhalten optimistisch, dass wir uns mit der EU in diesem Jahr noch so weit finden können, dass wir zumindest sagen können: «Die gröbsten Hürden sind aus dem Weg geräumt.»

Aber ich bleibe dabei, wir wollen noch in diesem Jahr einen Entscheid treffen, ob die Verhandlungen nun zum Ziel führen können oder für längere Zeit auf Eis gelegt werden müssen. Entweder, oder… Ein solcher Marschhalt ist überreif!

Da fällt mir halt doch nochmals eine Redewendung zu den Schmieden ein: «Geh zum Schmied, nicht zum Schmiedchen.» Der Präsident der EU-Kommission lebt diese Devise. Er spricht nur mit unserem Bundespräsidenten, nicht mit uns gewöhnlichen Bundesräten. Das sei ihm aber aus diesem mittelalterlichen Zürcher Haus heraus verziehen. Er trägt schliesslich einen mittelalterlichen Namen: Juncker.

Liebe Zünfter

Ich lese Ihnen zum Abschluss etwas vor, das Sie sich wohl kaum jeden Tag selber zu Gemüte führen.  Es ist der Zweckartikel ihres Zürcher Handelsregister-Eintrags.

«Die Zunft zur Schmiden bezweckt die Erhaltung des Andenkens an die historischen Zünfte Zürichs und ganz besonders der von der ehemaligen Zunft zur Schmiden und der Gesellschaft zum Schwarzen Garten überkommenen geschichtlichen Überlieferungen sowie die Pflege vaterländischen Sinnes und geselligen Lebens unter den Zünftern, den Unterhalt des Zunfthauses 'Zum goldenen Horn' und die Unterstützung vaterländischer, gemeinnütziger und kultureller Bestrebungen.»

Wissen Sie, was mich an diesem Text so fasziniert? Alles ist nur auf Deutsch geschrieben. Weder Fusion noch Cooperate Governance, weder Sponsoring noch Facility Management: Die ganze Palette solcher neudeutschen Ausdrücke fehlt in diesem Text. Obwohl alle erwähnten Begriffe in Ihrem Zweckartikel vorkommen.

Da haben Sie mir etwas voraus: Ich mit meinen Resetknöpfen….

Ich danke Ihnen im Namen des Bundesrates für Ihr Wirken für die Zünfte Zürichs. Es geht aber noch um viel mehr als das. Zu den grossen Stärken der Schweiz gehört die Wahrung der Traditionen. Die Willensnation Schweiz wäre ohne solche, tief verankerten Pfeiler nicht möglich. Die Zunft zur Schmiden ist ein solcher überlieferter Pfeiler. Und hier soll für einmal im Kern bleiben wie es ist.

Deshalb sage ich: Sie haben keinen Reformbedarf. Sie wahren auf vorbildliche Art und Weise das Andenken an die historischen Zünfte von Zürich – und weit darüber hinaus.

Basta! Genug geredet: Ich freue mich mit Ihnen auf den Sechseläuten-Umzug -  und ich gestehe es, auf ein paar Blumen - und hoffentlich auf einen schönen Sommer!

Grazie!

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