Schweizer Forschungsinstitution untersucht die «Morandi-Trümmerteile»
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Morandi-Brücke:Schweizer Forschungsinstitution untersucht die «Morandi-Trümmerteile»

Empa-Experte Gabor Piskoty untersucht die Trümmer der Genua-Brücke
Ein Mann für alle Katastrophen

Bei der Empa in Dübendorf ZH sind die Italiener an der richtigen Adresse. Die Schweizer Prüf-Profis haben schon viele Unglücke untersucht, nun machen sie sich an die Brückentrümmer von Genua heran.
Publiziert: 07.11.2018 um 08:38 Uhr
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Aktualisiert: 17.11.2018 um 22:59 Uhr
Guido Felder

Gabor Piskoty (52) hat schon viele Dramen gesehen. Er hat den Deckeneinsturz der Sporthalle in St. Gallen, den Seilriss der Schilthornbahn und den Einsturz der Sprungschanze auf der Zürcher Landiwiese untersucht. Nun kümmert er sich um eine Katastrophe, die weltweit für Schlagzeilen sorgte: Der bei der Empa in Dübendorf ZH angestellte Gerichtsexperte für Schadensfälle wird in den kommenden vier Wochen diverse Trümmerteile der am 14. August kollabierten Morandi-Brücke von Genua testen.

Die tonnenschweren Beweismittel sind am Montagabend mit zwei Lastwagen bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) eingetroffen. Hier lagern sie irgendwo in irgendeiner der Hallen. Wo, wird nicht verraten, denn die Untersuchungen sind geheim. Die ermittelnde Richterin von Genua, Angela Maria Nutini, hat der Empa eine Schweigepflicht auferlegt.

Der Auftrag macht emotional

Die Experten um Gabor Piskoty werden sich als Erstes einen Überblick verschaffen. «Wir gehen wie ein Hausarzt an die Arbeit mit den Trümmern heran. Je nach Befund ziehen wir dann für die weiteren Untersuchungen entsprechende Fachleute bei», sagt Piskoty zu BLICK. Die Empa verfügt für solche Untersuchungen über hochtechnologische Werkzeuge wie etwa Röntgen, Ultraschall, Mikroskope, Einrichtungen für Belastungen und für Zugversuche.

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Dass Piskoty die technische Untersuchung koordinieren dürfe, sei für ihn sehr emotional. «Die Verantwortung ist sehr gross, da man mit den Schadensteilen sehr haushälterisch umgehen muss.» Oft müsse man zerstörerische Versuche durchführen, die nicht wiederholbar seien. 

Abklärungen auch beim ICE-Bahndrama von Eschede (D)

Der Untersuch der Morandi-Brücke ist nicht der erste Auftrag aus dem Ausland. «Wir sind oft in kleinere Fälle im Ausland involviert», sagt Piskoty. Er schwärmt von seinem Arbeitgeber: «Die Empa geniesst weltweit einen hervorragenden Ruf. Man weiss, dass hier viel Kompetenz für alle Materialien vorhanden ist.»

So war die Empa auch bei der Untersuchung zum Zugunglück in Eschede (D) 1998 beteiligt, das 101 Tote forderte. Damals führte Bernhard Weisse (48), stv. Abteilungsleiter Mechanical Systems Engeneering, Tests mit Typen und Fragmenten des Unglücksrads durch. Weisse: «Wir konnten damals aufzeigen, welche Ursachen ausgeschlossen und welche in Betracht gezogen werden konnten.»

Lieber vor der Katastrophe im Einsatz

In der Schweiz ist die 1880 gegründete und dem ETH-Bereich angeschlossene Empa meistens beteiligt, wenn es zu einer Katastrophe kommt. Ihr erster grosser Auftrag war die Untersuchung des grössten Zugunglücks der Schweiz im Jahre 1891. 73 Personen kamen ums Leben und 171 wurden verletzt, als die von Alexandre Gustave Eiffel (1832–1923) erbaute Brücke in Münchenstein BL zusammenkrachte. Zurzeit sind die Empa-Fachleute daran, für die inzwischen in die Jahre gekommene Nachfolgebrücke Sanierungsvorschläge auszuarbeiten.

Weitere spektakuläre Unfälle, bei der die Empa beigezogen wurde, waren der Swissair-Absturz in Dürrenäsch AG 1963 mit 80 Toten und der Deckeneinsturz im Hallenbad Uster ZH 1985 mit zwölf Todesopfern.

Die Empa hat ihre Arbeit in den vergangenen Jahrzehnten von der Materialprüfung stark in die Forschung erweitert, um ideale Baustoffe entwickeln zu können. Gabor Piskoty: «Wir werden lieber aufgeboten, bevor es zu einer Katastrophe kommt.»

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