Nicht weniger als 242 Kilogramm brachte Anna Masi auf die Waage. Keine Diät konnte ihr mehr helfen. Sie fühlte sich elend, sogar das Laufen bereitete ihr Schmerzen: Die Waadtländerin war auf dem besten Weg, sich zu Tode zu essen. Da entschied sie sich für einen Magen-Bypass: «Die Operation veränderte und rettete mein Leben», sagt die gelernte Modestylistin in ihrer Wohnung in Paudex VD und lacht. 144 Kilo hat Masi abgenommen, heute wiegt sie noch 98 Kilo.
Ein kleiner Salat macht sie satt.
Operationen zur Gewichtsabnahme liegen im Trend. In den letzten Jahren hat die Zahl der Eingriffe in der Schweiz massiv zugenommen (s. Tabelle). Im Berner Inselspital legen sich 2011 mehr als doppelt so viele Übergewichtige unters Messer wie 2010. Am Adipositas-Zentrum in Luzern gab es einen Zuwachs von 66 Prozent.
Das Lausanner Universitätsspital (CHUV) musste sogar schon Patienten abweisen. «Allein in den letzten zwei Jahren stieg die Nachfrage bei uns um 35 Prozent, wir können nicht mehr alle Patienten annehmen», sagt Vittorio Giusti vom CHUV. 500 Anfragen hatte das Unispital in diesem Jahr, Kapazitäten gibts aber nur für 350 Fettleibige. Die meisten Patienten werden für die OP auf andere Westschweizer Spitäler verteilt.
Jetzt will das CHUV die Zahl der Spezialisten verdoppeln und ein Kompetenzzentrum für die Westschweiz aufbauen. Auch andere Spitäler wollen bei Personal und Sprechstunden aufrüsten.
Wer heute einen Besprechungstermin will, muss mit bis zu vier Monaten Wartezeit rechnen.
Grund für den plötzlichen Boom: «Seit 1. Januar werden die OPs von der Krankenkasse bezahlt, wenn die Patienten einen Body-Mass-Index von über 35 aufweisen», sagt Heinrich von Grünigen von der Schweizerischen Adipositas-Stiftung. Bisher lag die Grenze bei 40. Beispiel: Ein Mann mit 1,80 Meter Grösse und 115 Kilo Gewicht hat einen BMI von 35. Die Zahl der OPs steigt aber auch, weil sie wirklich helfen – und weil die Zahl der Übergewichtigen steigt.
«In der Gesellschaft und bei den Medizinern wird Übergewicht zunehmend als Erkrankung der Hormone anerkannt», sagt Martin Sykora, Leitender Arzt Viszeralchirurgie am Luzerner Kantonsspital. «Deshalb nehmen auch die Zuweisungen durch den Hausarzt zu.»
Eine Magen-Bypass-Operation kostet mit Vor- und Nachbetreuung rund 30 000 Franken. «Die neue Regelung kostet die Krankenkassen kurzfristig mehr, langfristig aber sparen sie Geld», sagt von Grünigen. «Denn die gesundheitlichen Folgen der Fettsucht sind schwer: Diabetes, höheres Krebsrisiko, Herz-Kreislauf-Erkrankungen.»
Einfach ist der Kampf gegen die Kilos nicht: In der Schweiz wie in ganz Europa fehlen erfahrene und qualifizierte Ärzte. «Adipositas gehört heute immer noch nicht zum Lehrstoff im Medizinstudium», sagt Renward S. Hauser. Er ist Vizepräsident des Vereins Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders (SMOB). «Auch den meisten Psychiatern, Ernährungsberatern oder Endokrinologen fehlt die Erfahrung im Umgang mit Übergewichtigen.»
«Ich litt an Depressionen»
Anna Masi liess sich ihren Bypass 2001 legen. Damals waren Fettleibigkeit-OPs selten: «Es gab im Universitätsspital nur Waagen, die bis 120 Kilo anzeigten. Um mich zu wiegen, musste ich mich auf die Lebensmittelwaage vor der Küche stellen.» Ein traumatisches Erlebnis. Masi: «Das Küchenpersonal schaute zu. Ich schämte mich abgrundtief.»
Nach der Operation litt sie noch mehr: «Da die Nahrung nicht mehr den Magen passiert, nimmt der Körper weniger Nährstoffe auf. Ich bin in ein Loch gefallen, fühlte mich schlapp und litt unter Depressionen», sagt Masi. Halt fand sie bei ihrer Familie. «Es ist wichtig, jemanden zu haben, der einen in dieser Zeit unterstützt.»
Der Gewichtsabnahme folgten die rekonstruktiven Operationen. Masi: «An Armen, Beinen und am Bauch mussten Hautlappen entfernt werden. Mein Nabel wurde neu geformt und gesetzt. Die Eingriffe sind schmerzhaft und dürfen nicht unterschätzt werden.» Trotz aller Härten bereut sie die Operation nicht. «Ich würde es wieder tun. Mein Leben wurde wieder richtig lebenswert.»
Damit sich andere Patienten gut vorbereiten können, gibt Masi ihre Erfahrungen am Unispital Lausanne weiter. «Da in der Westschweiz die Experten und Fachkräfte fehlen, gleichzeitig die Zahl der fettleibigen Menschen steigt, ist das für mich selbstverständlich.» Vor allem Menschen, die auf ihre Behandlung warten müssen, brauchen Unterstützung: «Es ist ein Teufelskreis. Die Betroffenen wollen abnehmen, schaffen es sogar auf eigene Faust, 30 Kilo abzuspecken und freuen sich auf die OP. Doch dann werden sie auf die Warteliste gesetzt.
Oft erleiden sie einen Rückfall. Sie essen sich die Kilos wieder an, meistens sogar mehr», sagt Masi. Mit diesen Menschen arbeitet sie. Zeigt Wege auf, den Mut nicht zu verlieren. «Obwohl Fettleibigkeit so verbreitet ist, vor allem unter Jugendlichen, ist es ein Stigma. Die «Fetten» werden ausgegrenzt. Dabei wäre eine öffentliche Diskussion hilfreicher. Diese Leute sind nicht fettleibig, weil sie masslos sind. Sie haben eine Krankheit, und die muss respektiert und behandelt werden», sagt Masi.
Eine Operation, so Heinrich von Grünigen, ist dann «die einzige Methode, die nachhaltig etwas bewirkt und auf Dauer Gewichtsstabilität bringt». Der Präsident der Schweizerischen Adipositas-Stiftung weiter: «Adipositas ist eine Krankheit. Einfach mit dem Willen kann man ihr nicht begegnen.» Hormone steuern Nahrungsaufnahme und Sättigung. Bei Übergewichtigen ist dieser Mechanismus gestört, der Körper verliert die Kontrolle.
Hier greift die moderne Medizin ein, in der Schweiz am häufigsten mit Magen-Bypass-Operationen, etwa drei Vierteln der jährlich 2300 Eingriffe. Der Chirurg trennt den Grossteil des Magens ab, es bleibt eine kleine Tasche an der Speiseröhre. Der Dünndarm wird durchtrennt und mit der Tasche verbunden, der Restmagen umgangen (siehe Grafik). So wird eine geringere Dosis von appetitanregenden Hormonen ausgeschüttet. Die neuste OP-Technik heisst Schlauchmagen-Operation die Entfernung von zwei Dritteln des Magens. Zurück bleibt ein schlauchförmiger Rest.
Magenbänder, die den Magen abschnüren, werden heute seltener eingesetzt.
Eine Operation, so Heinrich von Grünigen, ist dann «die einzige Methode, die nachhaltig etwas bewirkt und auf Dauer Gewichtsstabilität bringt». Der Präsident der Schweizerischen Adipositas-Stiftung weiter: «Adipositas ist eine Krankheit. Einfach mit dem Willen kann man ihr nicht begegnen.» Hormone steuern Nahrungsaufnahme und Sättigung. Bei Übergewichtigen ist dieser Mechanismus gestört, der Körper verliert die Kontrolle.
Hier greift die moderne Medizin ein, in der Schweiz am häufigsten mit Magen-Bypass-Operationen, etwa drei Vierteln der jährlich 2300 Eingriffe. Der Chirurg trennt den Grossteil des Magens ab, es bleibt eine kleine Tasche an der Speiseröhre. Der Dünndarm wird durchtrennt und mit der Tasche verbunden, der Restmagen umgangen (siehe Grafik). So wird eine geringere Dosis von appetitanregenden Hormonen ausgeschüttet. Die neuste OP-Technik heisst Schlauchmagen-Operation die Entfernung von zwei Dritteln des Magens. Zurück bleibt ein schlauchförmiger Rest.
Magenbänder, die den Magen abschnüren, werden heute seltener eingesetzt.