Die nördlichen Inseln der Bahamas sind platt gefegt. Zwischen Geröll und Sumpf blitzen farbige Holzplatten hervor, mir quadratischen Löchern. Hauswände, die der Sturm teils kilometerweit weggetragen hat. Dass vor zwei Wochen hier noch Dörfer standen, die Strassen voller Leben waren, lässt sich nur noch schwer erahnen.
Dieses Bild auf die Zerstörung von oben hat sich fest in Cedric Gitchenkos (49) Hirn eingebrannt. Zehn Tage lang flog der Pilot aus Neftenbach ZH Verletzte und Kranke aus den ehemaligen Dörfern nach Nassau, der Hauptstadt der Bahamas. Er weiss: Das Bild der Verwüstung aus der Luft wird dem Leid der Menschen am Boden nicht gerecht.
Schlimmster Hurrikan der Moderne
Am ersten September traf Hurrikan Dorian die nördlichen Inseln der Bahamas mit voller Wucht. Windböen von 350 Kilometern pro Stunde liessen keinen Stein auf dem anderen.
Es war der stärkste Wirbelsturm, der die Inselgruppe seit Beginn moderner Aufzeichnungen getroffen hat. «Die Menschen hier haben alles verloren. Bis auf das letzte Bisschen», sagt Cedric Gitchenko zu BLICK.
Der Schweizer ist einer von drei Piloten der Kölner Dieter-Morszeck-Stiftung. «Ich flog die Route nach Nassau, meine Kollegen brachten Patienten direkt in die USA», erzählt er. In seinem Flieger sassen vor allem Kinder und Senioren. «Die meisten hatten Knochenbrüche oder epileptische Anfälle. Ich flog sie direkt ins Spital», so Gitchenko.
70'000 Obdachlose, wie viele Tote?
In Nassau versuchen Ärzte und Behörden, sich einen Überblick zu verschaffen. Die meisten Bewohner haben keinerlei Papiere mehr. Keine Möglichkeit, sich auszuweisen.
Sich in den USA behandeln zu lassen, kommt für diese Patienten kaum in Frage. Die US-Regierung nimmt nur Evakuierte auf, die ein Visum oder Pass vorweisen können. Präsident Donald Trump begründet: «Ich möchte nicht, dass Illegale auf den Bahamas nun in die USA kommen. Darunter sind sehr böse Menschen.»
Die Zahl der Obdachlosen wird derzeit auf etwa 70'000 geschätzt. Noch immer ist unklar, wie viele Menschen dem Hurrikan zum Opfer fielen. Die offizielle Zahl lautet 50. Noch. Hunderte Tote werden befürchtet.
«Ein Tropfen auf den heissen Stein»
Das Leid sei unbeschreiblich, sagt Gitschenko. «Die Menschen können sich eine Zukunft gar nicht mehr vorstellen. Sie haben nichts mehr. Und keine Versicherung, die ihnen nun eine Grundlage bieten könnte.»
Über 50 Evakuierungen ist Gitchenko selbst geflogen. Die Tage waren lang. Trotzdem sieht der Schweizer sich als «kleiner Tropfen auf den heissen Stein». Hinter jeder Baustelle wartet die nächste. Die Lage scheint nicht bewältigbar. «Ich war zehn Jahre bei der Rega, kenne Leid. Ich weiss, ich darf nicht zu viel übers Elend nachdenken, muss weitermachen», so der Pilot.
Nach zehn Tagen Dauereinsatz ist Gitchenko nun zurück in der Schweiz. Auf die Frage, wie es ihm gehe, antwortet er: «Gut, ich habe ja noch ein Dach über dem Kopf.»