Nicoletta N.* wäre heute 38 Jahre alt geworden. Sie wollte ihren Geburtstag zusammen mit ihrem Vater und Bruder in Deutschland feiern. Doch dazu kam es nicht. Als der Reisebus gestern am frühen Morgen in Zürich gegen die Mauer am Ende der nie fertig gebauten Sihlhochstrasse knallte, wurde sie aus dem Fenster geschleudert und stürzte rund 15 Meter in die Sihl. Die Polizei konnte N. nur noch tot bergen. 44 weitere Menschen wurden verletzt.
Auch am Tag danach ist nicht genau geklärt, warum es zum Unfall kam. Technische Mängel? Glatteis? Menschliches Versagen?
Klar ist nur, dass die Unfallstelle berüchtigt ist. Und auch eine Art Unikum im Schweizer Autobahnwesen. Denn die Sihlhochstrasse führt praktisch schnurgerade aufs Sihlhölzli zu – und endet dort im Nichts. Hier plante man in den 70er-Jahren das Zürcher «Expressstrassen-Y», das aber nie gebaut wurde.
2016 landete ein Rumäne in der Sihl
Wer von der Autobahn will, muss rechts die Kurve nehmen. Während Zürcher Autofahrer diese Streckenführung kennen, scheitern ausländische Chauffeure hier.
Bereits im Februar 2016 krachte der rumänische LKW-Chauffeur Marius M.* (27) mitsamt Fahrzeug durch die Betonmauer und stürzte in die Sihl hinunter. «Ich hatte Glück im Unglück», sagte er damals zu BLICK. Marius M. überlebte, brach sich beim Sturz beide Beine.
Kurz nach dem Unfall installierte das Bundesamt für Strassen (Astra) Betonelemente, die den Autobahnstummel an der Abzweigung absperren. Doch die Sperrung wurde aufgehoben, nachdem die Mauer am Ende der Strasse wieder aufgebaut war. Nur auf alten Google-Bilden sind die schräg hingestellten Elemente noch sichtbar (siehe Galerie).
Hätten die Betonelemente den Flixbus am Sonntag aufgehalten bzw. die Folgen des Unfalls abgeschwächt?
Zweiter Unfall – Astra tut nichts
Statt zu verhindern, dass Fahrer überhaupt links abbiegen und auf den Abgrund zu fahren, setzt das Astra auf «Signalisation». Diese sei nämlich vorschriftsgemäss, teilt es BLICK mit. Ein Schild und Markierungen am Boden weisen auf das Strassenende hin.
Doch am frühen Sonntagmorgen war die Autobahn mit Schnee bedeckt, die Pfeile daher wohl nicht sichtbar. Im Einsatz war ein Ersatzbus von Flixbus – gut möglich, dass der italienische Chauffeur die Strecke nicht kannte. Hat er die Signale übersehen und ist deshalb in die Mauer gekracht?
Die Kantonspolizei Zürich klärt den Unfallhergang noch ab. Diese Analyse werde man abwarten und daraus entsprechende Schlüsse ziehen, so das Astra. Handlungsbedarf sehe man derzeit keinen: «Diese Stelle ist statistisch gesehen kein Unfallschwerpunkt», so Sprecher Stefan Hauser.
Den Stummel schon an der Verzweigung abzusperren, komme übrigens nicht in Frage. Polizei sowie Sanität nutzen den Teil, um im Notfall schnell auf die Gegenfahrbahn zu wechseln. Im Fall von Nicoletta N. konnte auch die schnell ausgerückte Ambulanz nicht mehr helfen.