Alte Plüschherzen und vergessene Weihnachtsdeko hängen von der Holzdecke. Dazwischen Kunstpflanzen, die für exotisches Flair sorgen sollen, an der Decke eine Discokugel. Darunter eine Bühne mit zwei Stripteasestangen – und einer Dusche. Willkommen im Calypso im Zürcher Niederdorf – dem ältesten Stripclub der Schweiz.
Am 31. Juli gingen hier für immer die Türen zu. Tanz- und Duscheinlagen sind nun Geschichte. Nie wieder wird mehr nackt auf der Bühne das Schwyzerörgeli gespielt wie zu den goldenen Zeiten. «Fertig lustig», sagt Inhaber Pierluigi «Luigi» Lionzo (64). Zusammen mit BLICK und dem Erstbesitzer des Clubs, Florian Bösch (75), schaut er zurück auf 50 Jahre Kultstripclub.
Von der Bäckerei zum Stripclub
Wo sich bis zum letzten Tag noch Frauen vor Publikum verbogen haben, wurde einst Teig geknetet. Das Calypso war eine Bäckerei, bevor es zur Musikbar und dann zur Go-go-Bar wurde. «Angefangen haben wir mit einem Tänzer, einer Weissen, einer Schwarzen und einer Roten», sagt Bösch. Und: «Als wir in den 70ern aufgemacht haben, gab es hier keinen Alkohol.» Heute kaum vorstellbar, aber eine Ausschank-Lizenz bekam der Club erst Mitte der 80er-Jahre.
Die Menschen standen damals Schlange, um die ausländischen Tänzerinnen zu sehen. Ihre langen, nackten Beine, die Offenheit, das Anrüchige. Ein Go-go-Tanz war eine Attraktion. In den Boom-Zeiten, den 90er-Jahren, tanzten und entblössten sich bis zu fünfzehn Frauen auf der Bühne des Calypsos. Anekdoten über die alte Zeit und die Tänzerinnen gibt es zuhauf.
Auch von Auftritten, die in die Hose gingen. Zumindest fast. Luigis skurrilste Erinnerung stammt aus der alkoholfreien Zeit. «Es gab oft Süssmost – und der treibt.» Eine österreichische Tänzerin namens Helen räkelte sich auf der Bühne. Dann sah sie ganz verklemmt aus, rannte weg. «Später sagte sie mir, hätte sie eine Sekunde länger getanzt, hätte sie ihr grosses Geschäft auf der Bühne verrichtet. Vom Süssmost hatte sie Durchfall.»
Zwischen Klischee und Nostalgie
Luigi lacht. Keine Tattoos, keine Goldringe, auch keine Protzuhr am Handgelenk oder eine Zigarre im Mund. Luigi sieht aus wie ein Familienvater. Zwei Kinder hat er während seiner 38 Jahre beim Calypso grossgezogen. Alleinerziehend. So klischeehaft das Lokal mit seinen Bambusverschlägen, der schummrigen Beleuchtung und der Retro-Tapete auch aussieht, so wenig entspricht Luigi den Klischees eines Stripclub-Besitzers.
Florian Bösch, der Gründer, hingegen ist ein echter Niederdorf-Bub. «Mich haben alle gekannt. Jeder wusste, was ich mache. Ich bin hier aufgewachsen und gross geworden.» Anfang der 80er hat er den Club an Angelo Pfister verkauft. Der hat den Club kurz vor seinem Tod im Jahr 2015 an Luigi, der bis anhin Geschäftsführer war, übergeben.
Heute ist der Stripclub nicht mehr das, was er mal war. «Es hat sich leergelaufen», sagt Bösch. Keine langen Schlangen vor der Tür. «Hier kamen nur noch Romantiker und Nostalgiker hin, die Unterhaltung suchten», sagt Luigi. Früher feierten Geschäftsleute, wann immer sie konnten. Seit der #MeToo-Debatte war alles anders – auf Spesen wurde im Calypso längst nicht mehr abgerechnet.
Zum Stripclub-Abschied flossen Tränen
Auch junge Gäste blieben aus. Und wenn sie kamen, waren sie oft ganz anders als die nostalgische Stammkundschaft. Es kam vor, «dass Junge ausfälliges, primitives Vokabular verwenden. Wie: ‹Guck mal die Schlampe da vorne.›» Die Strolche wies Luigi zurecht. Dann sagte er: «So jetzt, bitte anständig.» Ganz der Familienpapi eben.
Aufs Ende vom Calypso angesprochen, muss Luigi sich zusammenreissen. Der Stripclub-Besitzer ist nah am Wasser gebaut. Beim Gedanken daran, was er am meisten vermissen wird, passiert es dann doch. Nasse Augen, schnelles Wegdrehen, entschuldigendes Murmeln. Dann sagt er: «Ich will ihnen allen danken. Den verstorbenen Vorbesitzern, den Tänzerinnen, meinem Team – meiner Familie.»