Nach Kindermord am Bahnhof Frankfurt
Zürcher Regierungsrat gibt sich entspannt

In Deutschland ist die Schreckenstat von Habte A. (40) Chefsache. Der Eritreer aus Wädenswil ZH stiess einen Buben (†8) vor einen ICE. In der Schweiz kümmern sich Stellvertreter um den Fall.
Publiziert: 04.08.2019 um 10:18 Uhr
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Aktualisiert: 04.08.2019 um 11:28 Uhr
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Rede zum 1. August: Der Zürcher Regierungsrat Mario Fehr hält in Bhutan eine Ansprache.
Foto: Facebook
Cyrill Pinto

Montagmorgen, Bahnhof Frankfurt. Als um 10 Uhr der Intercity aus Düsseldorf auf Gleis 7 einfährt, stösst Habte A. (40) zuerst eine gleichaltrige Frau und kurz danach ihren 8-jährigen Sohn vor den Zug – der Bub ist sofort tot. Habte A. lebte seit 13 Jahren in der Schweiz und war zuletzt im Kanton Zürich zur Fahndung ausgeschrieben.

In Deutschland verurteilen Politiker die Tat, der deutsche Innenminister Horst Seehofer kündigte noch am Nachmittag an, seine Ferien zu unterbrechen. 24 Stunden später tritt er zusammen mit dem Chef des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, und dem Chef der Bundespolizei, Dieter Romann, vor die Medien.

Seehofer informiert über die Faktenlage in dem Fall und fordert gleichzeitig stärkere Polizeipräsenz sowie die Prüfung von technischen Möglichkeiten zur Verbesserung der Sicherheit. Ende Woche fordert er in einem Gespräch mit dem «Spiegel» neben baulichen Massnahmen an Bahnhöfen «intelligente Grenzkontrollen» zwischen Deutschland und der Schweiz.

Sicherheitsdirektor postet Bilder aus Bhutan

In der Schweiz herrscht derweil auf politischer Ebene Funkstille: Der für A.s Wohnkanton Zürich zuständige Sicherheitsdirektor Mario Fehr (SP, 60) weilte letzte Woche in Bhutan. Statt Worten der Anteilnahme postete er auf Facebook Bilder von seiner Himalaya-Reise. Ein Follower stellt fest: «Looking very relaxed». Fehr antwortet mit einem Like.

Eine SonntagsBlick-Anfrage leitete Fehr am Freitag an den Sprecher der Sicherheitsdirektion weiter. Dieser teilte mit: Man werde alle Fragen beantworten, «sobald der ganze Sachverhalt evident und die Untersuchung abgeschlossen ist».

Offiziell kommunziert haben die Zürcher Behörden am Dienstag. Fast zeitgleich mit Seehofers Auftritt in Berlin sprachen in Zürich der Chef der Sicherheitspolizei bei der Kapo Zürich, Bruno Keller, sowie der Chef der Regionalpolizei Thomas Brändli.

Am Samstagabend meldet sich Mario Fehr dann persönlich bei SonntagsBlick. Er betont, dass er über die Ermittlungen in Zürich lückenlos informiert worden sei. Bruno Keller von der Sicherheitspolizei bestätigt dies auf Anfrage: «Mario Fehr stand mit uns in ständigem Kontakt.»

Mario Fehr darf nicht so tun, als ginge ihn das nichts an: Ein Kommentar von Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick

Sechs Tage nach dem Tod eines achtjährigen Buben am Frankfurter Hauptbahnhof ist die Betroffenheit gross. Schon allein deswegen darf man jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen. Aber auch, weil die Schreckenstat mitsamt ihrer Vorgeschichte Fragen aufwirft, die abgeklärt werden müssen.

Aufhorchen liess etwa eine Äusserung des stellvertretenden Kommandanten der Kantonspolizei Zürich vom Dienstag. Kurz vor der Bluttat in Frankfurt hatte die Ehefrau des späteren Mörders Alarm geschlagen, weil er sie und eine Nachbarin tätlich angegriffen hatte. Der Vizekommandant bezeichnete diesen Gewaltakt als Vorgang, wie ihn die Polizei täglich dutzendfach erlebt.
Könnte es sein, dass die Polizei bei Fällen von häuslicher Gewalt zwar durchaus professionell vorgeht – dass diese routinemässige Professionalität aber eben nicht genügt? Dass die Opfer nur oberflächlich betreut werden und kein vertiefendes Gespräch stattfindet?

War es für die Polizisten bei ihrem Einsatz in Wädenswil wirklich undenkbar herauszufinden, dass der flüchtige Täter unter Wahnvorstellungen leidet und eine akute Gefahr für die Allgemeinheit darstellt? Eine Gefahr, nach der mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gefahndet werden muss?

Natürlich kann eine Überprüfung der Ereignisse in Wädenswil zum Schluss kommen, dass das System im Prinzip funktioniert und bei polizeilichen Interventionen wegen häuslicher Gewalt keine Verbesserungen notwendig sind. Dass es aber eine solche Untersuchung braucht, liegt auf der Hand.
Dem deutschen Innenminister Horst Seehofer wird Aktionismus vorgeworfen, weil er nach Frankfurt seine Ferien unterbrochen hat und mit einem Strauss von Vorschlägen an die Öffentlichkeit gegangen ist. Mindestens so problematisch aber ist es, wenn ein politisch Verantwortlicher tut, als ginge ihn das Ganze überhaupt nichts an.

Der Zürcher Polizeidirektor Mario Fehr weilt derzeit im mittelasiatischen Königreich Bhutan. Auf Facebook postete er am Freitag ein Foto von sich im Lotussitz vor einem Tempel: Mario Fehr, total relaxt. Beileidsbekundungen für die Angehörigen des toten Buben? Eine Ankündigung, das Prozedere bei Polizeieinsätzen wegen häuslicher Gewalt zumindest zu überprüfen? Fehlanzeige.

Deutschland rotiert wegen des Kindsmords im Krisenmodus, die Eritreer in der Schweiz werden unter Generalverdacht gestellt. Und der Zürcher Polizeidirektor zeigt sich entspannt auf Social Media. Demonstrativer kann sich ein Regierungsrat seiner politischen Verantwortung nicht entziehen. Gieri Cavelty

Sechs Tage nach dem Tod eines achtjährigen Buben am Frankfurter Hauptbahnhof ist die Betroffenheit gross. Schon allein deswegen darf man jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen. Aber auch, weil die Schreckenstat mitsamt ihrer Vorgeschichte Fragen aufwirft, die abgeklärt werden müssen.

Aufhorchen liess etwa eine Äusserung des stellvertretenden Kommandanten der Kantonspolizei Zürich vom Dienstag. Kurz vor der Bluttat in Frankfurt hatte die Ehefrau des späteren Mörders Alarm geschlagen, weil er sie und eine Nachbarin tätlich angegriffen hatte. Der Vizekommandant bezeichnete diesen Gewaltakt als Vorgang, wie ihn die Polizei täglich dutzendfach erlebt.
Könnte es sein, dass die Polizei bei Fällen von häuslicher Gewalt zwar durchaus professionell vorgeht – dass diese routinemässige Professionalität aber eben nicht genügt? Dass die Opfer nur oberflächlich betreut werden und kein vertiefendes Gespräch stattfindet?

War es für die Polizisten bei ihrem Einsatz in Wädenswil wirklich undenkbar herauszufinden, dass der flüchtige Täter unter Wahnvorstellungen leidet und eine akute Gefahr für die Allgemeinheit darstellt? Eine Gefahr, nach der mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gefahndet werden muss?

Natürlich kann eine Überprüfung der Ereignisse in Wädenswil zum Schluss kommen, dass das System im Prinzip funktioniert und bei polizeilichen Interventionen wegen häuslicher Gewalt keine Verbesserungen notwendig sind. Dass es aber eine solche Untersuchung braucht, liegt auf der Hand.
Dem deutschen Innenminister Horst Seehofer wird Aktionismus vorgeworfen, weil er nach Frankfurt seine Ferien unterbrochen hat und mit einem Strauss von Vorschlägen an die Öffentlichkeit gegangen ist. Mindestens so problematisch aber ist es, wenn ein politisch Verantwortlicher tut, als ginge ihn das Ganze überhaupt nichts an.

Der Zürcher Polizeidirektor Mario Fehr weilt derzeit im mittelasiatischen Königreich Bhutan. Auf Facebook postete er am Freitag ein Foto von sich im Lotussitz vor einem Tempel: Mario Fehr, total relaxt. Beileidsbekundungen für die Angehörigen des toten Buben? Eine Ankündigung, das Prozedere bei Polizeieinsätzen wegen häuslicher Gewalt zumindest zu überprüfen? Fehlanzeige.

Deutschland rotiert wegen des Kindsmords im Krisenmodus, die Eritreer in der Schweiz werden unter Generalverdacht gestellt. Und der Zürcher Polizeidirektor zeigt sich entspannt auf Social Media. Demonstrativer kann sich ein Regierungsrat seiner politischen Verantwortung nicht entziehen. Gieri Cavelty

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