Während in der Türkei die um ein Jahr vorgezogenen Präsidentschaftswahlen unmittelbar bevorstehen, sieht sich der derzeitige Präsident Recep Tayyip Erdogan mit harten Vorwürfen gegen zwei seiner hochrangigen Vertreter des Landes konfrontiert. Die türkischen Diplomaten Haci Mehmet Gani und Hakan Kamil Yerge planten im Spätsommer 2016 laut «Tages-Anzeiger», einen Schweizer Geschäftsmann mit türkischen Wurzeln erst zu betäuben, um ihn dann zu kidnappen.
Auf Anfrage von BLICK bestätigt die Bundesanwaltschaft (BA), gegen Gani und Yerge bereits am 16. März 2017 ein Strafverfahren eröffnet zu haben. Konkret «wird ein Strafverfahren wegen des Verdachts des politischen Nachrichtendienstes und verbotener Handlungen für einen fremden Staat geführt».
Jetzt ist klar: «Die Bundesanwaltschaft hat zwischenzeitlich die zwei Beschuldigten national zur Haft ausgeschrieben», wie sie BLICK bestätigt. Zum Zeitpunkt der Entführungsaktion war Gani als Presseattaché in Bern abgestellt, während Yerge Zweiter Botschaftssekretär war.
Auf Zürcher Friedhof wurde Entführungsaktion arrangiert
Beim anvisierten Entführungsopfer handelt es sich um einen verheirateten Familienvater in den Mittfünfzigern. Er geriet in den Fokus von Erdogans Getreuen, weil der Geschäftsmann der Bewegung des islamischen Predigers Fetullah Gülen angehört. Erdogan macht Gülen für den Putschversuch von Mitte Juli 2016 verantwortlich. Gülen-Anhänger sind seither im Visier des türkischen Regimes.
Kurz nachdem die Vorwürfe gegen die beiden Diplomaten im März 2018 publik geworden waren, hatte die Türkei diese umgehend dementiert. Doch die Beweise scheinen unumstösslich. Zeugenaussagen und Observationsfotos liegen vor. Zudem kam es zu mehreren geheimen Treffen zwischen Yerge und Gani zusammen mit mutmasslichen Agenten den türkischen Geheimdienstes MIT, um die Entführung des Schweiz-Türken zu arrangieren.
Diese gingen unter anderem auf einem Friedhof in Oberglatt ZH und vor einer Autogarage über die Bühne. Mit von der Partie: ein mittelloser Türke aus dem Kanton Zürich. Als Bekannter des Opfers sollte er nahe genug an ihn herankommen, um ihm K.o.-Tropfen ins Essen oder Getränk zu mischen und ihn zu betäuben. Dafür sei ihm viel Geld versprochen worden, um seine Schulden zu tilgen und ein sorgenfreies Leben in der Türkei zu führen. Was die Beteiligten nicht wussten: Sie wurden vom Schweizer Nachrichtendienst des Bundes observiert.
Keine Immunität für türkische Diplomaten
Im März 2017 hatte Justizministerin Simonetta Sommaruga in Sachen Türkei im BLICK klar Stellung bezogen. «Verbotener Nachrichtendienst wird nicht toleriert – auch nicht von der Türkei», so ihre Ansage. Auch wenn der lange Arm von Erdogan längst bis in die Schweiz reicht. Der Entscheid, gegen die beiden Diplomaten einen Haftbefehl auszustellen, ist ein klarer Schuss vor den Bug.
Nach Rücksprache mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hat das Justizdepartement auf Antrag der Bundesanwaltschaft die diplomatische Immunität von Gani und Yerge aufgehoben. Denn trotz Diplomaten-Status: Die Entführung eines Menschen wird in der Schweiz nicht geduldet. Die Diplomaten waren von dann an nicht länger vor einer Strafverfolgung geschützt. Jedoch hatten sie sich längst in die Türkei abgesetzt.
Yerge verliess die Schweiz bereits im November 2016. Gani blieb noch fast ein Jahr in der Schweiz, bevor auch er im August 2017 in die Türkei verschwand. Dass Gani und Yerge tatsächlich in der Schweiz in Haft kommen, ist unwahrscheinlich, denn die BA hat lediglich einen «nationalen Haftbefehl» gegen die beiden Diplomaten ausgestellt. Solange sie nicht in die Schweiz zurückkehren, haben sie nichts zu befürchten.