Mammut-Anklage gegen Mitglieder
Auch der Imam peinigte «Verräter»

Die Anklageschrift gegen die zehn Mitglieder der An'Nur-Moschee in Winterthur ZH liest sich wie ein Drehbuch zu einem Terror-Film. Zwei Männer wurden geschlagen, drangsaliert und mit dem Tod bedroht. Pikant: Sogar der Imam wurde handgreiflich.
Publiziert: 05.09.2018 um 12:42 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 04:10 Uhr
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Angeklagt: Imam Atia E. soll in der Moschee an den Übergriffen beteiligt gewesen sein.
Foto: SonntagsBlick
Beat Michel

Der Gebetsraum in der mittlerweile geschlossenen An'Nur-Moschee in Winterthur ZH. Es ist Samstag, der 22. November 2016, früher Abend. Für Moscheebesucher Ahmed A.* und Ali B.* beginnt der Horror ihres Lebens. Laut der Mammut-Anklageschrift (300 Seiten stark) der Staatsanwaltschaft Winterthur ZH wurden die beiden Männer eingeschlossen und massiv gepeinigt. Die An'Nur-Mitglieder verdächtigten die Opfer, einem Journalisten Informationen gesteckt zu haben.

Das Martyrium beginnt ausgerechnet im Gebetsraum. Fünf Mitglieder der Moschee drohen Ahmed A. abwechselnd mit dem Tod. Laut Anklage tönt es so: «Wie willst du sterben, sollen wir deinen Schädel zerstören oder sollen wir dich köpfen? Dein Blut ist zu dreckig für die Moschee, wir bringen dich irgendwo anders hin, wo du dann stirbst.»

Am 1. Oktober beginnt nun der Gerichtsprozess gegen die zehn Hauptakteure in der üblen Hetze von Informanten. In der fünftägigen Hochsicherheits-Verhandlung müssen sie sich für Freiheitsberaubung, Entführung, Drohung, Körperverletzung, Sachentziehung sowie Beschimpfung verantworten.

Bespuckt und geschlagen

Unter Allahu-Akbar-Geschrei bespucken und schlagen die Peiniger die wehrlosen Männer. Die Opfer glauben, noch am gleichen Abend sterben zu müssen. Die Türen der Moschee sind verschlossen. Sie haben keine Möglichkeit zur Flucht.

Ali B. gelingt es, auf der Toilette ein Hilfe-SMS an einen Polizeibeamten zu schicken. Als er das WC verlässt, entreissen die Peiniger ihm das Handy und zwingen ihn unter Todesdrohungen, den Sperrcode herauszugeben. Auf seinem Whatsapp sehen sie, dass er mit dem anderen Opfer Kontakt hatte. Darauf attackieren sie den Mann. Laut Anklage erlitt Ali B. dabei eine Hirnerschütterung.

Auch der Imam auf der Anklagebank

Zu den Angeklagten gehört auch Imam Atia E.* (54). Obwohl der Libyer die oberste Respektsperson in der Moschee ist, greift er nicht ein. Im Gegenteil: Er beteiligt sich an der Drangsalierung der beiden Männer – und bringt Opfer Ahmed A. sogar ins Büro und versperrt die Tür.

Und: Während der Imam sein Opfer am Arm festhält, schlägt ein anderer Mann zu und erwischt Ahmed A. am Kopf. Unter massiven Drohungen wird der Mann dann dazu gebracht, vor laufender Handykamera ein Geständnis abzulegen. Der Imam spricht dabei immer wieder vor, was er sagen muss.

Die Erlösung kommt erst, als die Polizei um 21.15 Uhr die Moschee stürmt. Bis dahin waren die Männer über 100 Minuten in Gefangenschaft der Al'Nur-Männer.

Freiheitsstrafe und Landesverweis

Die Staatsanwaltschaft fordert für den Imam eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten, davon zwölf unbedingt, hinzu kommt ein Landesverweis von zehn Jahren. Der Vorwurf: Mehrfache Freiheitsberaubung und mehrfache Nötigung.

Für die anderen Angeklagten fordert die Staatsanwaltschaft 30 bis 36 Monate Haft. Für die Männer ohne Schweizer Pass käme ein Landesverweis dazu. Bis auf eine Ausnahme wohnen alle neun erwachsenen Angeklagten in Winterthur. Vier sind auch hier geboren, fünf stammen aus dem Balkan und Nordafrika. Darunter ist ein Libyer, ein Türke, ein Mazedonier, ein Tunesier und ein Afghane. Ein Angeklagter fällt unter das Jugendgesetz.

* Namen geändert

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