Selbstbewusst tritt Daniel Anrig gestern am Prozess vor dem Bezirksgericht Meilen auf – mit dabei hat er neben der Verteidigerin auch einen Sprecher, der seine Version gegenüber den Medien vertreten soll. Denn seine Verteidigungsstrategie lautet: Gegenangriff.
Der ehemalige Kommandant der Schweizergarde und Ex-Gemeindeschreiber von Zermatt VS soll den Handwerker Milo T.* mit einer Kettensäge bedroht haben. Doch Anrig sagt: Er selbst habe nicht mit der Kettensäge gedroht, viel mehr sei es Milo T. gewesen, der ihn zuvor eingeschüchtert habe.
Fuchteln mit der Motorsäge
Zum Vorfall kam es im Garten von Chantal J.*, der Mutter von Anrigs Tochter. J. war früher mit Milo T. in einer Beziehung und wünschte sich ein Kind. Diesen Wunsch konnte T. ihr nicht erfüllen. J. wandte sich entsprechend an Daniel Anrig, ihren damaligen Nachbar, und bat ihn um eine Samenspende. Daraus entstand eine mittlerweile dreijährige Tochter.
Zum Zeitpunkt des Vorfalls besuchte Anrig seine Tochter regelmässig. Sie seien eine normale Familie gewesen, erzählt er während des Prozesses. Die Beziehung zwischen Milo T. und Chantal J. ging auseinander, sie blieben aber gute Freunde.
Im November 2022 schaute Anrig nach der Arbeit bei Chantal J. vorbei, weil er noch etwas Zeit mit seiner Tochter verbringen wollte: «Doch Chantal J. sagte sofort nein. Ich wollte also gehen, weil ich immer das befolge, was sie mir befielt», so der Ex-Gardist.
Währenddessen sägte Milo T. draussen an einer Tanne. Zwischen den Männern kam es zum Streit. Milo T. erzählt: «Ich war mit meiner Säge an einigen Ästen zugange, als ich die grosse Kettensäge aufheulen hörte.» Seine Stimme bricht mehrmals, als er beschreibt: «Ich sah Anrig mit der grossen Säge vor dem Hauseingang und dem Küchen- und Wohnzimmerfenster fuchteln.»
«Er habe ihn stoppen wollen und gebrüllt, er solle die Säge weglegen», so Milo T. Anrig habe sich zu ihm gedreht und die Säge über seinen Kopf gehoben. «Meine Gedanken rasten: Sterbe ich jetzt? Oder sterben Chantal J. und die Kleine?» Schliesslich legt Anrig die Säge weg und reist ab. Noch während der Zugfahrt wird er verhaftet.
Urteil noch nicht gefallen
Anrig soll bereits in einer früheren Liebesbeziehung ausfällig geworden sein. Ein entsprechendes Verfahren wegen Nötigung ist vor Obergericht hängig.
Milo T. leidet seit dem Vorfall unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Daniel Anrigs Verteidigung bezeichnet seine Schilderungen vor Gericht als «Wahnvorstellungen». Anrig stellt sich selbst als das Opfer dar: Milo T. habe ihn zuerst mit seiner kleinen Kettensäge in Angst versetzt. Er habe die grosse Kettensäge nur genommen, um sich zu schützen.
Chantal J. sagt vor Gericht, sie habe zwar das Aufheulen der Säge gehört, den Vorfall aber nicht beobachtet. «Ich bin so schnell wie möglich durch die andere Haustür raus und habe im Auto Schutz gesucht», erzählt sie.
Welcher Darstellung das Gericht glauben wird, ist abzuwarten. Beide Parteien fordern, dass der gegnerische Beschuldigte eine 10-monatige bedingte Haftstrafe kassiert. Das Urteil soll in den nächsten Tagen verkündet werden.
* Namen geändert
Die Richterin erklärt Urteilsverkündigung als beendet.
Notruf war authentisch
Hingegen sei der Notruf von Milo T. authentisch gewesen. «Er musste auf Erlebtem beruhen», sagt die Richterin. Die Zeugin hat Anrig mit laufender Motorsäge gesehen, wie er ums Eck kam. Sie hatte Angst und flüchtete. Am Sachverhalt, an den Vorwürfen gegen Daniel Anrig, gäbe es keine Zweifel, gegenüber den Vorwürfe gegen Milo T. hingegen schon, sagt die Richterin. Und weiter: «Das Gutachten kam zum Schluss, dass Daniel Anrig während der Tat steuerungsfähig war, und somit schuldig zu sprechen ist.» Weil er noch immer eine gewisse Distanz vom Opfer einhielt und sich schliesslich doch entfernte, werde strafmildernd eingerechnet. Als Ersttäter kann die Freiheitsstrafe bedingt ausgesprochen werden. Im Zeitraum der Probezeit muss er psychotherapeutisch begleitet werden.
Anrigs Aussagen waren nicht glaubwürdig
Die Richterin erklärt: «Es liegen dem Gericht zwei sehr unterschiedliche Darstellungen vor. Zum grossen Teil musste das Gericht aufgrund der Aussagen entscheiden, da auch die Zeugin das Geschehen selber nicht gesehen hatte.»
Zu den Aussagen von Anrig sagt sie: «Er verfiel immer wieder in die Opferhaltung. Höchst unglaubwürdig war die Aussage, dass er die Motorsäge nur als Schutzschild eingesetzt habe. Ebenfalls ist unglaubhaft, dass er nur das Gartenhäuschen zerlegen wollte. Es hatte auch schon im Vorfeld Aggressionen gegen den Kontrahenten gezeigt. Er war auch im Besitz des Autoschlüssels, er hätte jederzeit wegfahren können. Dass er nicht gewusst haben soll, wie man eine Motorsäge ausstellt, ist ebenfalls unglaubwürdig», hält die Richterin fest.
Auf der ganzen Linie gegen Anrig
Der Privatkläger, der Handwerker Milo T.*, ist hingegen nicht schuldig der Drohung, der Freiheitsberaubung und der falschen Anschuldigung. Daniel Anrig hat gegen ihn eine Gegenklage, ebenfalls als Privatkläger, angestrengt. Das Gericht hat also auf der ganzen Linie gegen den ehemaligen Schweizergarde-Kommandanten und ehemaligen Chef der Glarner Kriminalpolizei sowie ehemaligen Gemeindeschreiber von Zermatt entschieden.
Daniel Anrig ist schuldig
Die Richterin eröffnet das Urteil pünktlich um neun Uhr. Daniel Anrig ist schuldig der Drohung, der falschen Anschuldigung und des Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen. Das Urteil entspricht der Forderung der Staatsanwaltschaft. Er wird zu 10 Monaten bedingt und einer Busse von 1000 Franken verurteilt. Dem Privatkläger muss er eine Genugtuung von 1000 Franken bezahlen.
Urteilsverkündung am Montag
Ist Daniel Anrig nun schuldig der Drohung, der falschen Anschuldigung und des Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen? Die Schilderungen des Vorfalls durch den Angeklagten und durch Privatkläger gehen weit auseinander. Die Anklage fordert eine bedingte Freiheitsstrafe von 10 Monaten mit einer Probezeit von zwei Jahren, sowie eine Busse von 1000 Franken. Die Verteidigung hingegen will einen Freispruch. Die Urteilsverkündigung erfolgt am Bezirksgericht Meilen am Montagmorgen um neun Uhr. Blick ist dabei und vermeldet das Urteil live im Ticker.
Schluss der Verhandlung
Zum Schluss äussert sich Daniel Anrig: «Ich wollte Milo T. nie Angst einjagen. Es ist absurd, dass ich meiner allerliebsten Tochter und ihrer Mutter etwas antun wollte.»
Die Richterin schliesst die Verhandlung. Das Datum der Urteilsverkündung steht noch nicht fest.
Milo T. soll Anrigs Anwalt mitfinanzieren
Die Verteidigerin fordert, Milo T. sei schuldig zu sprechen. Ihm sei eine Haftstrafe von 10 Monaten zu erteilen. Er solle sich ausserdem an den Anwaltskosten von Herrn Anrig beteiligen.
Verteidigerin plädiert für Freispruch von Anrig
Die Verteidigerin betont, ein Freispruch «in dubio pro reo» (im Zweifel für den Angeklagten) sei in diesem Fall zwingend.
Es gäbe keinen Grund, an der Glaubwürdigkeit von Daniel Anrig zu zweifeln. Er habe sich in den Einvernahmen nie widersprochen. Gewaltbereitschaft wäre mit Anrigs früheren Anstellungen bei der Kantonspolizei, der Gemeinde Wallis und der Schweizergarde nicht vereinbar gewesen.
Anrig solle für die Untersuchungshaft entschädigt werden.
Anrigs Verteidigung bezeichnet Milo T.s Aussagen als «wahnhaft»
Die Äusserung von Milo T. seien «wahnhaft» gewesen. Er habe sich völlig in etwas hineingesteigert. «Die krassen Aussagen von Milo T. lassen vermuten, wie mein Mandant sich gefühlt haben muss», sagt die Verteidigerin.
Dass er Chantal J. und die Tochter retten wollte, sei völlig an den Haaren herbeigezogen. Er habe aufgrund «des Gebarens von Milo T. mit der Motorsäge in der Hand» reagiert und zur Kettensäge gegriffen, um sich zu verteidigen. Die Verteidigerin führt aus: «Er hat die Kettensäge zu keinem Zeitpunkt gegen irgendjemanden einsetzen wollen. Nicht gegen Chantal J. oder die Tochter, nicht gegen Milo T. oder den Nachbarn. Nicht einmal gegen die Nachbarkatze!»