«Alternatives Heilungskonzept» kostete Tina Turner fast das Leben
«Noch nie lag ich so falsch»

Tina Turner (78) wollte ihre Nieren mit Homöopathie heilen – und stand an der Schwelle des Todes. Die Organspende ihres Ehemannes rettete ihr das Leben. Dass die Rock-Legende öffentlich darüber spricht, könnte weitere Menschenleben retten.
Publiziert: 07.10.2018 um 17:44 Uhr
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Aktualisiert: 18.10.2018 um 19:51 Uhr
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Das erste Foto des neuen Glücks: Tina Turner und Erwin Bach 1986 in Los Angeles.
Foto: © AUTHOR‘S PERSONAL COLLECTION
Michael Sahli

Am Samstag machte BLICK öffentlich: Rock-'n'-Roll-Ikone Tina Turner (78) stand letztes Jahr an der Schwelle zum Tod. Oder wie es die Wahlschweizerin in ihrer Autobiografie, die am 15. Oktober erscheint, formuliert: «Ich sitze im Krankenhaus und versuche, nicht darauf zu achten, wie der Tod mir auf die Schulter klopft und raunt: ‹Tina ... Tina, jetzt bin ich da.›»

Damals hatte die Power-Lady bereits einen Schlaganfall hinter sich. Später kam die Diagnose: Darmkrebs. Dazu Bluthochdruck. Ihre Nieren schafften nur noch fünf Prozent der normalen Leistung. Die Musiklegende bereitete sich langsam auf das Sterben vor. «Glücklicherweise haben die Bürger der Schweiz die Möglichkeit des assistierten Suizids», blickt sie zurück. «Für den Fall der Fälle trat ich Exit bei.»

Die Liebe rettet Tina Turner das Leben

Es ist schliesslich die Liebe, die Turner das Leben rettet. Ehemann Erwin Bach (62) spendet ihr eine Niere – und schenkt seiner Frau so zusätzliche Jahre. Schon am Tag nach dem Eingriff am Universitätsspital Basel kann die Musikerin ihren Liebsten wieder in die Arme schliessen.

Dass es überhaupt so weit kam, lag an einer Entscheidung, die sie selber getroffen hatte. «Nach wie vor bekam ich Medikamente zur Kontrolle meines Bluthochdrucks. Ich war jedoch davon überzeugt, dass ich mich dadurch noch schlechter fühlte», erinnert sie sich. Mit der Zeit habe sie eine richtige Abneigung gegen die Pillen entwickelt: «Ich erinnerte mich an mein Lebensgefühl vor den Medikamenten, und ich wünschte mir, wieder so klarsichtig und energiegeladen wie damals zu sein. Als mir eine Freundin einen anderen Ansatz vorschlug und einen homöopathisch behandelnden Arzt in Frankreich empfahl, zögerte ich nicht lange.»

Niere sollte mit Kristallwasser geheilt werden

Sie habe ihre ganze Hoffnung in das «alternative Heilungskonzept» gesetzt: «Der Homöopath vermutete, mein Körper sei durch Gifte in Mitleidenschaft gezogen worden, die in den Trinkwasserleitungen des Château Algonquin freigesetzt wurden. Ich war also wild entschlossen, diesen neuen Ansatz zu verfolgen.» Kurz darauf begannen in der mondänen Villa am Zürichsee die Bauarbeiten. 

Alle Wasserleitungen wurden ausgewechselt. Dazu Geräte installiert, die das Wasser mit Kristallen reinigen sollen. Die Medikamente setzte sie ab. «Ich musste keine Tabletten mehr schlucken, sondern sollte unentwegt trinken, trinken, trinken, um mit dem speziell behandelten Wasser meinen Bluthochdruck zu bekämpfen. Tatsächlich fühlte ich mich nach einer Weile besser. Vielleicht war es ja Einbildung, aber ich glaubte daran, und Erwin erklärte ich meine damalige Überzeugung so, dass es schliesslich nicht schaden könne.» Heute sagt sie: «Noch nie lag ich so falsch.»

Die Folgen zeigten sich bereits beim nächsten Besuch eines regulären Arztes. «Als ich mich zu einer Routineuntersuchung einfand, wurde es kompliziert. Die letzten Tests lagen drei Monate zurück, und ich war gespannt, ob die homöopathischen Mittel meinen Blutdruck gesenkt und die Funktion meiner Nieren verbessert hatten. Da ich mich ausgesprochen gut fühlte, erwartete ich auch entsprechend gute Nachrichten», schreibt sie in ihrer Autobiografie. Stattdessen habe sie sofort gespürt, wie ihr der Doktor am liebsten gesagt hätte: «Das haben sie nun gründlich versaut!» Trocken resümiert die Rock-Lady: «Als Folge meiner Naivität waren wir an dem Punkt angelangt, wo es um Leben und Tod ging.»

Schritt an die Öffentlichkeit könnte Leben retten

Und weiter: «Unzählige Male stellte ich mir die Frage, warum ich nicht auf meine Ärzte gehört hatte. Wie war ich nur auf die Idee gekommen, über meine Behandlung allein zu entscheiden? Hätte ich gewusst, was für ein Wagnis ich eingehen würde, hätte ich mich nie auf die Alternativmedizin eingelassen. Damit will ich nichts gegen die Homöopathie sagen. Nach meiner Tuberkulose-Diagnose 1969 hatte die homöopathische Behandlung des damaligen Arztes wunderbar angeschlagen. Hätte ich doch bloss nicht die Medikamente abgesetzt! Hätte, hätte, hätte!»

Der legendären Lebensfreude der Power-Lady hat die Nahtod-Erfahrung keinen Abbruch getan, im Gegenteil: Nach so vielen Jahren der Krankheit habe sie die Freude, am Leben zu sein, neu entdeckt.

Dass Erwin Bachs Nierenspende nun publik wird, könnte weitere Menschenleben retten. Franz Immer (51), Direktor der nationalen Stiftung für Organspende und Transplantation Swisstransplant, sagt: «Sie bringt das Thema in den Fokus der Öffentlichkeit.» Er erwartet einen Anstieg der Anmeldungen im Organspenderegister: «Das Interesse an einer Organspende steigt sprunghaft an, wenn eine prominente Person in den Medien über das Thema spricht.»

«My Love Story»

Das Buch, aus dem BLICK exklusiv Auszüge veröffentlicht, erscheint in der deutschen Version offiziell am 15. Oktober. Geschrieben haben es US-Bestsellerautorin Deborah Davis und der renommierte deutsche Journalist und Buchautor Dominik Wichmann, der unter anderem Chefredaktor des «Süddeutschen Magazins» und des «Sterns» war. Sie arbeiteten eng mit Tina Turner zusammen, führten stundenlange Gespräche mit ihr und stellten eigene Recherchen an. Vor über 30 Jahren hatte die Pop-Queen bereits «Ich, Tina» veröffentlicht – warum also kurz vor dem 80. Geburtstag nochmals eine Biografie? «Ich habe seither so viel erlebt», sagt sie, «und manches konnte und wollte ich damals nicht erzählen.» 

Das Buch, aus dem BLICK exklusiv Auszüge veröffentlicht, erscheint in der deutschen Version offiziell am 15. Oktober. Geschrieben haben es US-Bestsellerautorin Deborah Davis und der renommierte deutsche Journalist und Buchautor Dominik Wichmann, der unter anderem Chefredaktor des «Süddeutschen Magazins» und des «Sterns» war. Sie arbeiteten eng mit Tina Turner zusammen, führten stundenlange Gespräche mit ihr und stellten eigene Recherchen an. Vor über 30 Jahren hatte die Pop-Queen bereits «Ich, Tina» veröffentlicht – warum also kurz vor dem 80. Geburtstag nochmals eine Biografie? «Ich habe seither so viel erlebt», sagt sie, «und manches konnte und wollte ich damals nicht erzählen.» 

 

Teil 1: Ein neues Leben von der Liebe ihres Lebens

«Willst du mich heiraten, Tina?» Das war der schlichte Satz, mit dem mir Erwin Bach, die Liebe meines Lebens  – der Mann, in den ich mich auf den ersten Blick verliebt hatte, bei dem mir schwindlig wurde, kaum dass  ich ihn erblickt hatte  –, einen Antrag machte. Sein Englisch klang ein bisschen unbeholfen – Erwin ist Deutscher, Englisch ist also eine Fremdsprache für ihn –, aber es gefiel mir. Er war wohl etwas überrascht, als ich ihm erklärte, dass ich auf seine Frage keine Antwort wüsste. Sie lautete weder «Ja» noch «Nein», so viel war klar.

All das geschah 1989, als wir drei Jahre zusammen waren. Ich steuerte auf meinen fünfzigsten Geburtstag zu, und Erwin, der dreiunddreissig war, meinte wohl, er müsste mir irgendwie beweisen, dass er sich mir verpflichtet fühlte. Das war ungeheuer lieb von ihm, aber mir gefiel unsere Beziehung so, wie sie war. Ausserdem hatte ich ein ambivalentes Verhältnis zur Ehe. Durch eine Hochzeit kann sich vieles ändern, und zwar, wie ich aus schmerzlicher Erfahrung wusste, nicht unbedingt immer zum Besseren.

«Wohin fahren wir, Liebling?»

Dreiundzwanzig Jahre später (so viel zu Verpflichtungen) machte mir Erwin erneut einen Antrag. Diesmal war alles perfekt geplant: Wir kreuzten im Jahr 2012 auf der Lady Marina, der Yacht unseres Freundes Sergio, mit einem Dutzend guter Freunde und Bekannter durchs Mittelmeer. Eigentlich hätte ich damals merken müssen, dass etwas im Busch war. Wir waren an einem hübschen Ort, aber Erwin fand die Umgebung noch nicht romantisch genug. Später erfuhr ich, dass er danach Sergio zurate gezogen hatte. Der hatte vorgeschlagen, zur griechischen Insel Skorpios zu fahren. Das sei der schönste Ort, den er kenne, für einen sehr romantischen Augenblick.

Als die Yacht an jenem Abend den Kurs änderte und unterwegs zu unserem neuen Ziel Geschwindigkeit aufnahm, fragte ich: «Wohin fahren wir, Liebling?» Erwin antwortete ausweichend, gab vor, es nicht zu wissen. Das allein war schon verdächtig, denn Erwin weiss immer alles. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, sah ich die zauberhafte Insel Skorpios vor mir, die früher einmal Aristoteles Onassis gehört hatte. Am Strand Jackies berühmtes Badehaus mit der blauen Tür.

Ja zur Liebe ihres Lebens

Wir verbrachten einen ziemlich faulen Tag auf der Yacht. Ich suchte mir einen Platz im Schatten, um meine Haut zu schonen, während die anderen in der Sonne brutzelten. Dann trennten wir uns, um uns zum Abendessen fertig zu machen. Als wir uns wieder zu den Cocktails trafen, fiel mir auf, dass die Männer alle Weiss trugen. Wie hübsch, dachte ich, sie sehen wirklich gut aus in ihren weissen Jeans und weissen Hemden. Die Frauen waren ebenfalls in wunderschöne Sommer-Outfits gekleidet. Ich hatte ein elegantes und leichtes Kleid aus schwarzem Leinen angezogen. Es war ein wunderbarer Abend in netter Gesellschaft. Eine sanfte Brise wehte, und am Himmel stand der Mond. Doch nach dem Essen änderte sich die Stimmung plötzlich, und es lag eine gewisse Erwartung, ja, Aufregung in der Luft. Was ging hier vor sich?

Ich bemerkte, dass alle Blicke auf Erwin gerichtet waren. Und dann kam er auf mich zu und ging vor mir in die Knie. In der ausgestreckten Hand hielt er eine kleine Schachtel. «Ich habe dich schon einmal gefragt, und nun frage ich dich noch einmal: Willst du mich heiraten, Tina?», diesmal in perfektem Englisch. Die Männer hatten – was mich wirklich wunderte – Tränen in den Augen, und die Frauen juchzten, als ich bewegt «Ja!» rief. Ich sagte Ja zu Erwin und Ja zur Liebe. Ja zur Liebe meines Lebens. Dieses Bekenntnis fiel mir nicht leicht. Schliesslich war ich inzwischen dreiundsiebzig und würde zum ersten Mal in meinem Leben Braut sein. Ja wirklich, zum ersten Mal. Ich heisse Tina Turner und war die Ehefrau von Ike Turner. Aber ich war niemals eine Braut.

(...)    

Schlaganfall, Darmkrebs, Nierenversagen

Zollikon in der Schweiz, zehn Autominuten von unserem Haus entfernt: Ich sitze im Krankenhaus in einem Dialysestuhl und versuche, nicht darauf zu achten, wie der Tod mir auf die Schulter klopft und raunt: «Tina … Tina, jetzt bin ich da.» Verzweifelt klammere ich mich an die Gesundheit oder an das, was davon übrig ist, wenn die Nierenfunktion nur noch fünf Prozent beträgt. Ich warte voller Ungeduld darauf, dass mein Körper wieder zu Kräften kommt, um das zu überstehen, was wohl meine einzige Rettung sein wird: die Nierentransplantation.

«Halt», wird jetzt mancher ratlos fragen. «Hattest du nicht einen Schlaganfall?»

Ach, meine Lieben, ich bin genauso durcheinander wie ihr. Seit meiner Hochzeit vor vier Jahren erlebte ich gesundheitlich ein derartiges Auf und Ab, dass nicht einmal ich selbst mich noch an die richtige Reihenfolge meiner medizinischen Katastrophen erinnere. Bluthochdruck. Schlaganfall. Darmkrebs. Nein! Falsch. Schlaganfall. Gleichgewichtsstörungen, dann Darmkrebs. Und jetzt Nierenversagen. Um zu überstehen, was mir auferlegt wurde, brauche ich mehr als die sprichwörtlichen neun Leben einer Katze.

Süsses vom Küsnachter Beck

Mehrmals pro Woche muss ich ins Krankenhaus gebracht werden. Erwin ist umsichtig und fürsorglich und hat es so eingerichtet, dass es jedes Mal nach dem gleichen Schema abläuft. An Dialysetagen parkt er immer zur genau gleichen Zeit vor dem Eingang von unserem Château Algonquin, sodass ich direkt von der Treppe ins Auto steigen kann. Gentleman, der er ist, hat er mir bereits die Tür geöffnet. Dann fahren wir zu einer kleinen Bäckerei in Küsnacht, ganz in der Nähe des Bahnhofs. Um nicht erkannt zu werden, bleibe ich im Auto sitzen, während Erwin hineinläuft und für uns eine Auswahl von süssem Gebäck besorgt, damit wir in den langen Stunden, die vor uns liegen, etwas Leckeres zu essen haben.

Versteckspiel im Spital

Die Fahrt zum Krankenhaus ist ein Versteckspiel. Aber irgendwie ist es uns gelungen, meine schwere Krankheit mehrere Jahre lang geheim zu halten. Wahrscheinlich vor allem deshalb, weil wir in der Schweiz leben, wo die Leute wesentlich mehr Respekt vor der Privatsphäre empfinden als in anderen Ländern. Ausserdem haben Erwin und ich ein präzises System ausgetüftelt, damit uns niemand erkennen kann, denn gerade in der Klinik hätten Paparazzi ein leichtes Spiel mit uns.

Kommen wir an, parkt Erwin am Hintereingang des Krankenhauses. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zur Dialysestation. Im Winter trage ich meist ein schwarzes Cape oder einen dicken Mantel, sodass mich der schwere Stoff schützt. Ein Hut mit breiter Krempe tut sein Übriges. Während wir die Gänge entlanggehen, schweigen Erwin und ich, um zu verhindern, dass jemand meine Stimme hört oder mitbekommt, dass ich Englisch spreche. Das würde unnötig die Aufmerksamkeit auf mich lenken.

(...)

Tina Turner tritt Exit bei

Der Tod an sich machte mir keine Angst – auf das Leben danach war ich schon immer neugierig gewesen. Mehr Sorgen bereitete mir das eigentliche Sterben. Glücklicherweise haben die Bürger der Schweiz die rechtlich abgesicherte Möglichkeit des assistierten Suizids, also der Beihilfe zur Selbsttötung. Ein Arzt kann einem Patienten, dem er zuvor geistige Gesundheit bescheinigt hat, bei unerträglichem Leid ein Gift verschreiben. Allerdings muss es sich der Patient eigenhändig zuführen. Wie man mir geschildert hatte, gibt es die Möglichkeit einer Injektion, man kann aber auch eine Flüssigkeit trinken, um auf diese Weise in eine andere Dimension zu wechseln und dort ein paar Dinge zu entdecken. Mir erschien das als ein vergleichsweise schmerzloser Weg zur Lösung eines schmerzlichen Problems. Es existieren auch einige Organisationen, die einem dabei helfen, zum Beispiel Exit und Dignitas.

Für den Fall der Fälle trat ich dem Verein Exit bei.

«Liebster, tu es nicht!»

Das war der Moment, in dem Erwin verstand, wie realistisch die Möglichkeit meines Todes war. Tief bewegt erklärte er mir, dass er mich nicht verlieren wolle, dass ich nicht gehen dürfe. Er wolle kein anderes Leben als dieses, auch keine andere Frau. Wir seien doch glücklich zusammen, und er würde alles tun, damit es so bleibe.

Erwin schlug vor, mir eine seiner Nieren zu spenden.

Zuerst konnte ich es kaum glauben. Und es gibt Momente, da glaube ich es immer noch nicht. Die Tragweite seines Angebots überwältigte mich. Weil ich ihn liebte, versuchte ich zunächst, ihm diesen schwerwiegenden und unumkehrbaren Schritt auszureden. Er war noch jung. Warum sollte er ein solches Risiko eingehen, nur um mir, einer deutlich älteren Frau, ein paar zusätzliche Jahre zu schenken? Er wusste, auch mit nur einer Niere konnte man gut leben. Anders aber wäre es, wenn ihm etwas zustiesse. Oder wenn er selbst irgendwann Probleme mit seiner Niere bekäme. «Liebster, du bist noch jung. Tu es nicht! Mach dir nicht dein Leben kaputt! Denk an deine eigene Zukunft», bat ich ihn.

Aber Erwin hatte seinen Entschluss gefasst. Dachte er an seine Zukunft, dachte er an mich, und das sagte er mir auch. Ausserdem kam ihm gar nicht in den Sinn, dass er selbst womöglich irgendwann eine zweite Niere brauchen würde. Er glaubte an die Kraft des Gebens. «Gib, und dir wird gegeben», sagte er, überzeugt, dass das Universum ihn behüten würde.

(...)

Operation in Basel

Wir überlegten uns sehr genau, in welchem Schweizer Krankenhaus wir diesen Eingriff vornehmen lassen wollten, denn zur Auswahl standen verschiedene renommierte Kliniken. Weil es uns von Freunden und verlässlichen Experten empfohlen worden war, entschieden wir uns letztlich für das Universitätsspital Basel. Zudem hatte ich mich dort sofort gut aufgehoben gefühlt, als ich es zum ersten Mal besuchte. Die Mitarbeiter waren sympathisch, jeder wirkte ausgesprochen professionell, und wir hatten viel Vertrauen in die für uns verantwortlichen Ärzte.

(...)

Als Nächstes erinnere ich mich, wie die Schwestern meinen Namen riefen, um mich aufzuwecken. Mir schien, als läge ich noch in der gleichen Position wie beim Einschlafen, doch inzwischen waren Stunden vergangen. Man sagte mir, die Operation sei vorüber und die Ärzte seien sehr zufrieden. Ich war so erschöpft, dass mir die Umgebung – das Licht, die Geräusche, die Gesprächsfetzen, die herum eilenden Ärzte und Schwestern – wie in einem Traum erschienen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass ich auf der Intensivstation lag, umgeben von Hunderten von Geräten. So kam es mir jedenfalls vor. Mein neues Leben hatte begonnen, mein neues Leben mit einer gesunden Niere.

Zwei Menschen im Glück

Schon einen Tag später ging es mir deutlich besser. Ich war ungeheuer froh, die Operation überstanden zu haben, und als ich versuchsweise meine Finger und Zehen bewegte, war ich schon wieder ganz guter Dinge. Am schönsten aber war der Moment, als Erwin in einem Rollstuhl in mein Zimmer geschoben wurde. Welch wunderbarer Anblick! Irgendwie war es ihm gelungen, gut, ja sogar attraktiv auszusehen, als er mich mit den Worten «Hallo, Liebste» begrüsste. Ich konnte mein Glück kaum fassen, dass wir beide den Eingriff lebend überstanden hatten.

«Willst du mich heiraten, Tina?» Das war der schlichte Satz, mit dem mir Erwin Bach, die Liebe meines Lebens  – der Mann, in den ich mich auf den ersten Blick verliebt hatte, bei dem mir schwindlig wurde, kaum dass  ich ihn erblickt hatte  –, einen Antrag machte. Sein Englisch klang ein bisschen unbeholfen – Erwin ist Deutscher, Englisch ist also eine Fremdsprache für ihn –, aber es gefiel mir. Er war wohl etwas überrascht, als ich ihm erklärte, dass ich auf seine Frage keine Antwort wüsste. Sie lautete weder «Ja» noch «Nein», so viel war klar.

All das geschah 1989, als wir drei Jahre zusammen waren. Ich steuerte auf meinen fünfzigsten Geburtstag zu, und Erwin, der dreiunddreissig war, meinte wohl, er müsste mir irgendwie beweisen, dass er sich mir verpflichtet fühlte. Das war ungeheuer lieb von ihm, aber mir gefiel unsere Beziehung so, wie sie war. Ausserdem hatte ich ein ambivalentes Verhältnis zur Ehe. Durch eine Hochzeit kann sich vieles ändern, und zwar, wie ich aus schmerzlicher Erfahrung wusste, nicht unbedingt immer zum Besseren.

«Wohin fahren wir, Liebling?»

Dreiundzwanzig Jahre später (so viel zu Verpflichtungen) machte mir Erwin erneut einen Antrag. Diesmal war alles perfekt geplant: Wir kreuzten im Jahr 2012 auf der Lady Marina, der Yacht unseres Freundes Sergio, mit einem Dutzend guter Freunde und Bekannter durchs Mittelmeer. Eigentlich hätte ich damals merken müssen, dass etwas im Busch war. Wir waren an einem hübschen Ort, aber Erwin fand die Umgebung noch nicht romantisch genug. Später erfuhr ich, dass er danach Sergio zurate gezogen hatte. Der hatte vorgeschlagen, zur griechischen Insel Skorpios zu fahren. Das sei der schönste Ort, den er kenne, für einen sehr romantischen Augenblick.

Als die Yacht an jenem Abend den Kurs änderte und unterwegs zu unserem neuen Ziel Geschwindigkeit aufnahm, fragte ich: «Wohin fahren wir, Liebling?» Erwin antwortete ausweichend, gab vor, es nicht zu wissen. Das allein war schon verdächtig, denn Erwin weiss immer alles. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, sah ich die zauberhafte Insel Skorpios vor mir, die früher einmal Aristoteles Onassis gehört hatte. Am Strand Jackies berühmtes Badehaus mit der blauen Tür.

Ja zur Liebe ihres Lebens

Wir verbrachten einen ziemlich faulen Tag auf der Yacht. Ich suchte mir einen Platz im Schatten, um meine Haut zu schonen, während die anderen in der Sonne brutzelten. Dann trennten wir uns, um uns zum Abendessen fertig zu machen. Als wir uns wieder zu den Cocktails trafen, fiel mir auf, dass die Männer alle Weiss trugen. Wie hübsch, dachte ich, sie sehen wirklich gut aus in ihren weissen Jeans und weissen Hemden. Die Frauen waren ebenfalls in wunderschöne Sommer-Outfits gekleidet. Ich hatte ein elegantes und leichtes Kleid aus schwarzem Leinen angezogen. Es war ein wunderbarer Abend in netter Gesellschaft. Eine sanfte Brise wehte, und am Himmel stand der Mond. Doch nach dem Essen änderte sich die Stimmung plötzlich, und es lag eine gewisse Erwartung, ja, Aufregung in der Luft. Was ging hier vor sich?

Ich bemerkte, dass alle Blicke auf Erwin gerichtet waren. Und dann kam er auf mich zu und ging vor mir in die Knie. In der ausgestreckten Hand hielt er eine kleine Schachtel. «Ich habe dich schon einmal gefragt, und nun frage ich dich noch einmal: Willst du mich heiraten, Tina?», diesmal in perfektem Englisch. Die Männer hatten – was mich wirklich wunderte – Tränen in den Augen, und die Frauen juchzten, als ich bewegt «Ja!» rief. Ich sagte Ja zu Erwin und Ja zur Liebe. Ja zur Liebe meines Lebens. Dieses Bekenntnis fiel mir nicht leicht. Schliesslich war ich inzwischen dreiundsiebzig und würde zum ersten Mal in meinem Leben Braut sein. Ja wirklich, zum ersten Mal. Ich heisse Tina Turner und war die Ehefrau von Ike Turner. Aber ich war niemals eine Braut.

(...)    

Schlaganfall, Darmkrebs, Nierenversagen

Zollikon in der Schweiz, zehn Autominuten von unserem Haus entfernt: Ich sitze im Krankenhaus in einem Dialysestuhl und versuche, nicht darauf zu achten, wie der Tod mir auf die Schulter klopft und raunt: «Tina … Tina, jetzt bin ich da.» Verzweifelt klammere ich mich an die Gesundheit oder an das, was davon übrig ist, wenn die Nierenfunktion nur noch fünf Prozent beträgt. Ich warte voller Ungeduld darauf, dass mein Körper wieder zu Kräften kommt, um das zu überstehen, was wohl meine einzige Rettung sein wird: die Nierentransplantation.

«Halt», wird jetzt mancher ratlos fragen. «Hattest du nicht einen Schlaganfall?»

Ach, meine Lieben, ich bin genauso durcheinander wie ihr. Seit meiner Hochzeit vor vier Jahren erlebte ich gesundheitlich ein derartiges Auf und Ab, dass nicht einmal ich selbst mich noch an die richtige Reihenfolge meiner medizinischen Katastrophen erinnere. Bluthochdruck. Schlaganfall. Darmkrebs. Nein! Falsch. Schlaganfall. Gleichgewichtsstörungen, dann Darmkrebs. Und jetzt Nierenversagen. Um zu überstehen, was mir auferlegt wurde, brauche ich mehr als die sprichwörtlichen neun Leben einer Katze.

Süsses vom Küsnachter Beck

Mehrmals pro Woche muss ich ins Krankenhaus gebracht werden. Erwin ist umsichtig und fürsorglich und hat es so eingerichtet, dass es jedes Mal nach dem gleichen Schema abläuft. An Dialysetagen parkt er immer zur genau gleichen Zeit vor dem Eingang von unserem Château Algonquin, sodass ich direkt von der Treppe ins Auto steigen kann. Gentleman, der er ist, hat er mir bereits die Tür geöffnet. Dann fahren wir zu einer kleinen Bäckerei in Küsnacht, ganz in der Nähe des Bahnhofs. Um nicht erkannt zu werden, bleibe ich im Auto sitzen, während Erwin hineinläuft und für uns eine Auswahl von süssem Gebäck besorgt, damit wir in den langen Stunden, die vor uns liegen, etwas Leckeres zu essen haben.

Versteckspiel im Spital

Die Fahrt zum Krankenhaus ist ein Versteckspiel. Aber irgendwie ist es uns gelungen, meine schwere Krankheit mehrere Jahre lang geheim zu halten. Wahrscheinlich vor allem deshalb, weil wir in der Schweiz leben, wo die Leute wesentlich mehr Respekt vor der Privatsphäre empfinden als in anderen Ländern. Ausserdem haben Erwin und ich ein präzises System ausgetüftelt, damit uns niemand erkennen kann, denn gerade in der Klinik hätten Paparazzi ein leichtes Spiel mit uns.

Kommen wir an, parkt Erwin am Hintereingang des Krankenhauses. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zur Dialysestation. Im Winter trage ich meist ein schwarzes Cape oder einen dicken Mantel, sodass mich der schwere Stoff schützt. Ein Hut mit breiter Krempe tut sein Übriges. Während wir die Gänge entlanggehen, schweigen Erwin und ich, um zu verhindern, dass jemand meine Stimme hört oder mitbekommt, dass ich Englisch spreche. Das würde unnötig die Aufmerksamkeit auf mich lenken.

(...)

Tina Turner tritt Exit bei

Der Tod an sich machte mir keine Angst – auf das Leben danach war ich schon immer neugierig gewesen. Mehr Sorgen bereitete mir das eigentliche Sterben. Glücklicherweise haben die Bürger der Schweiz die rechtlich abgesicherte Möglichkeit des assistierten Suizids, also der Beihilfe zur Selbsttötung. Ein Arzt kann einem Patienten, dem er zuvor geistige Gesundheit bescheinigt hat, bei unerträglichem Leid ein Gift verschreiben. Allerdings muss es sich der Patient eigenhändig zuführen. Wie man mir geschildert hatte, gibt es die Möglichkeit einer Injektion, man kann aber auch eine Flüssigkeit trinken, um auf diese Weise in eine andere Dimension zu wechseln und dort ein paar Dinge zu entdecken. Mir erschien das als ein vergleichsweise schmerzloser Weg zur Lösung eines schmerzlichen Problems. Es existieren auch einige Organisationen, die einem dabei helfen, zum Beispiel Exit und Dignitas.

Für den Fall der Fälle trat ich dem Verein Exit bei.

«Liebster, tu es nicht!»

Das war der Moment, in dem Erwin verstand, wie realistisch die Möglichkeit meines Todes war. Tief bewegt erklärte er mir, dass er mich nicht verlieren wolle, dass ich nicht gehen dürfe. Er wolle kein anderes Leben als dieses, auch keine andere Frau. Wir seien doch glücklich zusammen, und er würde alles tun, damit es so bleibe.

Erwin schlug vor, mir eine seiner Nieren zu spenden.

Zuerst konnte ich es kaum glauben. Und es gibt Momente, da glaube ich es immer noch nicht. Die Tragweite seines Angebots überwältigte mich. Weil ich ihn liebte, versuchte ich zunächst, ihm diesen schwerwiegenden und unumkehrbaren Schritt auszureden. Er war noch jung. Warum sollte er ein solches Risiko eingehen, nur um mir, einer deutlich älteren Frau, ein paar zusätzliche Jahre zu schenken? Er wusste, auch mit nur einer Niere konnte man gut leben. Anders aber wäre es, wenn ihm etwas zustiesse. Oder wenn er selbst irgendwann Probleme mit seiner Niere bekäme. «Liebster, du bist noch jung. Tu es nicht! Mach dir nicht dein Leben kaputt! Denk an deine eigene Zukunft», bat ich ihn.

Aber Erwin hatte seinen Entschluss gefasst. Dachte er an seine Zukunft, dachte er an mich, und das sagte er mir auch. Ausserdem kam ihm gar nicht in den Sinn, dass er selbst womöglich irgendwann eine zweite Niere brauchen würde. Er glaubte an die Kraft des Gebens. «Gib, und dir wird gegeben», sagte er, überzeugt, dass das Universum ihn behüten würde.

(...)

Operation in Basel

Wir überlegten uns sehr genau, in welchem Schweizer Krankenhaus wir diesen Eingriff vornehmen lassen wollten, denn zur Auswahl standen verschiedene renommierte Kliniken. Weil es uns von Freunden und verlässlichen Experten empfohlen worden war, entschieden wir uns letztlich für das Universitätsspital Basel. Zudem hatte ich mich dort sofort gut aufgehoben gefühlt, als ich es zum ersten Mal besuchte. Die Mitarbeiter waren sympathisch, jeder wirkte ausgesprochen professionell, und wir hatten viel Vertrauen in die für uns verantwortlichen Ärzte.

(...)

Als Nächstes erinnere ich mich, wie die Schwestern meinen Namen riefen, um mich aufzuwecken. Mir schien, als läge ich noch in der gleichen Position wie beim Einschlafen, doch inzwischen waren Stunden vergangen. Man sagte mir, die Operation sei vorüber und die Ärzte seien sehr zufrieden. Ich war so erschöpft, dass mir die Umgebung – das Licht, die Geräusche, die Gesprächsfetzen, die herum eilenden Ärzte und Schwestern – wie in einem Traum erschienen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass ich auf der Intensivstation lag, umgeben von Hunderten von Geräten. So kam es mir jedenfalls vor. Mein neues Leben hatte begonnen, mein neues Leben mit einer gesunden Niere.

Zwei Menschen im Glück

Schon einen Tag später ging es mir deutlich besser. Ich war ungeheuer froh, die Operation überstanden zu haben, und als ich versuchsweise meine Finger und Zehen bewegte, war ich schon wieder ganz guter Dinge. Am schönsten aber war der Moment, als Erwin in einem Rollstuhl in mein Zimmer geschoben wurde. Welch wunderbarer Anblick! Irgendwie war es ihm gelungen, gut, ja sogar attraktiv auszusehen, als er mich mit den Worten «Hallo, Liebste» begrüsste. Ich konnte mein Glück kaum fassen, dass wir beide den Eingriff lebend überstanden hatten.

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