Die Bars Viele der gängigen Bars gibt es heute nicht mehr. Berühmt war die Malatesta am Hirschenplatz. Treffpunkt von Medienleuten, Schriftstellern wie Peter Bichsel und Hugo Lötscher und auch hitzköpfigen Revoluzzern. Heute heisst die in zartem Rosarot gestrichene Bar Liguria. Oder die etwas zwielichtige Cintra-Bar (heute Tre Cucine). Für Schlägereien ging man vor die Tür, danach kühlte man sich bei einem Drink wieder ab.
Wer erinnert sich noch an die Hudli-Beiz (Oliver Twist Pub)? Treffpunkt von Zuhältern, Knastis und Tresorknackern. An guten Abenden sassen dort so um die zweihundert Jahre Zuchthaus zusammen. Die Zuhälter fuhren in grossen Amerikaner-Schlitten vor, auf den Türen ihr Monogramm in Goldschrift. Prickelnd ging es im Carrousel zu. Der Renner war «Postillon d’amour». Auf jedem Tisch ein Telefon, damals noch mit Kabel. Gefiel einem eine Dame am Nebentisch, rief man sie an und mit Glück kam man so zu einem netten Schatz.
Jährlicher Höhepunkt war der Barmännerlauf. Offiziell der Grand Prix des Garçons. Die Konkurrenten liefen im Berufstenü mit Getränken auf dem Tablett über Hindernisse. Wer nach 1,5 Kilometern am wenigsten verschüttet hatte, war Pokalsieger.
Der Dirnenwürger Die grausame Attacke des gefürchtetsten Frauenmörders erschütterte das Milieu im Dörfli. In einer Nacht schlug der Amokläufer gleich drei Mal zu. Erst erwürgte er die Dirne «Cadillac-Erika», danach die «Schöne Maria». Eine dritte Prostituierte kam nur knapp mit dem Leben davon. Der Mörder bekam 16 Jahre. In Halbfreiheit erwürgte er wieder eine Dirne, in Olten SO. Er starb im Zuchthaus an Hirnblutung.
Damals war das Niederdorf noch ein attraktiver Platz für käufliche Damen. Limmatquai, Zähringerstrasse und Hirschenplatz waren die heissen Standorte des horizontalen Gewerbes. Und die Damen sprachen meist noch Schweizerdeutsch.
Die Rache der Barmänner
In den Sechzigern galt noch die Polizeistunde. Um 00.30 Uhr war Schluss. Rockerbanden lauerten den Barmännern auf dem Heimweg auf und raubten sie aus. Der ganze Tagesverdienst war weg. Die Zürcher Stadtpolizei war in diesen Fällen nicht sehr effizient.
Da handelten die Jungs hinter der Bar selbst. Sie machten den Unterschlupf der Rocker ausfindig. In einem Taxikonvoi fuhren sie hin und stürmten die Bude. Mit Ketten und Drahtruten bewaffnet, jagten sie die schweren Jungs auf die Strasse. Dort mussten die Rocker ihre Klamotten bis auf die Unterhosen ausziehen. Der Haufen wurde angezündet und die Bande musste wie Indianer um das Feuer tanzen. Danach wurde kein Barmann mehr auf dem Nachhauseweg überfallen.
Die meisten Serviceleute sind heute pensioniert. Doch in der Gräbli-Bar trifft man noch Barmaid Irmgard (65). Seit 1967 steht sie hinter dem Tresen. Über ihre Erlebnisse in dieser langen Zeit redet sie nur ungern. Einmal seien ihr von einem durchgedrehten Gast die Kleider vom Leib gerissen worden. Dann hätte er versucht, ihr das Portemonnaie zu stehlen. Andere Gäste konnten den Rabauken schliesslich beruhigen.
An den Showstar Bill Ramsey erinnert sie sich noch gut: «Der Geizkragen hat nicht mal Trinkgeld gegeben.»
Eigentlich hat sie nur nette Gäste, sagt sie. An einem Silvester habe ihr ein Unbekannter einfach so 200 Franken zugesteckt.
Polizeistunde Der Tarif war klar: Um Mitternacht wurde die Polizeistunde ausgerufen. Höchste Zeit für die letzte Bestellung. Um 00.15 Uhr hiess es bezahlen und um 00.30 Uhr forderte der Beizer ultimativ zum Verlassen des Lokals auf. Polizeistreifen machten häufig die Runde und kontrollierten die Einhaltung der Polizeistunde.
Wo ging man dann hin, wenn man keine Lust auf den Heimweg hatte? Notlösung Bäckerei! «Komm, gehen wir Gipfeli kaufen», galt unter Insidern. Zum Beispiel in die Marktgasse. Beim Beck in den Lieferanten-Eingang, runter in die Backstube. Für einen «Schnägg» (5 Franken) gabs gut gestampften Kafi fertig. Natürlich musste man noch ein Gipfeli kaufen.
Würstlistand Wie sich die Zeiten im Niederdorf geändert haben, sieht man zum Beispiel an den verschwundenen Würstliständen. Meist waren es kleine, enge Ecken, Man nahm ein Wienerli mit Bürli, ein Bier und machte einen kurzen Schwatz mit dem Verkäufer. Es gibt sie noch, nur heissen sie heute Kebap-Stand oder Take-Away.
So viel Urchiges und Originelles ist aus dem einmaligen Dörfli verschwunden. Aber einer hat bis heute durchgehalten: Frankie. Ein Besuch beim Theater-Coiffeur am Rindermarkt lohnt sich immer. Wenns nur für ein kleines Bier ist, das er jedem Gast anbietet.