In seinen 28 Jahren als Sprecher der Stadtpolizei Zürich hat Marco Cortesi (65) vieles gesehen. Viel Positives, aber auch immer wieder menschliche Abgründe. Der Engadiner war in dieser Zeit an Hunderten von Tatorten, Unfallstellen und Bränden. Und trotzdem hatte er meist einen lockeren Spruch auf den Lippen. Ende Monat wird er pensioniert. Im BLICK lässt er seine prägendsten Fälle nochmal Revue passieren.
Er gehe mit einem lachenden und zwei weinenden Augen, sagt Cortesi in der Uraniawache Zürich. «Ich werde vor allem mein Team vermissen», so der Stapo-Infochef, der in den letzten Jahrzehnten zum wohl bekanntesten Pressesprecher der Schweiz wurde.
Vom Streifenpolizist zum Sprecher
Dabei sah es zunächst nicht nach einer Sprecher-Karriere aus: Der Bündner arbeitete als Skilehrer, als Pöstler, auf der Bank – und schliesslich als Streifenpolizist im Kreis 4. Irgendwann sagte ihm der Chef: «Mediendienst wär doch etwas für dich.» Das war vor bald drei Jahrzehnten.
Einige der Fälle schwirren ihm auch nach all den Jahren noch im Kopf herum. Nicht unbedingt die Bekanntesten. «Schlimm ist für mich, wenn Eltern ihre Kinder verlieren. Wie der Bub, der vor einiger Zeit unter den Zwillingsrädern eines Lastwagens starb. So etwas verfolgt mich.»
Einmal musste er lügen
Ein solcher Moment war es auch, als er für einmal eines seiner Prinzipien brach: immer die Wahrheit zu sagen. Es war im Jahr 2003, als das Auto einer Luzernerin an der Löwenstrasse zwischen zwei Trams regelrecht zermalmt wurde. Ein Kind war sofort tot. Öffentlich sagen wollte das der Polizeisprecher aber noch nicht, weil die Angehörigen die schreckliche Nachricht sonst aus den Medien erfahren hätten. «Ich liess dieses Kind in meinen Medienmitteilungen noch stundenlang weiterleben», gibt Cortesi heute die Notlüge zu. Bis die Angehörigen informiert waren.
Dass es Ärger geben kann, wenn ein Communiqué zu viel verrät, lernte er auf die harte Tour kennen. Heute kann er darüber lachen. Als vor Jahren eine 44-jährige deutsche Rollstuhlfahrerin überfallen wurde, schrieb Cortesi es genau so. Nur: «So eine Frau gab es in Zürich nur einmal. Wir haben sie quasi geoutet.» Am nächsten Tag rief der damalige Stadtpräsident Elmar Ledergerber an – fuchsteufelswild: «Er fragte mich, ob ich eigentlich völlig wahnsinnig geworden sei. Er kenne die Frau, auf die die eindeutige Beschreibung passt – das sei seine Sekretärin!»
Auch Polizisten sagen nicht immer die Wahrheit
Eine andere Lektion, die Cortesi lernen musste: Geh an die Tatorte, überprüfe Informationen vor Ort! «Um Fehler zu vermeiden.» Auch die Polizisten sagen ihm nämlich nicht immer die Wahrheit. Als vor einigen Jahren ein Streifenwagen einen älteren Mann überfuhr, behaupteten die beteiligten Beamten, sie seien Schritttempo gefahren. «So habe ich das dann auch den Medien gesagt.» Dann kam heraus: Der Streifenwagen hatte beim Todescrash 32 km/h drauf – im Rückwärtsgang. «Eine Katastrophe, auch für meine Glaubwürdigkeit», ärgert sich Cortesi auch Jahre danach. Wenn Polizisten Fehler machen, sind das für ihren Sprecher immer schwierige Momente. «Wenn ich öffentlich sage, dass die Polizeiarbeit nicht gut war, dann gehe ich ein paar Wochen alleine Kaffee trinken.»
Oft genug sah er üble Bilder. «Dann sitzt du am Tatort, alles ist voller Blut, und du fragst dich: Was soll ich jetzt nur schreiben?» Beim Verarbeiten helfen: Sport – und die Partnerin. «Brigitte ist eine ganz wichtige Person in meinem Leben, meine Freundin seit über 20 Jahren.»
Wenn aus Unfallverursacher und Opfer Freunde werden
Sein Menschenbild habe in den Jahren bei der Polizei nicht gelitten. Schliesslich gab es auch Geschichten mit Happy End. Als zum Beispiel zwischen einem Crash-Bootskapitän und seinem Unfallopfer eine langjährige Freundschaft entstand. «Eine ältere Dame wurde beim Schwimmen von der Schiffsschraube erfasst und schwer verletzt.» Der Familie des Kapitäns habe die Sache so leidgetan, dass sie Cortesi bat, noch im Spital den Kontakt zum Opfer herzustellen. «Die sind noch befreundet und schreiben mir jedes Jahr einen Brief», freut sich der Polizist.
Ende Januar ist nun Schluss. An das Leben ohne das Scheinwerferlicht werde er sich zuerst gewöhnen müssen, sagt Cortesi offen. Auch wenn er sich in Zukunft eher hinter den Kulissen bewegen will: Pensionär wird er so bald nicht. Der Bald-Rentner schiebt seine neue Visitenkarte über den Tisch: «Ich habe jetzt eine Firma für Krisenkommunikaton.» Der Vorsatz des umtriebigen Stapo-Sprachrohrs: nach der Pensionierung nicht mehr arbeiten als bisher.
Marco Cortesi (65) wuchs in Samedan GR auf und machte mit 16 Jahren eine Postlehre. Er arbeitete im Winter als Skilehrer, im Sommer auf dem Golfplatz. In Zürich begann der Engadiner auf der Sihl- und der Fraumünsterpost, machte später das Handelsdiplom. Nach nur drei Tagen auf der Bank wusste der junge Mann, dass der Job nichts für ihn ist. Seine damalige Freundin empfahl ihm die Polizeischule, die er vor 37 Jahren antrat. Nach Jahren auf Streife und bei der Kripo kam Cortesi 1992 auf die Medienstelle – seit 2007 ist er dort Chef.
Marco Cortesi (65) wuchs in Samedan GR auf und machte mit 16 Jahren eine Postlehre. Er arbeitete im Winter als Skilehrer, im Sommer auf dem Golfplatz. In Zürich begann der Engadiner auf der Sihl- und der Fraumünsterpost, machte später das Handelsdiplom. Nach nur drei Tagen auf der Bank wusste der junge Mann, dass der Job nichts für ihn ist. Seine damalige Freundin empfahl ihm die Polizeischule, die er vor 37 Jahren antrat. Nach Jahren auf Streife und bei der Kripo kam Cortesi 1992 auf die Medienstelle – seit 2007 ist er dort Chef.