Clemens S.* (27) ist kein unbeschriebenes Blatt. Der deutsche Hilfsarbeiter ging mit fünf Kollegen auf einen Mann los. Trotz einer Verurteilung wegen Angriffs und einer Strafe mit acht Monaten Knast bedingt, kann der vorbestrafte Deutsche nicht ausgeschafft werden. Das Zürcher Obergericht wertet das Freizügigkeitsabkommen bindender als die Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative.
«Eine Landesverweisung des Beschuldigten ist mit dem Freizügigkeitsabkommen nicht vereinbar», schreibt das Zürcher Obergericht in seinem Urteil vom 22. August. Dabei stützt es sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts. Bei Clemens S. liege keine hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung vor.
Fall scheint klar
Dabei schien alles klar. Bei der Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative wurden sogenannte Katalogtaten definiert, die zwingend zu einer Landesverweisung führen müssen. Dabei ist auch ein «Angriff» aufgeführt.
Im vorliegenden Fall wollte Clemens S. für 200 Franken einem Mann eine Lektion erteilen. Dabei verpasste er dem Opfer mehrere Ohrfeigen. Das Bezirksgericht Winterthur verurteilte den bereits vorbestraften Deutschen und sprach eine fünfjährige Landesverweisung aus.
Denn: Clemens S. war 2013 unter anderem wegen Besitz eines Schlagrings verurteilt worden. Drei Jahre zuvor hatte er während eines Streits einem Widersacher die Faust ins Gesicht geschlagen.
Das Arbeiten hat der Deutsche offenbar nicht erfunden – er lebt von Zuwendungen seiner Eltern und der Grossmutter.
Deutscher wollte Schweiz nicht verlassen
Die Richter hielten fest, «dass der Beschuldigte offenbar nur wenig Respekt vor der körperlichen Integrität anderer Personen zeigt».
Der Deutsche akzeptierte die Strafe, jedoch nicht die Landesverweisung – und das Obergericht gab ihm nun recht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verlange, dass Beschränkungen der Freizügigkeitsrechte nur mit grosser Zurückhaltung anzuwenden seien.
Die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft will das Verdikt trotzdem vom Bundesgericht überprüfen lassen. «Wir möchten wissen, welches Recht vorgeht, wenn der Gesetzgeber ein neues Bundesgesetz im Widerspruch zu einer älteren Völkerrechtsnorm beschliesst», so die Medienbeauftragte Corinne Bouvard.
SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt zeigt sich ernüchtert: «Bei der Durchsetzungs-Initiative sagte man uns, es gebe ein pfefferscharfes Umsetzungsgesetz für Ausschaffungen. Dieser Fall zeigt nun, dass bei EU-Angehörigen daraus gerade mal ein leicht gesalzenes Süppchen geworden ist.»
*Name der Redaktion bekannt
Korrigendum: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir im Übertitel fälschlicherweise «Durchsetzungs-Initiative» geschrieben. Natürlich ist «Ausschaffungs-Initiative» korrekt. Wir bitten um Entschuldigung.