Sie führen ein Leben im Verborgenen: Sans-Papiers. Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung. Geschätzte 100’000 leben hierzulande. Als erste Stadt in der Schweiz will Zürich nun ihre Situation verbessern: mit der Züri City Card, einem amtlichen Ausweis. Dieser soll die Identität und den Wohnsitz aller Stadtzürcher bestätigen – auch der Papierlosen. Am 15. Mai stimmt Zürich darüber ab. Auch in den Städten Bern, Basel, Lausanne VD, Winterthur ZH, St. Gallen, Freiburg, Biel BE und La Chaux-de-Fonds NE ist das Modell Thema.
Nun schalten sich acht ehemalige Politiker mit einem offenen Brief ein, der Blick exklusiv vorliegt. Darunter Politgrössen wie die alt Bundesräte Ruth Dreifuss (82) und Moritz Leuenberger (75) sowie der alt Regierungsrat Markus Notter (61). Sie schreiben: Schon einmal habe die Stadt Zürich mit der Neujustierung der Drogenpolitik Veränderungen angestossen, die europaweit Nachahmung fanden. Und so bis heute viel Elend verhindert. Ihr Fazit: «Auch die Züri City Card hat das Potenzial, die Situation von Sans-Papiers nachhaltig zu verbessern.»
Sie könnten sich mit ihr gegenüber Stadtbehörden wie der Stadtpolizei ausweisen. Auf ihr sollen auch alle städtischen Karten wie Badi-Abos gebündelt werden. Die Idee: Je mehr Menschen den Ausweis nutzen, desto weniger fallen die Sans-Papiers darunter auf. Ein bürgerliches Nein-Komitee hält dagegen: Ein lokaler Ausweis erwecke den Anschein einer rechtskonformen Aufenthaltssituation von Sans-Papiers.
Das sieht Maria T.* (45) anders. Sie gehört zum Betroffenen-Komitee www.wir-sans-papiers.ch. Und sagt: «Die City Card ist das Minimum, das man für Sans-Papiers tun kann.» Sie erleichtere ihnen das Leben. Würden sie heute zum Beispiel Zeugen eines Unfalls, können sie ihre Identität der Polizei gegenüber nicht ausweisen, ohne entdeckt zu werden – und riskieren die Ausschaffung.
Maria erzählt aus ihrem Leben:
«Ich bin vor 25 Jahren aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Schweiz gekommen. Die Aufenthaltsbewilligung erhielt ich durch die Heirat mit meinem Ex-Mann, verlor sie mit der Scheidung 2019. Und mit ihr meinen Job, mein altes Leben. Ich habe in der Schweiz eine KV-Ausbildung gemacht. Doch nun arbeite ich teils in einem Restaurant und teils als Putzkraft in Haushalten. Aber ich bin super froh um die Jobs. Das Geld ist knapp. Ich lebe von etwa 2500 Franken pro Monat. Von diesem Geld zahle ich ein WG-Zimmer und Krankenkasse, danach bleiben noch ein paar Hundert Franken übrig. Hinzu kam noch die Pandemie. Ich war verzweifelt. Die Impfung nützte mir wenig. Ohne Ausweis kam man trotz Zertifikat ja nirgends mehr rein. Ich konnte nichts mehr trinken gehen, war komplett von der Gesellschaft ausgeschlossen. Ein anderes Problem: Ich kann nicht ohne weiteres einen eingeschriebenen Brief auf der Post abholen. Mein Pass ist abgelaufen, das Foto uralt. Jedes Mal muss ich die Postangestellten am Schalter davon überzeugen, dass ich das bin. Mit der City Card hätte ich endlich einen Ausweis.»
*Name geändert