«Alles, was ich brauch', nehm' ich mir mit Gewalt, Bruder!», singt der Türsteher-Killer Jeton G.* (35). Er blickt dabei direkt in die Kamera, läuft einige Schritte nach vorne und dann zurück. Viel Platz hat der Schweizer mit kosovarischen Wurzeln nicht. Seit dem Mord an Boris R.* (†30) sitzt er im vorzeitigen Strafvollzug.
Am heutigen Mittwoch begann der Prozess vor dem Zürcher Bezirksgericht. Der Anwalt der Opferangehörigen spricht die im Knast entstandenen Aufnahmen im Saal an. Jeton G. soll illegal ein Handy besitzen und sich damit gefilmt haben. Es zeige, dass sich der Beschuldigte nicht an die Regeln halten könne, so der Anwalt.
In der Strafanstalt Pöschwies, wo der Besitz von elektronischen Aufnahmegräten verboten ist, sei eine Untersuchung des Vorfalls eingeleitet worden. Der Anwalt verlangte einen aktuellen Führungsbericht über den Mann. Das Videomaterial kursiert derzeit in sozialen Medien und liegt BLICK vor.
Doppeladler und Boxschläge
Jeton G. lässt das Lied «Kalt Bruder» des deutschen Rappers Capital Bra laufen und singt die Passagen mit. «Fick die Strafanstalt, Bruder», ruft der 35-Jährige. Auf der Wand hinter ihm hängen mehrere Poster mit Sportautos und leichtbekleideten Frauen.
Während Jeton G. mit dem Kopf zum Beat nickt, zieht er an einer Zigarette und stellt mit seinen Fäusten Boxschläge nach. Am Ende des Clips schliesst er seine Hände zu einem Doppeladler-Symbol zusammen.
Die Aufnahmen laufen unter dem Hashtag #FreeJeton. Die Instagram-Unterschrift dazu lautet «The Real Lion». Einer seiner Freunde teilte die Aufnahme in seiner Insta-Story. «Mir überstönd das Bruder», schreibt der Mann dazu und teilt auch ein gemeinsames Foto der beiden.
Wem gehört das Handy?
Der Bruder von Jeton, Robinson G.* (30), sagt am Mittwoch vor dem Bezirksgericht Zürich gegenüber BLICK, dass das Video nicht von Jeton selbst gefilmt worden sei. Das sei ein Mithäftling gewesen, der die Aufnahme erstellt habe.
«Er hat mir dann das Video geschickt und ich habe es auf seinem neuen Facebook-Profil veröffentlicht, das ich für ihn verwalte.» Robinson G. sagt, er wisse nicht, wann das Video entstanden sei – er habe viele Aufnahmen seines Bruders.
Das Lied «Kalt Bruder» des deutschen Rappers Capital Bra wurde allerdings erst Anfang Oktober 2019 veröffentlicht. So muss es in den letzten Monaten entstanden sein – als Jeton G. hinter Gittern sass.
Facebook, Instagram und E-Mails sind verboten
Fraglich ist auch, wie das Video ins Netz gelangen konnte. Denn hinter Gittern haben die Gefangenen keinen freien Zugang zum Internet. Wlan gibt es keines. Die einzige Möglichkeit: begleitetes Surfen. – gemeinsam mit einem Gefängnismitarbeiter. «Die Nutzung Sozialer Medien und E-Mails sowie jeglicher Kontakt zur Aussenwelt sind dabei verboten», sagt Rebecca de Silva vom Zürcher Amt für Justizvollzug zu BLICK.
Ob Häftlinge auf Instagram oder Facebook auch hinter Gittern aktiv sind, wird nicht aktiv kontrolliert. Aber natürlich würden konkrete Hinweise überprüft – so wie im Fall des Türsteher-Killers. Das Jeton G. in seiner Zelle raucht, ist dagegen kein Problem. Denn das ist nicht verboten.
Boris R. nach Schlägerei erschossen
Jeton G. hat im März 2015 den Türsteher Boris R. in Zürich-Affoltern erschossen. Die beiden Männer hatten sich im Vorfeld immer wieder gestritten. Am verhängnisvollen Tag verabredeten sich die beiden zusammen mit ihren Kumpels an der Wehntalerstrasse und prügelten gleich aufeinander ein.
Jeton G.s Kumpel Berk K.* (25) hat einen geladenen Revolver in seiner Hosentasche, der Türke setzt die Waffe aber vorerst nicht ein. Der Tschetschene Iznavur S.* (35) schlägt den Montenegriner Boris R. mit der Faust ins Gesicht. Mit dem Schlag bricht er dem Kampfsportler die Nase und schlägt ihm drei Zähne aus.
Danach setzen Jeton G. und sein Kumpel Danjel D.* (37) Tränengas ein. Berk K. zieht den Revolver aus der Hose und schiesst in die Luft. Boris und seine Gang ergreifen die Flucht. Jeton G. nimmt Berk K. den Revolver ab. Er schiesst dreimal auf die Flüchtenden. Zwei Kugeln treffen Boris R. in den Rücken. Der Türsteher stirbt an Ort und Stelle.
Angeklagte kommen in Kaschmir-Pullis
Der Prozess in Zürich startete am Mittwochmorgen unter hohen Sicherheitsmassnahmen. Berk K. und Iznavur S. kommen als Erste an. Beide Männer sind elegant gekleidet – mit Hemd und Kaschmir-Pullover. K. sieht frisch frisiert aus und riecht stark nach Parfüm. Er wirkt nervös. Der Hauptbeschuldigte kommt zuletzt rein.
Weit kommt der Prozess am ersten von vier Tagen nicht. Bereits nach den Vorfragen ist Schluss. Neben dem amtlichen Verteidiger hat Jeton G. den Privatanwalt Bruno Steiner (70) als Rechtsvertreter. Der ehemalige Richter und Staatsanwalt zerpflückt die Strafuntersuchung. Um seine Beweisanträge zu prüfen, unterbricht der Gerichtspräsident schliesslich die Verhandlung.
«Vielleicht hat jemand anders den tödlichen Schuss abgegeben»
Hauptanliegen von Jeton G.'s Anwälten: eine Tatrekonstruktion vor Ort, wenn möglich mit allen Beteiligten oder mit Statisten. Um das Geschehen genau nachvollziehen zu können, brauche es auch noch eine 3-D-Visualisierung. Denn: «Vielleicht hat jemand anders den tödlichen Schuss abgegeben», so Bruno Steiner vor Gericht. «Vielleicht sogar einer von der gegnerischen Gruppe.»
Nächsten Mittwoch verkündet das Gericht, ob die Anträge abgelehnt werden. Nur dann geht die Verhandlung weiter. Als nächstes stehen die Befragungen der drei Angeklagten an.
Nach dem Prozess dürfen die zahlreich erschienenen Familienmitglieder gestaffelt kurz mit Jeton G. sprechen und ihn umarmen. Im Gang vor dem Gerichtssaal fliessen die Tränen. (man/mcb/jmh)
* Namen bekannt