Alkohol verwandelt. Gemüter heizen sich auf. Beziehungen sind plötzlich intensiver, näher. Grenzen verschwimmen. Der Alkohol ätzt Kontrollsucht und Hemmungen weg. An jedem Wochenende geben sich die Leute dem Suff hin. Um zu feiern, das Leben zu spüren, zu vergessen. BLICK hat ihren Absturz beobachtet – nüchtern.
Der Zeiger springt auf 19 Uhr. Geschäftsleute strömen in die Drinx Bar im Zürcher Seefeld. Ein Glas Prosecco. 0,14 Deziliter Alkohol. Bei 0,3 Promille schüttet der Körper erste Endorphine aus. Die Frustration weicht einem leichten Rausch, kaum spürbar. Die Gäste gestikulieren wild, diskutieren über die Arbeit. Krawatte und Wimperntusche sitzen – noch.
Frivole Gesprächsthemen in lockerer Runde
Gegen 21 Uhr wird die Stimmung lockerer. Die Elisaburg in Zürich-Wiedikon ist rappelvoll. Eine Maschine füllt den Raum mit Rauch. Zwanzig Studenten sitzen an einem Tisch, trinken. Rotwein. 0,3 Deziliter Alkohol. Bei 0,7 Promille sinkt die Hemmschwelle, der Mensch ist risikobereiter.
Eine junge Studentin erzählt munter: «Ich verkaufe meine Unterhöschen im Internet. 80 Franken pro Stück – für null Aufwand!» Bewundernd stimmen ihr die Uni-Kollegen zu. Es sind Fremde, die Studierenden hier besuchen nicht dieselben Seminare.
Eine von ihnen, Julia K.* (22), erklärt: «Genau darum geht es mir beim Trinken. Man ist viel selbstsicherer und entspannter – das fördert die Gemeinschaft.» Doch nicht jeder reagiere gleich, das habe sie an Familienfesten erfahren müssen. «Mein Onkel war betrunken sehr aggressiv, das hat uns die Stimmung vermasselt», sagt sie.
Frau liegt draussen auf der Holzbank
Mittlerweile ist es fast Mitternacht. Vor dem Club Kaserne liegt eine Frau auf einer Holzbank, zugedeckt. Ein Mann versucht, ihr Wasser einzuflössen. Zu spät. Sie ist gar nicht mehr ansprechbar. Der Begleiter sagt: «Wir warten ab, bis sie sich erholt hat. Hilfe braucht sie nicht.»
Drinnen haben die Partygänger noch Energie. Der Barkeeper füllt Shots ab. Wodka. 0,1 Deziliter Alkohol. Bei 0,9 Promille wird die Euphorie stärker, die Reaktion langsamer, der Blick stier.
Besucherin Mira T.* verzichtet. Sie sieht den Konsum kritisch. «Alkohol wird total unterschätzt. Bei Drogen denkt man an Pillen oder Gras – dabei gehört Alkohol genauso dazu.» Die Zeiten, in denen sie mit Alkohol über ihre Grenzen ging, seien vorbei. «Aber klar, es kann jedem passieren, dass er sich mal falsch einschätzt.»
Betrunkene vergreifen sich gerne im Ton
Die Betrunkene auf der Holzbank ist mittlerweile weg. Es ist zwei Uhr morgens. Die ersten Bars schliessen schon. Barfrau Angela R.* (30) mixt den letzten Cocktail. Gin Tonic. 0,3 Deziliter Alkohol. Ab 1,3 Promille ist die Hirnfunktion deutlich eingeschränkt. Der Mensch ist verwirrt, überschätzt sich, lallt.
Für Angela Alltag. Die Betrunkenen, sagt sie, liessen ihre Jacke mitsamt Würde an der Garderobe zurück. «In meinem Job braucht man eine dicke Haut. Betrunkene Gäste schnauzen mich an, weil ich ihnen nichts mehr ausschenke. Dabei können sie nicht einmal mehr benennen, was sie haben möchten.»
Feierabend in der Olé Olé Bar – an der Langstrasse geht es jetzt erst richtig los. Der Türsteher verschränkt die Arme. Ein Mann mit Zigarette beschimpft ihn. Die Worte klingen nicht nach Deutsch, sind es aber vermutlich. Den Türsteher beeindrucken sie nicht. Der Mann torkelt ab, setzt sich auf einen Randstein, pöbelt weiter.
Statt Shots schenkt der Barkeeper lieber Wasser ein
Ähnliche Szenen drinnen, die Uhr zeigt auf vier. Eine ältere Frau will zwei Tequila-Shots bestellen. 0,1 Deziliter Alkohol. Ab 1,7 Promille ist die Aufmerksamkeit am Anschlag. Die Umgebung verschwimmt, die Augen fallen zu. Die Barkeeperin weigert sich, der Frau den Shot zu geben, stellt ihr stattdessen Wasser hin.
Die Betrunkene an der Bar möchte aber Alkohol. Zwar wirkt ihr Gesicht völlig zerflossen, die Augen sind nur noch Schlitze. Sie lallt: «Was soll das? Zwei Tequila!» Das Glas kippt sie zu Boden. Hier bekommt sie bestimmt nichts mehr.
Wer nicht aufhören kann, den verschlägt es in die Gräbli Bar. Der Keller im Niederdorf schliesst nur eine Stunde pro Tag. «Das letzte Bier, das trinkt man hier», sagt eine Besucherin mit verschmierter Wimperntusche. Bier. 0,25 Deziliter Alkohol. Bei über zwei Promille setzen Bewusstsein und Gedächtnis aus. Immer wieder, kurz.
An einem der Holztische starrt ein Mann apathisch auf seine Bierflasche. Reden kann er nicht mehr. Bei der Frage, ob es ihm gut gehe, legt er seinen Kopf auf den Arm. Es klirrt. Prompt hat er die Flasche vom Tisch gefegt.
Dicker Kopf nach durchzechter Nacht
Um die Sauerei kümmert sich niemand, um den Verursacher auch nicht. Gegen sechs Uhr morgens leert sich die Bar langsam. Der Betrunkene schläft auf dem Tisch. Schlaf. 0,1 bis 0,2 Promille Alkohol baut der Mensch pro Stunde Ruhezeit ab.
Erst am Samstagabend wird der Mann am Tisch wieder komplett nüchtern sein. Die Realität wird sich anfühlen wie eine geballte Faust ins Gesicht. Kopfschmerzen, Übelkeit. Und wie im Suff der Alltag vergessen ist, so wird es nach dem Aufwachen auch die durchzechte Nacht sein.
* Namen der Red. bekannt
In den vergangenen 25 Jahren ist die Zahl der Menschen, die täglich Alkohol trinken, gesunken. Aber die Zahl jener, die sich mindestens ein Mal im Monat betrinken, ist gestiegen. Das zeigt eine neue Erhebung des Bundesamtes für Statistik (BFS) aus dem Jahr 2017. Der Anteil der Personen, die mindestens einmal pro Monat bis zum Rausch trinken, stieg von 11 Prozent im Jahr 2007 auf 16 Prozent im Jahr 2017. Die Statistiken zeigen auch, dass junge Frauen in diesen zehn Jahren beim Rauschtrinken gegenüber den Männern ein Stück weit aufgeholt haben. In der Kategorie der 15- bis 24-Jährigen verdoppelte sich der Anteil der Frauen, die sich mindestens ein Mal pro Monat betrinken, von 12 auf 24 Prozent. Bei den Männern stagnierte die Quote bei 30 Prozent. Das BFS stellt auch einen sprunghaften Anstieg beim Übergang ins Rentenalter fest: 26 Prozent der über 65-Jährigen trinken täglich Alkohol. Dieser Anteil ist in den vergangenen 25 Jahren nur leicht gesunken.
In den vergangenen 25 Jahren ist die Zahl der Menschen, die täglich Alkohol trinken, gesunken. Aber die Zahl jener, die sich mindestens ein Mal im Monat betrinken, ist gestiegen. Das zeigt eine neue Erhebung des Bundesamtes für Statistik (BFS) aus dem Jahr 2017. Der Anteil der Personen, die mindestens einmal pro Monat bis zum Rausch trinken, stieg von 11 Prozent im Jahr 2007 auf 16 Prozent im Jahr 2017. Die Statistiken zeigen auch, dass junge Frauen in diesen zehn Jahren beim Rauschtrinken gegenüber den Männern ein Stück weit aufgeholt haben. In der Kategorie der 15- bis 24-Jährigen verdoppelte sich der Anteil der Frauen, die sich mindestens ein Mal pro Monat betrinken, von 12 auf 24 Prozent. Bei den Männern stagnierte die Quote bei 30 Prozent. Das BFS stellt auch einen sprunghaften Anstieg beim Übergang ins Rentenalter fest: 26 Prozent der über 65-Jährigen trinken täglich Alkohol. Dieser Anteil ist in den vergangenen 25 Jahren nur leicht gesunken.