Am Freitag um 18 Uhr stehen zwei Polizisten vor der Tür von Björn (51) und Christine K.* (50). Bevor das erste Wort fällt, bricht das Ehepaar in Tränen aus. «Wir fühlten uns leer und ohnmächtig. Und wussten sofort, dass Natalie tot ist.»
Tatsächlich war ihre Tochter (†27) wenige Stunden zuvor aus dem Leben geschieden. Sie strangulierte sich im Zürcher Untersuchungsgefängnis.
Ein weiterer Tiefpunkt im Drama von Flaach ZH. Die Eltern der Kindsmörderin hatten bereits eine Vorahnung. In Briefen hatte die Tochter etliche Male erwähnt, wie verzweifelt sie war.
Christine K. zeigt SonntagsBlick die Post aus dem Gefängnis. Mit zittriger Schrift hat Natalie K. festgehalten, wie sie unter der Isolation litt. Dass der Psychologe sie nur jeweils fünf Minuten begutachtete, ihre Medikamentendosis laufend erhöht werde. «Ich wot nüme», schrieb sie in ihrem letzten Brief vor fünf Tagen. Und: «Wenn ich nicht in die Rheinau komme (gemeint ist die Psychiatrische Klinik; die Red.), lebe ich nicht mehr lange.»
Bis Anfang Mai war die Pflegeassistentin in dieser Klinik untergebracht gewesen. Dort hatte sie laut den Eltern täglich Kontakt mit anderen Insassen. Sie kochten zusammen, schauten TV. Natalie schnitt einigen die Haare.
Nach der Verlegung ins Untersuchungsgefängnis müssen ihr diese sozialen Kontakte gefehlt haben, sie sass jeden Tag 23 Stunden allein in der Zelle. «Unsere Tochter bettelte regelrecht nach Beschäftigung», sagt der Vater. So habe sie sich für einen Job im Kiosk beworben: «Ihre Anträge wurden abgewiesen.»
Die Behörden bestreiten, dass es Hinweise auf einen Suizid gab. «Wenn Handlungsbedarf bestanden hätte, hätte man natürlich reagiert», sagt Jérôme Endrass (44), stellvertretender Leiter des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes. Gerade wegen der Vorgeschichte habe man sich speziell auf die junge Frau eingelassen. «Wenn man die Behandlung anschaut, haben wir keine Hinweise, dass die Standards verletzt worden wären», so Endrass. «Wir verstehen das nicht», widerspricht Christine K. «Die Briefe unserer Tochter haben zuerst die Behörden gelesen, bevor wir sie bekamen. Warum hat niemand reagiert?»
Die Eltern vermuten, dass das Warten auf ein Gutachten ihre Tochter in die Verzweiflung trieb. Schon Ende Juni sollte es vorliegen und aufzeigen, ob Natalie K. in Therapie darf. «Am Freitag teilte die Anwältin ihr mit, dass es sich bis September hinauszögert. Wenige Stunden später war Natalie tot. Ich bin sicher, dass sie es in der Zelle nicht mehr aushielt.»
Gefängnismitarbeiter fanden K. am Freitagnachmittag leblos in deren Zelle. Die Reanimationsversuche blieben erfolglos. Sie hatte sich mit einem «strickähnlichen Gegenstand» stranguliert, so Thomas Manhart (57), Leiter des Justizvollzugs. Die Zellen in den Untersuchungsgefängnissen seien so sicher wie möglich. «Ganz ausschliessen lässt sich ein Suizid leider nicht.»
Ehemann Mike K. (29) erfuhr im Gefängnis vom Tod seiner Frau. Er sitzt wegen Vermögensdelikten hinter Gittern. Er werde professionell unterstützt, sagt Manhart.
Auch die Eltern von Natalie K. brauchen psychologische Betreuung, um den erneuten Verlust zu verarbeiten. Sie deuten auf ein Bild, das Natalie in U-Haft malte. Es zeigt sie mit den Kindern im Himmel. Christine K. ist überzeugt: «Ein guter Psychologe hätte ihre Probleme bemerkt. Und sie wäre noch am Leben.»